Vladimir sitzt in einer Ecke und starrt auf den Boden. Turnen will er nicht, malen findet er blöd, spielen macht auch keinen Spaß, gegessen hat er schon. Nein, Vladimir ist kein ausgangsbeschränkungsbedingt zutiefst gelangweiltes Kind aus der Nachbarschaft, Vladimir ist ein erwachsener Orang Utan mit Wohnsitz im Tiergarten Schönbrunn.
Damit, dass sein Aktionsradius vergleichsweise beschränkt ist, kommt er zurecht, versichert man. Was ihm jedoch fehlt, ist sein Publikum. Auch Sol und Mota, Artgenossen von Vladimir, würden die Besucher vermissen. "Im Zoo beobachten nicht nur wir Menschen die Tiere, sondern das ist auch umgekehrt der Fall", sagt Tiergartensprecherin Johanna Bukovsky. Die Besucher wären für die Tiere eine Form der Bereicherung ihres Alltags. Seit 12. März ist der Wiener Zoo geschlossen, ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.
Wie Fernsehen
Eine Pflegerin eines deutschen Zoos schrieb dieser Tage über ihren Schützling, eine Hyäne namens Lobo, dass dieser leidenschaftlich gerne stundenlang im Gehege vor der Schauscheibe gestanden wäre und die Zoobesucher beobachtet hätte. "Das ist für ihn wie Fernsehen", erzählt die Pflegerin dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Und jetzt wäre dieser Fernseher "kaputt", was Lobo naturgemäß nicht super findet und deshalb aktuell anderwärtig beschäftigt werden muss.
Auch im Tiergarten Schönbrunn hat man das Entertainment für bestimmte Arten hochgeschraubt. Bei Laune gehalten werden müssen Tiere in Gefangenschaft immer, durch den Wegfall der täglichen Ablenkung durch Zoobesucher muss jetzt aber mitunter mehr Engagement an den Tag gelegt werden. Meist sind es Futterspiele, lange Fressrohre für Giraffen, künstlich errichtete Termitenhügel für Ameisenbären, etc. Wer Hunde- oder Katzenbesitzer ist, kennt diverse Tricks, wie man das gelangweilte Haustier kontrolliert beschäftigen kann, ohne dass es sich selbst auf die Suche nach Ablenkung begibt - was in der Regel nicht so gut ist. Schuhe, Müllsäcke, Sesselbeine, etc. - der Bandbreite tierischen Selbstentertainments sind nahezu keine Grenzen gesetzt.
Bei vielen Zootieren ist das nicht anders. So etwa berichtet der Schweriner Zoo, dass die Braunbären dieser Tage kurzerhand die Umgestaltung ihres Freigeheges selbst in die Hand genommen und den dort installierten Wasserfall einfach "untergraben" haben.
In Schönbrunn blieb man bisher von derartigen Vorfällen verschont. Was allerdings auffällt: "Wenn unsere Zoologen jetzt durch den Tiergarten gehen, merken sie, dass die Tiere sie aufmerksamer wahrnehmen. Die Tiger und Löwen etwa verfolgen einen mit den Augen und beobachten alles genau", sagt Bukovsky. Bis vor ein paar Wochen hätte sie das wenig bis gar nicht interessiert.
Bisher unbeeindruckt von den fehlenden Besuchermassen zeigt sich Schönbrunns "Sonnenschein", das Eisbärenmädchen Finja. Für sie sind ein paar zerbissene, mit Tauen aneinandergebundene Bälle lustig genug. Partystimmung herrscht derzeit auch bei den "Freigängern" des Schönbrunner Tiergartens, also all jenen Tieren, die nicht in Gehegen gehalten werden. So etwa haben die Enten die Wiese vor dem Kaiserpavillon in Beschlag genommen. Immer öfter sieht man sie auch auf den Gehwegen zwischen den Gehegen flanieren.
"Kommen über die Runden"
Wann der Tiergarten wieder öffnen wird, steht derzeit nicht fest. Finanziell kommt man noch über die Runden. "Derzeit sind wir gezwungen, auf jene Mittel zurückzugreifen, die wir durch unsere wirtschaftlichen Erfolge der letzten Jahre angespart haben", sagt die Tiergarten-Sprecherin. Bereits seit einigen Jahren betrage die Eigenfinanzierungsquote 100 Prozent. Damit stemme der Tiergarten nicht nur seinen laufenden Betrieb, sondern darüber hinaus Bauprojekte wie etwa die neue Flusspferd-Anlage. Auch für das nächste Großvorhaben, das Aquarium, will man die Mittel selbst aufbringen. "Wie hart diese Zeit den Tiergarten Schönbrunn treffen wird, wird sich erst zeigen, wenn klar ist, wie lange die Schließung andauern wird", sagt Bukovsky.
70 Prozent in Kurzarbeit
Vor Ort sind derzeit nur jene Mitarbeiter, die für die Versorgung der Tiere und die Instandhaltung der Anlagen zuständig sind. Jeder Bereich wurde in Teams aufgeteilt, die abwechselnd Dienst versehen. Mit 1. April hat der Schönbrunner Tiergarten 70 Prozent seiner rund 230 Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet. Damit sei sichergestellt, dass kein Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz verliert und der hohe Standard der Tierhaltung gewährleistet bleibt.
Mit Stichtag 31. Dezember 2019 leben auf dem rund 17 Hektar großen Areal des Schönbrunner Tiergartens 7844 Tiere aus 699 Tierarten. Covid-19, bzw. die mögliche Übertragung des Virus vom Menschen auf Tiere, ist ein großes Thema. "Bislang ist nur der Fall eines New Yorker Zoos bekannt, wo ein Tiger durch einen Pfleger angesteckt wurde", sagt Bukovsky. Zoologische Gärten wären deshalb weltweit in ständigem Austausch, zudem gebe es laufende Gespräche mit Experten der Veterinär- und Humanmedizin. "Die Einhaltung von Hygiene-Standards ist für Tierpfleger grundsätzlich ein wichtiges Thema und auch ein Teil ihrer umfassenden Ausbildung", sagt Bukovsky. Die Umsetzung entsprechender Richtlinien sei für den Tiergarten Schönbrunn eine Selbstverständlichkeit.