Nasti ist vierzehn Jahre alt und hat große Träume. Sie möchte Journalistin werden. Dass sie gerne schreibt und Leute interviewt, hat sie in der Vienna Hobby Lobby entdeckt. "Ich bin letztes Jahr im Herbst zur Vienna Hobby Lobby gekommen, immer nach der Schule zum Kickboxing. Ich mache auch Kung Fu, zeichne gerne und mache gerne Theater. Ich habe dann gemerkt, dass ich mal Journalistin werden möchte, weil ich gerne schreibe."

Nastis Augen strahlen vor Inspiration. Eifrig sieht sie sich nach ihrem kleinen Bruder Ebrahim um. Aufgeregt erzählt sie ihm, dass sie gerade interviewt wurde. Das möchte sie später auch machen. Was ihr an diesem Ort so gefällt? Nasti zögert keine Sekunde: "Ich finde es so schön, dass es Leute gibt, die solche Kurse für uns machen. Während der Schulzeit komme ich immer nachmittags her und mache Kickboxing."

Gelacht und geplant wird viel in der Vienna Hobby Lobby. Zu sehen ist Rosa Bergmann mit ihrem Gründungsteam.  
- © Florian Martys

Gelacht und geplant wird viel in der Vienna Hobby Lobby. Zu sehen ist Rosa Bergmann mit ihrem Gründungsteam. 

- © Florian Martys

Die Vienna Hobby Lobby verfolgt ein Konzept mit einem klaren Ziel: Kindern aus sozial benachteiligten Familien einen Ort zur persönlichen Entfaltung zu geben. Ein Modell, das die 26-jährige Rosa Bergmann im Sommer 2018 mit vier Kolleginnen und Kollegen erarbeitet hat. Es stellt Kindern aus sozial schwachen Familien kostenlose Freizeitkurse zur Verfügung.

Im März 2019 kam es zur ersten Pilotphase mit 100 Kindern und 7 ehrenamtlichen Kursleitenden. Egal ob Yoga, Kickboxing, Video-Clip-Dancing, Kung Fu oder Street Art - gesportelt, getanzt und gemalt wird bald sogar an vier Standorten im 3., 10., 16. und 20. Wiener Bezirk. Finanziert wird die Hobby Lobby hauptsächlich durch Spenden, Förderungen, Auszeichnungen und Unternehmenskooperationen.

Die Kinder der Vienna Hobby Lobby trainieren beim wöchentlichen Rugby-Kurs.  
- © Katharina Martys

Die Kinder der Vienna Hobby Lobby trainieren beim wöchentlichen Rugby-Kurs. 

- © Katharina Martys

"Die Kinder rennen uns die Bude ein.", freut sich Rosa. Mit der Vienna Hobby Lobby hat sie ins Schwarze getroffen. Die Anmeldung ist einfach, die Abwicklung klar: Wöchentlich finden Freizeitkurse statt, für die sich die Kinder am Anfang des Semesters mittels einfachen Anmeldeformulars registrieren können. Akquiriert werden die 10- bis 16-Jährigen durch Standortleitende der Hobby Lobby in Partnerschulen.

Wettlauf gegen Chancenungleichheit

Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt. Dennoch sind knapp 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung ausgrenzungsgefährdet. Alarmierend sind außerdem die Zahlen der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen in Österreich: Im Jahr 2019 waren einer Erhebung der österreichischen Armutskonferenz zufolge rund 332.000 Kinder unter 19 Jahren armutsgefährdet. Mit den kostenlosen Freizeitkursen der Vienna Hobby Lobby will Rosa soziale Ungleichheit und Bildungsungerechtigkeit bekämpfen. Darum möchte sie Kindern aus sozial schwächeren Verhältnissen eine Lobby geben, um in ihrer Freizeit Fähigkeiten zu entwickeln und Interessen zu entdecken.

Der Wille ist da, die Möglichkeiten sind beschränkt. Es mangle nicht an Interesse, Durchsetzungsvermögen oder Zeit, betont Rosa. Aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen hätten Kinder aus sozial benachteiligten Familien, meist auch mit Flucht- oder Migrationshintergrund, weniger Möglichkeiten zur sinnvollen Freizeitbeschäftigung und sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen.

Freizeit- und Sportkurse gestalten sich in Wien mitunter als Privileg finanziell wohlgestellter Familien. Auch der Weg durch das Schulsystems erweist sich für Kinder aus sozial schwächeren Familien als steinig: Meist durchlaufen sie eine deutlich kürzere Ausbildungsbahn, wobei nicht nur ihre schulische Leistungsfähigkeit auf der Strecke bleibt. Auch die soziale Ausgrenzung, der Social Gap im Klassenzimmer, kann einen schockierend großen Einfluss auf ihre psychische und physische Entwicklung nehmen.

Ausgiebig trainiert wird auch beim Kickbox-Kurs. 
- © Alexandra Reichinger

Ausgiebig trainiert wird auch beim Kickbox-Kurs.

- © Alexandra Reichinger

Zwischen Schulbüchern und der Sehnsucht nach Spaß

Zwei Jungs battlen sich im Sportraum beim Kickboxen. Sie sind elf und vierzehn Jahre alt und kommen aus zwei unterschiedlichen Mittelschulen. "Man arbeitet hier nicht so viel, man hat mehr Spaß. Wir bekommen hier so viele tolle Sachen, mit denen wir basteln, malen oder Sport machen können. In der Schule müssen wir immer nur Fußball oder Karten spielen."

