Über 270.000 Menschen pendeln laut Statistik Austria täglich nach Wien. Tendenz steigend. Zwei Drittel davon kommen mit dem Auto. Dem Verkehrsclub Österreich (VCÖ) zufolge werden in ganz Österreich pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen CO2 auf dem Arbeitsweg verursacht. Die Stadt Wien ist sich der Belastung für die Wiener Wohnbevölkerung bewusst. Im Regierungsprogramm der rot-pinken Stadtregierung ist zu lesen: "Unser Ziel ist es, bis 2030 die Zahl der Pkw-Pendler zu halbieren." Wie die Reduktion konkret aussehen soll, wird nicht ausgeführt. Auch das Fehlen der gesamten Ostregion in der jüngsten Klimaticket-Strategie, die ein wichtiger Beitrag zum klimaneutralen Pendlerverkehr werden sollte, lässt viele Fragen offen.

Die "Wiener Zeitung" hat bei politischen Entscheidungsträgern und Experten nachgefragt, wie der Umstieg auf klimafreundliche Pendlervarianten gelingen soll und welche konkreten Pläne vorliegen.

Parken und Öffi-Ausbau

Die Antwort aus dem Büro der zuständigen Stadträtin für Mobilität, Ulli Sima (SPÖ), ist kurz gehalten. Sie verweist auf zwei Punkte: das flächendeckende Parkpickerl, das in Wien ab 1. März 2022 gilt, und den Ausbau von Straßenbahnlinien. Die neue Linie 27 soll etwa ab dem Jahr 2025 die Bezirke Floridsdorf und Donaustadt verbinden.

Die Rückmeldungen aus dem Land Niederösterreich, aus dem die meisten Pendler nach Wien kommen, sind anschaulicher. Das Land setzt seit Jahren auf das Konzept Park&Ride und Bike&Ride. Die meisten neuen Parkplätze sollen an der Bahnachse nach Norden Richtung Bernhardsthal, an der Marchegger Ostbahn und an der Westachse, die über Purkersdorf und Tullnerbach-Pressbaum führt, gebaut werden. Außerdem soll die Pottendorfer Linie bis 2023 fertiggestellt werden. Auf der Strecke, die Meidling und Wiener Neustadt verbindet, wird ein zweiter Gleisstrang verlegt. Die Südstrecke ist stark befahren. Laut ÖBB kommen rund 40 Prozent der Wien-Pendler aus dieser Richtung. Schließlich verweist das Land Niederösterreich noch auf die kürzeren Intervalle der Badner Bahn, die seit Dezember 2020 gelten.

Die Einführung des flächendeckenden Parkpickerls in Wien stößt vielen Umlandgemeinden sauer auf. Sie befürchten, dass sich die Parkproblematik von den Wiener Außenbezirken auf die Vororte verlagert. Um die Wogen zu glätten, hat sich die Stadt Wien bereits 2019 finanziell an der Errichtung von Park&Ride-Anlagen beteiligt. Niederösterreich fordert nun wieder Geld für neue Stellplätze.

Wien und Niederösterreich wollen das bundeslandübergreifende öffentliche Verkehrsnetz ausbauen. Einigungen gibt es aber noch keine. Zankapfel ist natürlich das Geld. Das solle nicht nur von beiden Ländern, sondern auch vom Bund kommen. Prinzipiell bleibt der Ton zwischen Wien und Niederösterreich aber friedlich: "Niederösterreich und Wien haben die gleichen Zielvorstellungen. Es geht darum weniger Autos auf die Straße und mehr Menschen in die Busse und Züge zu bringen", so der niederösterreichische Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP). Pendlern sollten bessere Angebote gemacht und nicht gestraft werden, schließlich erwirtschafte die niederösterreichische Bevölkerung ein Viertel der Wiener Wirtschaftsleistung.

