Die Absicht war ehrenwert. Die Uchatiusgasse im dritten Bezirk, benannt nach dem Militärtechniker Franz Uchatius sollte künftig auch die Grafikerin Marie von Uchatius zur Namenspatronin haben. Doch daraus wurde nichts. "Auf Grund der von Maria von Uchatius angestrebten Mitgliedschaft bei der NSDAP hat sich der Unterausschuss für Verkehrsflächenbenennungen gegen diese Ergänzungsbenennung ausgesprochen", ließ die zuständige Magistratsabteilung 7 den Bezirksvorsteher wissen. So bleibt die Uchatiusgasse weiterhin dem Erfinder des Luftkriegs vorbehalten, mit dessen Konstruktionen Österreich 1849 das aufmüpfige Venedig bombardierte. Benennungen und Umbenennungen gehören wie das Aufstellen und Entfernen von Denkmälern oder die Präsentation von Ausstellungen zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

In Wien führt das oft zu heftigen Diskussionen oder zum Versuch, Geschichte zu verdrängen. Aktuelles Beispiel: Die Ausstellung "Der kalte Blick" im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) am Heldenplatz. Margit Berner, Kuratorin der Somatologischen und der Abguss-Sammlung am Naturhistorischen Museum, stieß 1997 auf eine Schachtel mit Fotos von jüdischen Bewohnern der polnischen Stadt Tarnow. Die Bilder im Stile von Fahndungsfotos ließen die Wiener Anthropologinnen Elfriede Fliethmann und Dora Kahlich im März 1942 anfertigen und die Fotografierten dazu penibel vermessen und katalogisieren. Die beiden Wissenschafterinnen hofften, mit ihren Studien zur Unterstützung der NS-Rassenlehre rascher Karriere zu machen. Die von ihnen Untersuchten wurden kurz nach der Erfassung am Stadtrand von Tarnow erschossen oder in die Vernichtungslager deportiert.

Mahnmal gegen Krieg und Faschismus. Erst das Machtwort des damaligen Bürgermeisters Helmut Zilk ermöglichte die Aufstellung von Alfred Hrdlickas Opus Magnum bei der Albertina. - © Schmid
Mahnmal gegen Krieg und Faschismus. Erst das Machtwort des damaligen Bürgermeisters Helmut Zilk ermöglichte die Aufstellung von Alfred Hrdlickas Opus Magnum bei der Albertina. - © Schmid

Im Zuge der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Projekts von Fliethmann und Kahlich gelang es Margit Berner sogar, einige der wenigen Überlebenden aus Tarnow oder deren Nachkommen ausfindig zu machen. Für die Gestaltung einer Ausstellung, damit die Ergebnisse ihrer Arbeit auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich würden, gab es in Wien jedoch kein Interesse. Erst die Kooperation mit dem deutschen Historiker Götz Aly und der Berliner Stiftung Topografie des Terrors machte aus Berners Forschungsresultaten die sehenswerte Ausstellung, die das hdgö bis 14. November zeigt, bevor sie nach Berlin zurückgeht.

Wiener Gedächtniskultur anno 2021.

Ein offener und breiter wissenschaftlicher Diskurs scheint speziell bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Wien noch immer nicht so einfach zu sein. Warum? Der Historiker und vormalige Generaldirektor des Staatsarchivs Wolfgang Maderthaner konstatiert einen latenten Konflikt, der sich aus mangelndem Geschichtswissen einerseits und einem Übermaß an moralischem Antrieb andererseits ergebe. Er formuliert das so: "Gedenkkultur ist das Ende der Geschichtswissenschaft, wenn sie moralisch postuliert ist und der moralischen Satisfaktion der sie Betreibenden dient." Es brauche daher vor allem eine "Wiederverwissenschaftlichung der Erinnerungskultur". Denn, so Maderthaner, "der Blick in die Geschichte eröffnet Abgründe, die analysiert und erklärt werden müssen." Er verweist in diesem Zusammenhang auf die aktuelle Debatte um das Lueger-Denkmal am Stubentor, bei der er "die Darstellung der realen Ambivalenz" vermisst.

Für Maderthaners jüngere Historikerkollegin Linda Erker, die sich an der Uni Wien intensiv mit Fragen der Erinnerungskultur befasst, hat die Wissenschaft nicht nur die Aufgabe, die Geschichte zu erforschen, sondern auch zu vermitteln und den Bezug zur Gegenwart herzustellen. "Ein kleines Taferl an einem Denkmal ist da oft zu wenig." Vor allem aber müsse bei aller Einbindung von Bevölkerung und Politik die inhaltliche Kontextualisierung durch Fachleute vorgenommen werden. Wenn selbst dies nicht reichen sollte, dann sind Umbenennungen oder Denkmalentfernungen für Erker kein Tabu. "Geschichte wird gemacht und bedeutet per se Veränderung. Die Stadt gehört allen und nicht dem Geschichtsbuch."

Wie hält es nun die Stadtpolitik mit der Gedenkkultur? Die Wiener Zeitung hat sich umgehört. (Keine Stellungnahme kam von VP und FP.) Für die Neos hat beim Diskurs um die NS-Vergangenheit die Einbindung von Institutionen der Zivilgesellschaft wie des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands oder des Wiesenthal-Instituts zentrale Bedeutung. Wichtig ist den Liberalen zudem die Kontextualisierung im öffentlichen Raum.

Deutlich radikaler zeigt sich da Grünen-Gemeinderätin Ursula Berner. Sie will personenbezogene Denkmäler in einen Skulpturengarten verfrachten, in dem "die vergangenen Heldenposen als das decouvriert werden können, was sie sind: Konstrukte, die es zu überwinden gilt." In der Stadt verblieben die Sockel, die zu kreativer Neunutzung einladen. Berners Kollege Niki Kunrath wünscht sich bessere Kommunikation historischer Hintergründe und Zusammenhänge und führt als Beispiel das Deserteursdenkmal an, dessen Sinn und Zweck den Menschen auch mit Foldern nahegebracht werden sollte.

Der Historiker und SPÖ-Gemeinderat Gerhard Schmid sieht in von Fachleuten geführten Stadtspaziergängen, wie sie das Mauthausenkomitee anbietet, eine ideale Möglichkeit, Gedenkkultur unmittelbar zu leben. Mit dezentralen Ausstellungen kann ergänzend eine gute didaktische Vermittlung der Zeitgeschichte erfolgen. Die Erinnerungsarbeit des Mauthausenkomitees lobt auch Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler, die betont, dass die Stadt Wien in ihren zahlreichen Museen und Gedenkstätten "die lokale Geschichte regelmäßig aufbereitet". Weniger Freude hat Kaup-Hasler mit Personen-Denkmälern. Diese "stellen keine adäquate Ausdrucksform für Erinnerungskultur im 21. Jahrhundert dar." Allerdings will sie die Statuen nicht gleich verräumen. Bei der Diskussion um problematische Objekte wie das Lueger-Denkmal brauche es den "Brückenschlag zwischen Wissenschaft, Kunst, Politik, Verwaltung und Denkmalschutz."

Völlig einig sind sich die Befragten aus Politik und Wissenschaft in ihrer Einschätzung des alljährlichen Großereignisses der Wiener Erinnerungskultur, des "Festes der Freude" auf dem Wiener Heldenplatz. Es herrscht einhellige Freude darüber, dass der 8. Mai nunmehr als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus etabliert ist.