Eine Melange auf der kalten Marmorplatte eines Wiener Kaffeehaustisches. Ein feuchter Waldboden in den östlichen Kalkalpen. Der Zusammenhang? Das Wasser, mit dem der Kaffee in Wien aufgebrüht wurde, ist in den Kalkalpen versickert. Wien bezieht sein komplettes Trinkwasser aus den Bergen. Dafür ist die Stadt berühmt. Das Wiener Hochquellwasser ist eines der besten der Welt. Kalt und klar sprudelt es aus dem Wasserhahn, wird in Autowaschanlagen verspritzt, füllt Swimmingpools. Die Wiener gießen ihre Topfpflanzen und Rasenflächen mit Hochquellwasser. Sie spülen es die Toilette hinunter. Doch wie lange können wir noch so prassen? Kann die Stadt auch in Zukunft - während Dürren und trotz Bevölkerungswachstums - zuverlässig mit Trinkwasser versorgt werden?

Geht einer Großstadt das Trinkwasser aus, herrscht Chaos. Wien weiß das. Bis ins späte 19. Jahrhundert bezogen die Wiener ihr Wasser aus Hausbrunnen, die sich aus dem Grundwasser speisten. Doch das Grundwasser war durch Kot, Unrat, Tierkadavern, den Abwässern der Färber- und Gerbereien verunreinigt. Die Kanalisation der Stadt funktionierte nicht. Ein idealer Nährboden für Krankheiten und Seuchen. Die Cholera raffte 18.000 Menschen dahin. Als die Pocken 1872 die Stadt erreichten, starben knapp 5.000. Um an sauberes Wasser zu kommen, mussten es die Wienerinnen und Wiener bei "Wasserweibern" kaufen. Sie schleppten es in Fässern aus dem Umland in die Stadt. Die Wiener Trinkwasserkrise bedrohte sogar die Monarchie. Kaiser Franz Josef befürchtete eine Revolte. Er beauftragte den Wiener Gemeinderat mit der Lösung des Problems.

Angezapfte Quellen

Die größte Herausforderung war es, auf hochwertiges Trinkwasser in ausreichender Menge zu stoßen. Die kaiserlichen Geologen wurden am Schneeberg fündig. Die Altaquelle, die Stixensteinquelle und der Kaiserbrunnen könnten den Bedarf der Stadt decken. Auf Anregung des Geologen Eduard Suess beschloss der Wiener Gemeinderat 1868, die drei großen Quellen anzuzapfen, statt Donauwasser zu filtrieren. Wasserrechte, Einzugs- und Niederschlagsgebiete wurden der Stadt Wien überschrieben, Schneeberg und Rax zum Wasserschutzgebiet erklärt. Die erste Wiener Hochquellenwasserleitung wurde gebaut. Sie ist 96 Kilometer lang. Auf dem Weg nach Wien fließt das Wasser durch zahlreiche Stollen und 30 Aquädukte. Franz Josef eröffnete die Leitung am 24. Oktober 1873 mit der Inbetriebnahme des Hochstrahlbrunnens am Schwarzenbergplatz.

Seither sprudelt Gebirgswasser in Wien. Die Qualität war schon immer gut. Die Quantität schwankte. Vor allem in den Wintermonaten konnte die Leitung die Bedürfnisse der rasant wachsenden Stadt nicht decken. 1910 wurde deshalb die zweite Wiener Hochquellenleitung in Betrieb genommen. Sie erschließt Quellen auf dem Hochschwab - mit der Kläfferquelle etwa eine der größten Trinkwasserquellen Mitteleuropas - und ist 180 Kilometer lang. Gemeinsam versorgen die beiden Leitungen die Stadt.

Bis heute. Denn im Grunde hat sich das System in den vergangenen 110 Jahren nicht geändert - zwei Rohre bringen kristallklares Wasser nach Wien. Mittlerweile decken sie den kompletten Bedarf der Stadt. Grundwasser wird nur im Notfall eingeleitet, oder um den Wasserdruck zu halten. Aus jedem Wasserhahn, aus jeder Bassena, aus jedem Gartenschlauch, jeder Klospülung kommt Hochquellwasser. 390.000 Kubikmeter Tag für Tag. Damit könnten täglich alle vier Türme des Wiener Gasometers bis zum Rand mit Wasser gefüllt werden und es wäre immer noch genug übrig, um zwölf Mal das Sportbecken des Stadthallenbades zu füllen.

Eine Gratwanderung

"Unsere Aufgabe ist es, genau so viel Wasser zur Verfügung zu stellen, wie gebraucht wird. Nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel", sagt Walter Kling von der MA 31 (Wiener Wasser). Denn das Wasser soll, nachdem es in den Kalkalpen entsprungen ist, möglichst schnell verbraucht werden. 24 Stunden fließt es durch die erste Wiener Hochquellenleitung, 36 Stunden durch die zweite, bevor es in einem der 31 Wasserbehälter der Stadt ankommt. 1,6 Millionen Kubikmeter fassen die Speicher insgesamt, genug Wasser also, um Wien für vier Tage zu versorgen.