Grüne kritisieren Lobautunnel

Die Wiener Grünen sind mit den Maßnahmen der Stadtregierung zur Eindämmung des motorisieren Pendlerverkehr keinesfalls einverstanden. Größter Kritikpunkt ist der Lobautunnel. Kilian Stark, Verkehrssprecher der Wiener Grünen verweist darauf, dass im Ausbau von Straßenbahnen und der Revitalisierung teils brachliegenden S-Bahngleise ein großes Potenzial stecke. Außerdem sei es um ein Vielfaches billiger als der Tunnel- und U-Bahn-Bau. "Internationale Beispiele zeigen, dass der Oberflächenverkehr eine sehr günstige Alternative ist. Aber, den Platz, wo eine Bim fährt, den hat halt dann das Auto nicht.", sagt Stark. Um den Pendlerverkehr klimaneutral zu gestalten, sei laut Stark ein Ausbau der Tangentiallinien nötig - also Öffi-Strecken, die Außenbezirke miteinander verbinden. Mit dem Bau beziehungsweise Ausbau der Straßenbahnlinien 25 und 27 arbeitet die Stadt bereits in diese Richtung. Der Bedarf nach solchen Strecken sei aber größer. Die Grünen schlagen vor, Radwege in die umliegenden Gemeinden zu erweitern, die Parkraumbewirtschaftung kleinteiliger und preisliche gestaffelt zu organisieren sowie die Einführung einer Citymaut.

Umstieg in kleinen Schritten

Eine Studie der Arbeiterkammer Wien, Niederösterreich und dem Burgenland aus dem Jahr 2015 zeigt, dass große Bauprojekte nur bedingt Veränderungen herbeiführen. Es braucht Anpassungen im Kleinen. Zwei Drittel der Pendler wohnen näher als drei Kilometern bei einem Bahnhof. Aber nur ein Drittel nutzt die Bahn.

Michael Schwendinger vom VCÖ verweist darauf, dass es Verkehrskonzepte für die "letzten Meilen" brauche. Radstellplätze können ein wichtiger Ansatz sein. Es gibt aber auch Möglichkeiten, diese Kurzstrecken mit Rufbussen, Sammeltaxis, Carsharing oder Radleihsysteme zu überbrücken. Ein positives Beispiel, wie sich Gemeinden aktiv einbringen können, ist Werfenweng. Dort werden Pendler eingeladen, mit der Gemeinde einen Vertrag abzuschließen. Die Vertragsnehmer verpflichten sich, umweltverträgliche Mobilität zu nutzen, die Gemeinde, diese Fortbewegung auch zur Verfügung zu stellen.

Laut Schwendinger bräuchte es auch eine Entzerrung der Stoßzeiten, sowohl im Pkw- als auch Öffi-Verkehr. So können Staus und überfüllte Züge oder Busse vermieden werden. Einen wichtigen Beitrag dazu könnten Arbeitgeber leisten, indem sie mit Beschäftigen Vereinbarungen über gestaffelte Beginnzeiten treffen. So werde der Bau von zusätzlicher Infrastruktur vermieden und die verfügbare besser genutzt. Unternehmen hätten aber noch mehr Handlungsmöglichkeiten, denn es gehe immer um die Frage, wie Beschäftige in die Arbeit kommen. Sie könnten etwa Öffi-Jobtickets, Dienstfahrräder oder E-Pkw als Dienstautos bereitstellen, Parkplätze reduzieren oder Videokonferenzen statt Dienstreisen forcieren. Der VCÖ plädiert daher für ein verpflichtendes Mobilitätskonzept ab 50 Beschäftigte.

Neben großen Bauprojekten zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht es also viele kleine Schritte und kreative Ideen, um Pendler zum Mobilitätsumstieg zu bewegen. Während der Öffi-Ausbau lange Vorlaufzeiten hat und politischer Diskussionspunkt bleibt, können Gemeinden, Arbeitgeber und Pendler selbst auch einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten.