Wien. "In der Leopoldstadt und speziell auf der Praterstraße befanden sich neben den Varietés und Kleinbühnen zahlreiche Künstler-Cafés, wo sich Artisten trafen. Und schräg gegenüber der Karmeliterkirche war das Vergnügungslokal ‚Zum Sperl‘", erzählt der Zauberkünstler und Historiker Robert Kaldy-Karo.

Bereits 1862 wurden die Kleine und die Große Sperlgasse nach dem Lokal benannt, das seinen ersten Höhepunkt in der Biedermeierzeit erlebte. Vorbesitzer war der kaiserliche Jäger Johann Georg Sperlbauer, der im 18. Jahrhundert sein Wirtshaus "Zum Sperlbauer" betrieb. Dessen Enkelin heiratete Johann Georg Scherzer, der das Lokal ab 1802 führte und 1807 um einen Gastgarten und einen Tanzsaal erweiterte: die eigentliche Geburtsstunde des Etablissements.

"Feenhafte
Tanzveranstaltungen"

Es dauerte nicht lange, bis Prominente wie Johann Strauss Vater auftraten und das Sperl zu einer der beliebtesten Unterhaltungsstätten avancierte. Man sprach damals gar von "feenhaften Tanzveranstaltungen", die für jene, die es sich leisten konnten, zum Ereignis wurden. Zwischen 20 bis 30 große Ballveranstaltungen fanden jährlich im Sperl statt, wobei immer eine bekannte Kapelle spielte.

Johann Strauss Vater widmete dem Lokal 1830 "Sperls Festwalzer, op. 30", 1831 den "Sperl-Galopp, op. 42" und 1839 die "Sperl-Polka, op. 133". Der Schauspieler und Dramatiker Ferdinand Raimund bewarb das Lokal mit einem Lied aus seiner Zauberposse "Der Diamant des Geisterkönigs". Und auch der Schriftsteller und Dramatiker Heinrich Laube zeigte sich von der Atmosphäre begeistert: "Der ganze Garten des Sperls in der Leopoldstadt brennt dann mit tausend Lampen, alle Säle sind geöffnet, Strauß dirigiert die Tanzmusik, Leuchtkugeln fliegen, alle Sträucher werden lebendig." Laube schrieb weiters, dass es vor allem die damals modernen Walzer waren, die "gleich dem Stich einer Tarantel das junge Blut in Aufruhr bringen".

1839 wurde das Lokal von Scherzer und einem seiner Söhne im Stil von Pariser Sälen umgestaltet: Die Institution hatte damals
ihre Noblesse perfektioniert und galt als eines der vornehmsten Lokale der Monarchie. Die erfolgreichsten Zauberkünstler, Jongleure, Artisten und Solomusiker traten auf und ließen sich feiern. Doch 1857 verkaufte Scherzer sen. sein Prestigeobjekt und starb nur kurze Zeit danach.

"Sie war der Gipfel
der Verruchtheit"

In Folge wurde das Lokal volkstümlicher, bald derber: Die Volkssänger, die man aus Kostengründen holte, konnten das Niveau der eleganten Ballnächte nicht halten. Das Sperl verkam zunehmend, in absehbarer Zeit verkehrten hier nur noch zwielichtige Gestalten der Unterwelt, es kam zu Raufereien und Messerstechereien.

Zu den legendären Figuren, die dort in der halbseidenen Zeit zu sehen waren, gehörte die in Jockeykostüm, engen Hosen und mit Reitgerte auftretende "Fiaker-Milli", so Kaldy-Karo: "Die Fiaker-Milli galt als Gipfel der Verruchtheit. Sie und auch Fanny Hornischer waren für damalige Zeiten sehr gewagt bekleidet, tanzten Cancan und befanden sich am Rande der Prostitution."

Auf den Abstieg folgte allerdings das baldige Ende: 1873, im Jahr der Wiener Weltausstellung, wurde das Sperl geschlossen und abgerissen. Wenig später wurde an der Stelle das Sperl-Gymnasium errichtet, das bis heute besteht.