Trockene Lippen, rissige Haut, Streit um die Temperatur im Büro. Es ist offensichtlich: Die Heizsaison hat begonnen. In Wien springen die Thermen an. Die Hauptstadt gilt als ökologische Stadt, mit vorbildlichem Öffisystem, Radwegen und einer rot-grünen Stadtregierung. Wie aber wärmen die Wiener ihre Wohnzimmer?

Etwa ein Drittel der Wiener heizt mit Fernwärme. Im Jahr 2018 waren genau 409.843 Haushalte an das Fernwärmenetz der Stadt angeschlossen. Über 1200 Kilometer lange, unterirdische Rohrleitungen wird heißes Wasser in die Wohnungen gepumpt.
Fernwärme gilt als ökologisch. Doch Fernwärme ist nicht Fernwärme. Der Begriff sagt noch nichts über den Brennstoff aus, mit dem die Wärme erzeugt wird. Theoretisch könnte man in den Anlagen auch schädliches Schweröl abfackeln. Fernwärme ist nur so lange umweltfreundlich, solange es der Brennstoff selbst auch ist. Womit werden die Fernwärme-Anlagen der Stadt also befeuert?
Erdgasreiche Fernwärme
"Mit Müll", so die spontane Antwort der allermeisten Wiener. Die Wien Energie wird nicht müde, das zu betonen. Und tatsächlich speist sich ein Teil der Fernwärme aus Mist. Denn die Beseitigung der Müllberge schafft auch Energie zum Heizen. Zwei Fliegen mit einer Klappe also. Unsere Abfälle verbrennen in den drei großen Anlagen Spittelau, Simmeringer Heide und Flötzersteig - und heizen gleichzeitig unsere Wohnzimmer. Wird der Müll einer Großstadt verbrannt, wird natürlich CO2 im großen Stil freigesetzt. Laut Wien Energie sind es trotz hocheffizienter Filter rund 420.000 Tonnen im Jahr. Durch die Nutzung der Verbrennungswärme würde sich die Stadt allerdings im Umkehrschluss CO2-Emissionen sparen. "Würden die Haushalte, die jetzt Fernwärme beziehen, mit Öl oder Kohle heizen, würden jährlich in Wien um 1,4 Millionen Tonnen mehr CO2 ausgestoßen werden", sagt Boris Kaspar, Unternehmenssprecher der Wien Energie. Das entspricht in etwa den jährlichen Emissionen des Individualverkehrs.
Allerdings wird Fernwärme nur zu einem geringen Teil - von lediglich etwa 30 Prozent - durch die Verbrennung von Müll gewonnen. Das Gros stammt aus Heizkraftwerken, wie dem Kraftwerk Simmering. Dort wird in sogenannten Kraft-Wärme-Kopplungen Strom und Wärme generiert. Die Anlagen erzeugen mit wenig Brennstoff viel Energie. Diese Effizienz macht Fernwärme zu einem klimaschonenderen Heizsystem als herkömmliche Thermen. Umweltfreundlich ist sie deshalb noch lange nicht.
Denn in den Kopplungs-Anlagen der Kraftwerke wird russisches Erdgas verbrannt. Anders als in den Werbeschaltungen der Gasanbieter suggeriert, ist Erdgas zwar sauberer als viele andere Brennstoffe, jedoch keinesfalls sauber. Die Verbrennung von Erdgas erzeugt etwa um 25 Prozent weniger Kohlendioxid als jene von Heizöl. Trotzdem ist Erdgas ein fossiler Brennstoff und als dieser hauptverantwortlich für die globale Erwärmung.
Seit Beginn der Industrialisierung wurden bis 2015 etwa 530 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus fossilen Brennstoffen in die Luft geblasen. Die Hälfte konnte von Wäldern, Ozeanen und Ökosystemen nicht absorbiert werden und verbleibt in der Atmosphäre. Wollen wir das - auf der UN-Klimakonferenz 2015 beschlossene - 2-Grad-Ziel erreichen, müssten wir den Verbrauch von Erdgas drastisch drosseln. Bis 2050 dürfte die Hälfte der noch vorhandenen Erdgasvorkommen nicht mehr verbrannt werden, wie der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) berechnete. Doch anstatt zu sinken, steigt die Fördermenge von Jahr zu Jahr. 2015 wurden 3538 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert.
Auch in Wien wird die große Mehrheit der Wohnungen mit Erdgas beheizt. Neben der Fernwärme wird der Brennstoff in herkömmlichen Gasthermen, Gaskonvektoren und Zentralheizungen verbrannt. Im Jahr 2018 wurden 411.733 Wohnungen auf diese Art gewärmt. Sie verursachen nach Ölheizungen die meisten Emissionen. Vor allem alte Thermen sind das Problem. Sie nutzen die in den Abgasen erhaltene Energie nicht und haben einen geringen Wirkungsgrad. Seit September 2015 dürfen sie in der EU nicht mehr verbaut werden. In Wien surren jedoch noch immer tausende an den Wohnungswänden. Ihre Nachfolger, die sogenannten Brennwertgeräte, sind wesentlich effizienter. Schädlich sind sie trotzdem. Wer ein unsaniertes Gebäude mit einem Brennwertgerät heizt, kommt immer noch auf CO2-Emissionen von rund sieben Tonnen pro Jahr allein fürs Heizen, wie die österreichische Energieagentur berechnete. Weg vom Gas scheint also der einzige gangbare Weg zu einer sauberen Stadt zu sein.
Steiniger Weg zur Alternative
Das hat auch die rot-grüne Stadtregierung erkannt. Die neue Novelle der Bauordnung sorgte im Frühling für Aufsehen. Naturschützer jubelten. Wien plant den kompletten Ausstieg aus fossilen Energien in Neubauten. Ein radikaler Schritt. Seit März dürfen neue Gebäude in Wien nicht mehr mit Öl oder Kohle beheizt werden. Auch dem Erdgas wurde der Kampf angesagt. Hier sind die Regelungen jedoch viel weniger strikt. Dezentrale Thermen und Brennwertgeräte dürfen zwar nicht mehr eingebaut werden, sehr wohl aber mit Gas betriebene Zentralheizungen. Die Single-Therme für eine Wohnung dürfte aussterben. Der Brennstoff selbst wird uns noch lange begleiten.
Was aber ist die Alternative? Mit herkömmlichem Strom zu heizen - wie es in Wien derzeit rund 53.000 Haushalte tun -, ist nicht nur teuer, sondern auch wenig ökologisch. Denn etwa 16 Prozent des Stroms wird wiederum aus der Verbrennung fossiler Energieträger gewonnen - vor allem aus Erdgas. Ein Drittel wird aus dem Ausland importiert. 42 Prozent generieren Staudämme, 12 Prozent Windräder.
"Die geringsten Emissionen verursachen Solar-Heizungen und Wärmepumpen", sagt Alexander Passer von der TU-Graz. Er forscht zum Thema Nachhaltige Bauformen. "Die Technologie ist da", sagt er. "Genutzt wird sie jedoch kaum." In Wien heizen derzeit 10.000 Haushalte mit Photovoltaik-Anlagen oder Wärmepumpen. Angesichts der ausgerufenen Energiewende verschwindend wenig.
Es bräuchte zentrale Lösungen, statt einzelne Anlagen für wenige Haushalte. "Wenn ich mir eine Wohnung in einem Gründerzeitbau kaufe und mit Solarenergie heizen will, ist das fast unmöglich. Wo bringe ich die Anlage an? Wo speichere ich den Strom? Erlaubt das der Denkmalschutz?" Die Anschaffung einer Anlage ist kompliziert und teuer. Finanziell bringt es wenig. Eine Umrüstung müsste stark gefördert werden. Das passiert derzeit kaum. Die Fördertöpfe sind leer. Da ist es einfacher, sich eine Therme in die Wohnung zu hängen. Und weiter Erdgas zu verbrennen.