Barcelona. Es ist unübersichtlich geworden auf den städtischen Straßen. Noch bis vor kurzem waren die Verkehrsflächen klar zugewiesen: an Autofahrer, Fußgänger, Öffibenutzer. Das Aufkommen der Radfahrer rüttelte bereits an diesem seit Jahrzehnten erprobten Gefüge. Nun bringen elektrisch betriebene ein- bis vierrädrige Rollbretter die alte Ordnung endgültig durcheinander. Immer mehr Menschen schwingen sich auf E-Scooter, E-Boards, Segways, Balanceroller.
Doch nicht nur die Art der Fortbewegung ändert sich, auch der Zugang. Wer heute mobil sein will, muss kein Gefährt mehr besitzen. Das Angebot der digitalen Nutzung von Autos, Fahrrädern, Mopeds, rollenden E-Brettern steigt rasant, die Bedienung funktioniert mit wenigen Klicks auf dem Smartphone. Ein - mechanischer - Schlüssel ist nicht mehr notwendig. Stehen wir vor dem Übertritt in ein neues mobiles Zeitalter? Eine Ahnung, wohin die Entwicklungen führen, vermittelte in den vergangenen Tagen der Smart Mobility Congress in Barcelona.
79 Städte und Regionen von Buenos Aires über Stockholm, Wien, Dubai und Seoul trafen sich in der spanischen Metropole mit Start-ups, weltumspannenden IT-Unternehmen, darunter Bosch, Huawei, Microsoft, Siemens, Cisco. Die Frage, die sich die Teilnehmer stellten, war nicht mehr, ob die digitale Mobilitätswende kommt, sondern wann sie Realität wird.
Dario Nardella, seit vier Jahren Bürgermeister von Florenz, sprach klar aus, wohin der Weg führt: "In Zukunft werden Menschen in Städten keine Fahrzeuge mehr besitzen." In seiner Vorstellung werden sie sich Autos, Fahrräder, Scooter teilen oder die Öffis nutzen. Smog und Abgaswolken sollen dann auch der Vergangenheit angehören, Diesel- und Benzinantriebe werde es nicht mehr geben. Derzeit schlägt sich der CO2-Ausstoß der Pkw im Stadt-Budget nieder. "Wir müssen jedes Jahr 50 Millionen Euro investieren, um die Hausfassaden wieder sauber zu bekommen", erklärte er. Und das sei nur die Altstadt.
Die Gewohnheit von Autofahrern
Auch Marijke De Roeck, Mobilitätsbeauftragte der Stadt Antwerpen, sagte: "Autos, die Abgase rausblasen und die Straßen verstopfen, sind in Zukunft keine Option mehr."
Zeitersparnis, Umweltschutz, Einsparungen für Kommunen und Nutzer. Die Argumentationslinien von Stadtverwaltungen und Unternehmen sind ident. Wie sollen jedoch Millionen von Autofahrern ihre Gewohnheit ändern? Der finanzielle Aufwand werde sich nicht mehr lohnen, glaubt Andy Taylor, strategischer Direktor des Mobilitätskonzerns Cubic. Versicherung, Steuern, Reparaturen: "Ein eigenes Auto wird für viele Menschen zu teuer werden, vor allem wenn es schnellere und billigere Lösungen gibt, von A nach B zu kommen", sagte Taylor. "Immer weniger Menschen werden dafür bezahlen, dass ihr Auto ungenutzt herumsteht."
Doch wie sollen die Verkehrsflüsse optimiert werden, welche Modelle werden das eigene Auto ersetzen? Es geht um datengetriebene Geschäftsmodelle, künstliche Intelligenz, Verkehrsmanagement. "Eine unüberschaubare Masse an Unternehmen bieten Pakete unter anderem mit Carsharing, Öffis, Citybikes an", sagte Taylor. Die Daten werden auf zentralen Plattformen gesammelt, wo die individuellen Reisebedürfnisse dem Kunden angepasst werden. Eine breite Palette der Fortbewegung wird damit möglich sein. Menschen geben ein, wie sie ihren Weg zurücklegen wollen, ob sie Zeit haben, chauffiert werden wollen, ob sie auch zu Fuß gehen oder selbst mit einem Scooter oder Fahrrad fahren wollen.
Die digital vernetzten Gefährte reagieren auf eventuelle Verspätungen, ein lückenloses Umsteigen während der Route ist gewährleistet, versprechen die Anbieter. Auch für die Betreiber würde sich dadurch einiges verbessern. Sie können auf Grundlage von Echtzeitdaten auf Ereignisse und Störfälle auf der Strecke schneller reagieren, mit spontanen Umleitungslösungen Verzögerungen vermeiden, Energiesparen, Kosten senken.
Das Smartphone als Fahrschein
Dass es von den Menschen angenommen wird, daran zweifelte niemand bei dem Kongress in Barcelona. "Wir haben unsere Handys mehr in den Händen als in unseren Taschen", sagte Richard Moore, Produktmanager von Rambus, ein Unternehmen, das digitale Tickets herstellt. "Wir werden das Handy bald als Ticket verwenden. Antippen und fahren", erklärt der Produktmanager. "Keine Fahrscheine zwicken, kein Anstellen beim Fahrscheinautomaten."

Keolis Lyon, die Tochtergesellschaft der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF, zeigte, dass der Digitalisierung von Mobilität keine Grenzen gesetzt sind. In ihren zur Schau gestellten türkis lackierten Pkw sind die Sitzbänke zueinander gerichtet, einen Fahrersitz, oder gar ein Lenkrad gibt es nicht. Mit bis zu 30 km/h fährt dieses selbstfahrende Auto, erklärt Clement Aubourg, Abteilungsleiter von Keolis. In ein paar Wochen werden die Fahrzeuge bereits in Lyon unterwegs sein. Interessierte können das "Taxi" dann per Smartphone benutzen.
Auch in der Autoindustrie zeigt der Trend in Richtung Digitalisierung und Elektromobilität. Zuletzt stockte der Volkswagen-Konzern seine Investitionen in den beiden Sparten auf knapp 44 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren auf, rund ein Drittel der Gesamtausgaben.
Die Technologie ist also bereit für die Digitalisierung der Mobilität, an Investitionen wird nicht gespart. An anderer Stelle gibt es jedoch Verzögerungen. Es ist der Datenfluss, der noch nicht ausreichend vorhanden ist, erklärte Andy Taylor. "Viele Transportanbieter sind nicht bereit, ihre Daten zu teilen", erklärte er. "Mit dem Kunden, mit anderen Unternehmen, mit der Stadt. Dieses Vertrauen muss noch hergestellt werden."
Werden die Menschen der neuen Technologie vertrauen? Das sei kein Problem, erwiderte er. "Selbstfahrende Busse und Einparkhilfen für konventionelle Autos werden das Vertrauen der Menschen sehr schnell stärken."
Auch die Unternehmen werden bald einlenken. Denn mit der Verwertung der Daten sind noch viele Profite zu holen.