
Yokohama. Die zehnjährige Xin-yu Ye sitzt im "internationalen Unterrichtszimmer" in einer Volksschule im Südwesten von Yokohama. Ihr Lehrer, Satoshi Kikuchi, lässt die Chinesin japanische Verbformen üben.
Dafür, dass sie mit ihren Eltern, beide ebenfalls Chinesen, erst vor zwei Monaten ins Land kam, schlägt sie sich tapfer. Wenn sie nicht weiterkommt, kann Kikuchi ihr in ihrer Muttersprache weiterhelfen. Der Lehrer, leger gekleidet in Sport-T-Shirt und Stirnband, arbeitete drei Jahre in China. Jetzt unterrichtet er ausländische Schüler wie Ye in Japanisch und Mathematik. Sonst besucht das Mädchen den regulären Unterricht. "Die Sprache ist die größte Hürde", sagt der Schulleiter Hidehito Tanaka.
In der Iidakita-Icho-Volksschule, die inmitten von Gemüsefeldern im Stadtteil Izumi liegt, ist sie keineswegs die einzige Nichtjapanerin. Von 320 Kindern haben über 50 Prozent mindestens ein nichtjapanisches Elternteil oder japanische Eltern, die im Ausland gelebt haben. Während derart gemischte Klassen in europäischen Großstädten inzwischen normal sind, sind sie in Japan die Ausnahme.
Schuldirektor Tanaka, ein dynamisch wirkender Mann im klassischen Anzug mit Krawatte und Einstecktuch, legt großen Wert darauf, dass alle Kinder sich wohlfühlen: "Egal welche Kultur oder welche Religion ein Kind hat - wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der die Kinder nicht das Gefühl haben, dass sie etwas verstecken müssten." Die Stadt Yokohama unterstützt Schulen wie seine mit zusätzlichem Personal wie Sozialarbeitern. Außerdem helfen Freiwillige, zum Beispiel Studierende aus China und Vietnam.
Im Rahmen einer Pressereise für ausländische Journalisten präsentierte die Stadt Yokohama ihre Maßnahmen "auf dem Weg zu einer multinationalen Gesellschaft". Sie hat mit rund 82.000 Ausländern bei einer Bevölkerung von 3,7 Millionen einen relativ hohen Ausländeranteil. Die meisten stammen aus China, mit Abstand gefolgt von Korea, den Philippinen und Vietnam. Nach Angaben des Justizministeriums lebten Ende Juni 2,17 Millionen Ausländer in ganz Japan, und damit weniger als zwei Prozent der Bevölkerung. Für Japan ist das viel. Die Zahl steigt seit Jahrzehnten stetig an. Umso wichtiger wird die gute Integration von Ausländern für japanische Städte und Gemeinden.
Die ostasiatische Inselnation ist bekannt dafür, sich im Umgang mit Ausländern schwerzutun. Während das Land dabei ist, sich an die steigende Zahl ausländischer Touristen zu gewöhnen, ist es für Nicht-Japaner, die in Japan leben möchten, weiter schwierig. Die Akzeptanz in der Gesellschaft für Lebens- und Sichtweisen, die vom japanischen Mainstream abweichen, ist niedrig. Die Einwanderungsbestimmungen sind strikt, die Bedingungen für Asylbewerber erst recht.
2015 wurden in Japan 27 Asylanträge bewilligt
Angesichts der Flüchtlingsströme, die sich auf Europa zubewegen, werden vermehrt Stimmen laut, dass auch Japan Flüchtlinge aufnehmen solle. Bisher ohne Resultat. Nach Angaben des Justizministeriums wurden 2014 über 5000 Anträge auf Asyl gestellt, 2015 waren es schon 7500. Viele werden temporär aufgenommen, 2014 wurden erst elf Anträge bewilligt, 2015 waren es 27.
Wenig bekannt ist, dass Japan durchaus Erfahrung mit der Integration von größeren Gruppen von Ausländern hat. Nach dem Vietnamkrieg nahm Japan bis 2005 rund 10.000 Flüchtlinge aus Vietnam, Laos und Kambodscha auf. Eine zweite große Welle bestand aus Japanern, die als Waisenkinder nach dem Zweiten Weltkrieg in China gestrandet waren und dann Jahrzehnte später repatriiert wurden. Die Eltern vieler Schüler der Volksschule Iitakita Icho gehören zu diesen Gruppen. Andere kamen als Gastarbeiter.
Die meisten der Schulkinder leben mit ihren Familien in der Nähe im Icho Danchi, dem größten Sozialwohnungskomplex der Präfektur Kanagawa. Bei einem Fünftel der 2100 Haushalte stammen die Bewohner nicht aus Japan. Neben Menschen aus Südostasien leben dort Nachfahren japanischer Auswanderer nach Lateinamerika.
Der Grund für die Konzentration in Icho Danchi ist, dass bis Ende der 1990er in der Nähe ein Aufnahmezentrum für Ausländer war. Außerdem gibt es in der Umgebung viele Fabriken, die diese als Arbeitskräfte für die Produktion anheuerten.
Freiwilligen-Organisation hilft Erwachsenen bei der Sprache
Auch die Eltern des Vietnamesen Trinh Ngoc Dang Khoa, der die sechste Klasse der Grundschule besucht, arbeiteten für die Autoindustrie, erzählt der Junge in fließendem Japanisch. Wie er kamen die meisten Kinder entweder sehr jung nach Japan oder wurden in Japan geboren. Manche können daher nicht ausreichend mit ihren Eltern kommunizieren. "Mein Vater spricht kein Japanisch, meine Mutter nur ein bisschen", sagt der Schüler und stützt seine Arme auf das Pult vor ihm in einem der Klassenzimmer der Schule.
Um auch den Erwachsenen einen Grundstock an Japanisch-Kenntnissen mitzugeben, gründete Hideki Hayakawa vor über 20 Jahren die Freiwilligen-Organisation Tabunka Machizukuri Kobo. Diese erteilt in einem sichtbar in die Jahre gekommenen, vom Staat überlassenen Schulgebäude Sprachunterricht und berät in Alltagsangelegenheiten. Ein Drittel der Ausländer, die im Icho-Danchi wohnen, nutzt das Angebot, sagt der 41-Jährige. Pro Unterrichtseinheit kommen 20 Freiwillige auf 20 bis 30 Schüler. Das Problem: "Wenn sie Arbeit finden, hören sie häufig mit dem Japanischlernen auf."