Wiens Unterwelt hat mit seinem verzweigten Keller- und Kanalsystem durch den Kinoklassiker "Der Dritte Mann" aus dem Jahr 1947 Weltruhm erlangt. Der britische Literat Graham Greene als Drehbuchautor, Schauspieler Orson Welles als Harry Lime und der Wiener Heurigenmusiker Anton Karas mit seiner Zither-Musik setzten dem Nachkriegs-Wien und seiner "Unter-Stadt" ein unvergessliches filmisches Denkmal. Davon profitierte der Wien-Tourismus in der Vor-Corona-Zeit noch durch ordentliche Vermarktung: Hundertausende Besucher haben die "Dritten-Mann-Tour" unter dem Karlsplatz in Nähe des Wien-Flussbeckens besucht.

Regen Besuchstourismus in Wiens Unterwelt, wenn auch ganz anderer Art, gab es aber schon früher - 1529 und 1683 bei den letztlich abgewehrten Türkenbelagerungen der Stadt. Damals versuchten ungebetene Besucher, über aufwendig gegrabene Gänge ins Herz der Wienerstadt vorzudringen. Noch heute sind Häuser im Zentrum mit bis zu dreistöckigen Kellersystemen mehr oder weniger verbunden. Lockeres Erdreich ist ein Grund dafür. Neue Häuser baute man über Jahrhunderte stets auf dem Schutt von zuvor vorhandenen Altbauten. Auch unter Ballhausplatz und Hofburg befindet sich ein verzweigtes Kellersystem. In einem Raum steht bis heute ein riesiges verkacheltes Weinfass mit etwa sechs Kubikmeter Fassungsvermögen. Daneben lagen - zumindest bis vor nicht allzu langer Zeit - kleine Fläschchen mit dem Siegel "K. K. Hofkeller". Die musste man nun sichern. Zu viele davon haben eingeweihte Souvenirsammler aus Burg und Kanzleramt, die selten genug Zugang zu den Kellern hatten, mitgenommen.

Der bestehende unterirdische Verbindungsgang zwischen Kanzleramt und Präsidentschaftskanzlei hat im Jahr 2000 öffentlich Bekanntheit erlangt. Damals musste die erste schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel durch die Kellertüren zur Angelobung. Der traditionelle Weg über Platz oberhalb war nämlich wegen wütender Demonstranten unpassierbar.
In einer weiteren Etage des Kellersystems befindet sich ein kunsthistorischer Schatz: Die Gipsmodelle der meisten Denkmäler der Ringstraße sind hier untergestellt und werden von der Burghauptmannschaft sorgsam gehütet. Die klimatisch stabilen Bedingungen haben sich seit vielen Jahrzehnten als idealen Ort dafür erwiesen. "De san halt jetzt schon lang dort", lautet die wienerische Erklärung eines Beamten vom Ballhausplatz für das Dauerprovisorium in der Kompetenz der Burghauptmannschaft.
Vom Kanzleramt führt ein unterirdischer Zugang zum Bereich der U-Bahnstation Herrengasse. Von dort können nur Regierungsmitglieder und ihre engste Entourage - in eine eigene U-Bahnröhre aber nur "im Ernstfall" - in Sicherheit gebracht werden. Denn von dort verbindet das Tunnelsystem den Ballhausplatz mit dem bomben- und anschlagssicher scheinenden Regierungsbunker in der Stiftskaserne. Sollte im Notfall die U-Bahn nicht mehr funktionieren, dann könnten der Kanzler und seine engsten Getreuen von hier aus aber nur zu Fuß in den Bunker gelangen.