Ein Paar sitzt auf der Donauinsel. Sie: "Host g’heart? Wien is wieder zur lebenswertesten Stadt g’wöhlt worden." Er: "Wos, woanders is no g’schissener?"

Dieser Dialog ist aus dem Wiener Alltagsleben gegriffen - und ebenso wenig erfunden wie der folgende: Beim Billa Längenfeldgasse, ein älterer Herr: "Kann ich die Kondome umtauschen?" Verkäuferin: "Wieso, san s’ zu groß?"

Aufgeschrieben und publiziert hat diese Geschichten gelebter und gehörter Alltagspoesie in der Bundeshauptstadt der Autor Andreas Rainer (40). Insgesamt 750 solche und ähnliche Geschichten hat er seit 2017 zusammengetragen und auf seinen Seiten veröffentlicht. (www.wieneralltagspoeten.at, www.instagram.com/wieneralltagspoeten/ und www.facebook.com/WienerAlltagspoeten/) Sie wurden zu richtiggehenden "Kultseiten". Heute hat Rainer insgesamt fast eine Viertelmillion Follower.

Begonnen hat alles mit zwei Handvoll Fans. Dabei ist Andreas Rainer im Medial-Verhalten "eher Retro". Er meint zur "Wiener Zeitung": "Ich lese alles Gedruckte. Ich liebe Bücher." Er habe aber bald begriffen, dass seine Sprüchesammlung zum Verbreitungs-Erfolg die Neuen Medien braucht. Jetzt aber ist ein Teil der Sprüche erstmals auch in Buchform "Wiener Alltagspoeten" im Wiener Milena-Verlag erscheinen. Das kleine, engagierte Unternehmen um Vanessa Wieser hat es bereits bis zur dritten Auflage gebracht.

Andreas Rainer hatte seinen Zivildienst beim Holocaust Memorial Centre in Montreal absolviert. Nach seiner Rückkehr und dem langen Entzug des Wienerischen entdeckte er, "dass in Wien die Poesie auf der Straße liegt". Er begann, mitgehörte Dialoge auf der Straße, in Verkehrsmitteln und Kaffeehäusern aufzufangen, niederzuschreiben und zu posten. Täglich sitzt er etwa zwei Stunden bei seiner Dokumentationsarbeit. "Ich habe kein monetäres Interesse", betont er. Rainer beantwortet "jede einzelne Zuschrift". Das macht ihm alles "ungeheuren Spaß". Die Philosophie der Tätigkeit beschreibt er im Vorwort: "Für Sekundenbruchteile sind wir Statist im Leben eines Unbekannten, doch bevor wir eine tragende Rolle einnehmen, sind wir auch schon wieder vorbei." Die anwachsende Fangemeinde spornte ihn an und lieferte selbst gesammelte Dialoge und Wortfetzen für das immer größer werdende Sprüche-Archiv. Weitere Beispiele des Schaffens der Wiener Alltagspoeten:

Bus, Linie 26A, Fahrgast: "Entschuldigung, Sie haben da Ihre Jacke verloren." Frau: "Das ist mein Hund."

5. Bezirk, Beislwirt: "Servas Peter." Gast: "Gusch, schenk ein."

1. Bezirk, Café Diglas, ältere Dame: "Sind die Torten frisch?" Kellner: "Zwei waren nicht frisch - aber die sind eh schon weg."

Auch Lokalpatriotismus kommt nicht zu kurz. Ein Beispiel: "Mei Wien is ned deppad!"

Die Website selbst macht Rainer aber tatsächlich mutterseelenalleine: "Ich wünschte, behaupten zu können, dass ich die Sprüche selbst erfinde - aber die Sprüche der Wiener Alltagspoeten kann man sich gar nicht ausdenken, denn sie können nur in der Wirklichkeit Wiens stattfinden."