Istanbul. Man habe das Unheil kommen sehen wie eine dunkle Wolke, die auf die Metropole zutrieb, sagt Davut Dogan, Inhaber einer kleinen Reiseagentur im touristischen Herz von Istanbul, dem Altstadtviertel Sultanahmet. "Und jetzt ist es passiert."
Am Dienstagmorgen um kurz vor halb elf Uhr hörte Dogan einen gewaltigen Knall, der die Fenster seines Geschäftes erbeben ließ. Als der 35-Jährige vor die Tür trat, sah er eine senfgelbe Rauchwolke über dem ausgedehnten altrömischen Hippodrom zwischen den berühmten Istanbuler Wahrzeichen Hagia Sophia und Blaue Moschee in den wolkenlosen Himmel aufsteigen. Ein beißender Pulvergeruch lag in der Luft. Hunderte Menschen rannten in Panik davon, kurz darauf heulten die Sirenen von Polizei und Krankenwagen.
"Ich dachte sofort, jetzt haben die Terroristen Istanbul angegriffen", sagt Davut Dogan. Sein Gefühl täuschte ihn nicht. Feuerball und Knall rührten von der mächtigen Explosion einer Bombe nahe dem berühmten ägyptischen Obelisken im Hippodrom, wo an diesem frühlingshaften Dienstag wie immer Gruppen von Touristen flanierten. Offenbar sprengte sich ein Selbstmordattentäter inmitten einer Touristengruppe in die Luft. Der Sprengsatz tötete zehn Menschen und verletzte mindestens 15 weitere, zwei von ihnen schwer, wie der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu am Nachmittag bekanntgab. Neun der zehn Todesopfer seien Deutsche, ein weiteres Opfer kommt aus Peru, sagte Davutoglu. Sechs deutsche Touristen lägen verletzt in verschiedenen Krankenhäusern der Millionenstadt. Unter den Verletzten sollen auch eine Peruanerin und Norweger sein.
Täter soll Syrer oder Saudi sein
Zuvor hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im Fernsehen erklärt, dass ein 1988 geborener Syrer den Anschlag verübt habe, ohne aber eine bestimmte Terrorgruppe zu nennen. Demgegenüber meldeten verschiedene türkische Medien später, dass es sich um einen Mann aus Saudi-Arabien handele. Er wurde als Anhänger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bezeichnet. Bereits am Vormittag hatte die Regierung eine Nachrichtensperre über den Anschlag verhängt, sodass Informationen die Öffentlichkeit nur noch gefiltert erreichten.
Da sich das Selbstmordattentat mitten im touristischen Zentrum Istanbuls - und der gesamten Türkei - ereignete, waren die ersten Reporter schon wenig später in Sultanahmet. Ein Fernsehteam des staatlichen türkischen Senders TRT World drehte zufällig ganz in der Nähe. "Wir waren als erste Reporter am Tatort", sagte die TRT-Korrespondentin Soraya Lennie der "Wiener Zeitung". "Es herrschte Chaos, wir sahen hunderte Menschen in alle Richtungen rennen, wir sahen Verwundete, Tote. Die meisten Leute, die wegliefen, sahen wie Türken aus, es waren nur wenige Ausländer zu beobachten." Offenbar hatte der Attentäter gezielt westliche Touristen angegriffen, die in der derzeitigen Nebensaison nur in geringer Zahl Istanbul besuchen.