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Lange Standzeiten in den Behältern gilt es allerdings zu vermeiden. "Bevor das Wasser in Wien aus dem Hahn kommt, vergehen wenige Tage", so Kling. Wasser bleibt länger haltbar, wenn es dunkel ist. Wiens Hochquellwasser erblickt erst in den Wohnungen der Menschen das Licht der Welt. Leitungen und Behälter sind lichtgeschützt. Auch deshalb ist es so kalt. Momentan - also mitten im Hochsommer - hat es 12 Grad, wenn es den Hahn verlässt. "Manche glauben, wir würden es kühlen", sagt Kling.

Den momentanen Wasserverbrauch der Stadt können die beiden Hochquellenleitungen also stemmen. "Die Kapazitäten sind noch nicht ganz ausgeschöpft. Wir könnten auch mehr Wasser nach Wien bringen", sagt Kling. Sollte der Verbrauch nicht sprunghaft ansteigen, genügt die aktuelle Infrastruktur. Wird er vermutlich nicht. Der Wiener Wasserverbrauch ist gut vorhersehbar. Die steigende Einwohnerzahl hat die MA 31 im Auge. Wien ist keine Industriestadt. Zwei Drittel des Wassers wird von Privathaushalten konsumiert. Zum Duschen, Trinken, Kochen, Abwaschen, Klospülen, Putzen. 130 Liter braucht der durchschnittliche Wiener am Tag. Tendenz fallend. Wassersparende Geräte haben den Verbrauch in den vergangenen Jahren leicht gedrückt.

Anfälliger alpiner Raum

Auf seinem Weg nach Wien passiert das Wasser auf beiden Hochquellenleitungen insgesamt 130 Aquädukte, wie hier in Mödling. - © Wiener Wasser / Zinner
Auf seinem Weg nach Wien passiert das Wasser auf beiden Hochquellenleitungen insgesamt 130 Aquädukte, wie hier in Mödling. - © Wiener Wasser / Zinner

"Wir denken bei der Planung des Rohrnetzes in Jahrzehnten", sagt Kling. "In den nächsten 30 Jahren machen uns die beiden Hochquellenleitungen keine Probleme." Die Infrastruktur ist also gegeben. Was aber ist mit der Natur? Werden in den Kalkalpen die Quellen trotz Klimawandel, Trockenperioden, Starkregen weiter zuverlässig sprudeln? Die Schongebiete, aus denen das Wiener Wasser stammt, sind 675 Quadratkilometer groß, also größer als Wien selbst. Ihre Wasservorkommen sind riesig. "Wir entnehmen nur einen Bruchteil", sagt Kling. Zumindest über die Periode eines ganzen Jahres gerechnet. Vor allem im Frühling zur Schneeschmelze gibt es Wasser im Überfluss. Allein aus der Kläfferquelle sprudeln dann 900.000 Kubikmeter am Tag. Im Winter liegt sie hingegen fast trocken. Bisher kam die Stadt mit dem Wasser aus den Bergen das ganze Jahr über aus.

Ob das auch so bleibt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Der Klimawandel beschäftigt auch die MA 31. "Wir beobachten die Situation", sagt Kling. Sollte sich das Klima nachhaltig ändern, könnte sich das auch auf die Wasserverhältnisse der Region schlagen. Der alpine Raum erweist sich als besonders sensibel. Laut Prognosen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) könnte es hier bis zum Jahr 2100 um mindestens fünf Grad wärmer sein als 1880. Zur Erinnerung: Das Pariser Klimaziel liegt bei 1,5 Grad. Ein derartiger Temperaturanstieg hätte enorme Auswirkungen auf den Niederschlag. Die Schneegrenze würde steigen, Trockenperioden würden zunehmen, genauso wie der Starkregen. "Bisher haben sich die jährlichen Niederschlagsmengen am Hochschwab, Schneeberg und auf der Rax kaum verändert. Sie verteilen sich nur anders. Früher hatten wir viele Tage mit klassischem Landregen, heute wenige Tage mit Starkregen und dazwischen lange Trockenperioden", sagt Kling. Das hat Einfluss auf das Wiener Wasser. Nach Starkregen wird es trüber. In Trockenperioden wird es knapp. Grund zur Panik gibt es allerdings keinen. "In der Reihe der möglichen Auswirkungen des Klimawandels steht die Wiener Wasserversorgung nicht an vorderster Front", sagt Kling.

Zum Wassersparen will die MA 31 trotzdem aufrufen. "Auch aus Respekt vor der Ressource. Wasser ist ein kostbares Gut, ein Lebensmittel. Es sollte nicht verschwendet werden." In Wien rinnt das Lebensmittel die Kloschüssel runter. Purer Luxus, in den Augen von Touristen, die aus Gegenden kommen, in denen sie Trinkwasser im Supermarkt kaufen und nach Hause schleppen müssen. Die Melange auf dem Kaffeehaustisch beeindruckt sie weniger. Kaltes, klares Trinkwasser zur freien Entnahme an jeder Ecke schon mehr.