Ihre Blätter decken den täglichen Sauerstoffbedarf von 15 Menschen. Sie schluckt drei bis fünf Tonnen Staub pro Jahr. Steht man unter ihr, ist es bis zu fünf Grad kühler. Die 80 Jahre alte Platane an der Ecke Josefstädter Straße und Auerspergstraße im dicht bebauten 8. Bezirk ist fixer Bestandteil des Wiener Stadtbildes. Sie ragt vor dem Café Eiles empor, wo, wenn nicht gerade Lockdown ist, Stadtverwalter, Studierende und das Wiener Bürgertum ein- und ausgehen.
Doch der Fortbestand der alten Dame ist gefährdet. Dort, wo sie seit Jahrzehnten ihre Wurzeln schlägt, soll im Zuge des Öffi-Ausbaus der Linie U2/U5 ein neuer U-Bahn-Ausgang errichtet werden, vergangene Woche erfolgte der Spatenstich. Die Rodung der Plantane stand unmittelbar bevor, als das Kuratorium Wald in einer Presseaussendung an die Wiener Linien appellierte "den geplanten Baummord zu überdenken".
Wiener Linien: Fällen von Bäumen kontraproduktiv
Die Wiener Linien betonen, ihnen sei Baumschutz ein großes Anliegen. "Wir bauen U-Bahn-Linien, um den Klimaschutz zu unterstützen", erklärt Daniel Amann, Pressesprecher der Wiener Linien, auf Anfrage. "Es ist natürlich kontraproduktiv, wenn man dann Bäume fällt", sagt Amann, und beteuert: Die Wiener Linien versuchen, jede nicht notwendige Baumrodung verhindern.
Im Fall der Café-Eiles-Platane starteten die Verkehrsbetriebe daher eine europaweite Ausschreibung, um zu prüfen, wie sich der Baum retten ließe. Das ernüchternde Ergebnis: Zwei Unternehmen haben die Umpflanzung als "technisch und fachlich nicht möglich" beurteilt. Ein drittes Unternehmen gab an, einen 100-Tonnen-Kran für die Größe des Wurzelballens zu benötigen. Doch die Gesamtlast darf nicht mehr als 60 Tonnen betragen, da die darunter liegende U2-Röhre maximal 60 Tonnen trägt.
Bei einer Verkleinerung des Wurzelballens wäre jedoch das Überleben des Baumes nicht garantiert. Dieses Risiko wollten die Wiener Linien nicht eingehen, weil Steuergelder in der Höhe von rund 500.000 Euro am Spiel standen. In der Zwischenzeit hat sich jedoch ein Spezialist eingeschaltet, der das Blatt wenden könnte: Der Wiener Baumchirurg Wolfgang Saller will die Platane nun umpflanzen - und das kostenlos.
"Bäume in der Stadt werden selten älter als 65 Jahre"
"Normalerweise werden Bäume im städtischen Raum nicht älter als 60 oder 65 Jahre. Ich sehe es als meine Pflicht, diesen Baum am Leben zu halten", begründet Saller sein Engagement gegenüber der "Wiener Zeitung". Der Baumchirurg erklärt, wie er das komplizierte Unterfangen anlegen will: Der Baum soll mittels Rammtechnik entwurzelt und mit einem Tieflader zu seinem neuen Standort am Schmerlingplatz, transportiert werden. Laut den Berechnungen wird sich das trotz 60-Tonnen-Limit mit einer Last von 59,5 Tonnen haarscharf ausgehen. "Wir gehen ans Limit", sagt Saller. "Die große Kunst ist, dass das Wurzelwerk dabei erhalten bleibt." Zu diesem Zweck werden die Wurzeln mit flüssigem Stickstoff vereist, wie aus einem Trog hinausgenommen und bei 1 Meter 50 abgeschnitten.
Die zweite große Schwierigkeit ist laut Saller, dass der Baum an seinem neuen Standort stark verankert sein muss: "Die kleinen Faserwurzeln können nur dann ins Erdreich einwachsen, wenn der Baum gut eingespannt wird." Erst nach eineinhalb bis drei Jahren guter Pflege sei garantiert, dass der Baum mächtig weiterwachsen kann. "Die intensive Nachpflege ist das Allerwichtigste", so Saller.
Für die Umpflanzung, die der Baumchirurg gemeinsam mit dem Kuratorium Wald umsetzt, hat er zwei Wochen Zeit. Danach wollen die Wiener Linien, die technische Hilfsmittel wie ein Tiefladefahrzeug oder einen Schwerlastkran zur Verfügung stellen, die U-Bahn-Bauarbeiten fortsetzen.
Saller ist zuversichtlich, dass das Unterfangen gelingen und der Baum weiterleben wird. Am Montag hat er bereits mit ersten Arbeiten und dem Baumschnitt begonnen. Laut dem Kuratorium Wald hat die Rettungsaktion auch große Symbolkraft: "Die 80-jährige Platane ist das Eingangstor zur Josefstadt. Jeder kennt sie."