Ein Schulsystem, das individuelle Kreativität und Persönlichkeitsentfaltung nicht ausreichend fördern könne. Rosa betont: "Ich kann in dem engen System Schule nicht arbeiten. Es hat für mich zu wenig Aktualitätsbezug. Immer noch gibt es 50-minütige Mathe-, Deutsch- und Englischstunden, am besten gleich 6 Stunden hintereinander. Das entspricht nicht dem Lernen, wie es sein soll."

Auch Erhebungen der OECD zeigen: Lernen findet überall statt, nicht nur in der Schule. "Ich glaube, dass die Schule gut zum Sozialisieren der Kinder geeignet ist. Auch dazu, um sie Gesellschafts-Ready zu machen. Aber ich glaube, unserem Schulsystem fehlt etwas ganz Essentielles, wenn es um das Lernen, um die Begeisterung und die Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder geht.", sagt Rosa.

Kinder erwerben in ihrer Freizeit bis zu 70 Prozent ihres Wissens. Der Großteil des Lernprozesses geschieht im informellen Kontext – und zwar über Freundinnen und Freunde, über Freizeitkurse, über Bewegung und Sport. "Wenn die Kids zu Hause nur am Handy hängen und keine Unterstützungsmöglichkeiten wahrnehmen können, dann fallen sie auch da zurück.", erzählt Rosa. Ein Teufelskreis, der den Social Gap sozial benachteiligter Kinder nur noch weiterwachsen lässt. Mit der Hobby Lobby bietet Rosa genau diesen Kindern eine Chance, um Zukunftspläne zu schmieden.

Eine Mission, weit entfernt von impossible

Am Pläne schmieden ist auch Manuel Jonovic. Der 15-jährige Schüler nimmt schon seit März 2019 an Freizeitkursen der Vienna Hobby Lobby teil. Seit diesem Jahr ist er auch Co-Kursleiter im Sommercamp und genießt dabei sogar eine Sonderstellung: Er darf den Street Art-Kurs ganz allein leiten. "Ich war selbst Teilnehmer der Hobby Lobby und habe Rosa gefragt, ob ich ihr helfen kann. Jetzt leite ich den Street Art-Kurs. Ich bringe den Kids was bei, die Kids bringen mir was bei. Wir machen alles zusammen und das macht einfach großen Spaß." Manuel hat gerade die erste Klasse des BORG abgeschlossen und schon große Zukunftspläne: "Mein Ziel ist es, Standortleiter zu werden. Das ist nicht impossible. Das schaff ich."

Manuels Euphorie bestätigt: Träume werden zu Plänen, Pläne zu konkreten Zielen. Die Vienna Hobby Lobby, das Community-Gefühl und die Leidenschaft, die die Kursleitenden in das Programm stecken, zeigen Wirkung. Zahlreiche Lehrpersonen an Partnerschulen betonen, dass sich das Selbstbewusstsein teilnehmender Kinder deutlich gesteigert habe. Nicht nur ihre soziale Kompetenz, sondern auch ihre motorischen Fähigkeiten und Verständigungskompetenzen haben sich verbessert. Rosa freut sich: "Die Kinder zeigen häufiger auf, melden sich viel öfter zu Wort. Sie blühen auf, weil sie einfach viel Aufmerksamkeit bekommen und merken, dass sie gut darin sind, was ihnen Spaß macht."

Aus Freizeit wird Karriere

Dass sich aus freiwilligen Freizeitkursen Karrierewege entwickeln können, zeigt das Co-Kursleiter-Ausbildungsprogramm der Hobby Lobby. Rosa möchte damit interessierten Kindern, die als Teilnehmende zu ihren Freizeitkursen gekommen sind, organisatorische Fähigkeiten vermitteln und sie zu Co-Kursleitenden ausbilden. Ein Innovationsprojekt der Extraklasse: Kinder mit wenig Chancen auf eine Lehrstelle oder eine Ausbildung haben plötzlich die Aspiration, das, was ihnen Spaß macht, zum Beruf zu machen.

Rosas Augen leuchten genauso hell wie die Augen der Kinder. Die Kursteilnehmenden schwirren umher, sprühen eifrig mit Sprühdosen auf ihre Namensschilder und holen sich von allen Seiten Ideen. Dass sich das Konzept bewährt, zeigt die bevorstehende Expansion in andere Bundesländer: "Wir planen schon weitere Standorte in Innsbruck, Linz und Sankt Pölten." Ein großer Schritt in Richtung Chancengleichheit. Sorgen um ihre Nachfolge müsse sie sich auch keine machen, denn die habe sich schon angekündigt: "Frau Rosa, machen sie sich keine Sorgen. Wenn sie mal in Pension gehen, dann mach ich ihren Job.", freut sich der kleine Stoyan, lacht, und sprüht weiter fleißig auf sein Street-Art-Schild.

Zur Person

Rosa Bergmann ist Geschäftsführerin der Vienna Hobby Lobby. 
- © Lea Fabienne

Rosa Bergmann ist Geschäftsführerin der Vienna Hobby Lobby.

- © Lea Fabienne

Rosa Bergmann (26) ist eine der Gründerinnen und Projektleiterin der Vienna Hobby Lobby. Rosa ist ausgebildete Volkswirtin und war nach ihrem Studium bei der gemeinnützigen Bildungsinitiative Teach for Austria tätig. Im März 2019 startete sie mit vier Kolleginnen und Kollegen die Vienna Hobby Lobby.