In Pandemiezeiten trinken die Wienerinnen und Wiener mehr Alkohol. Das zeigen zumindest von der Stadt Wien in Auftrag gegebenen Studien, die sich auf die Jahre 2020 und 2021 beziehen. "Was das Trinkverhalten betrifft, haben 2020 noch rund 15 Prozent der Befragten gemeint, dass sie mehr trinken als sonst, 2021 waren das dann schon 30 Prozent", erklärte der Wiener Sucht- und Drogen Koordinator Ewald Lochner in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" am Mittwoch.

Diese Zahlen würden sich auch mit der zunehmenden Nachfrage der Beratungsangebote der Sucht- und Drogenkoordination decken. "Es kommen zwar noch nicht viel mehr Menschen zu uns, aber jene die kommen, sind wesentlich kränker und müssen mehr Leistungen in Anspruch nehmen, weil sie eben in den vergangenen zwei Jahren wesentlich mehr Alkohol konsumiert haben als davor", so Lochner.

Generell sei zu beobachten: Jene Menschen, die schon vor der Pandemie einen problematischen Alkoholkonsum hatten, haben in der Zeit der Pandemie noch mehr getrunken. Stellt sich nur die Frage: Ab wann kann man von einem problematischen Alkoholkonsum sprechen? Lochner: "Weltweit sieht man die Gefährdungsgrenze für Männer momentan bei drei großen Bieren am Tag oder 0,75 Liter Wein. Bei Frauen ist es ein Liter Bier oder ein halber Liter Wein - und das sieben Tage die Woche beziehungsweise 365 Tage im Jahr. Bei dieser Menge spricht man dann von gesundheitsgefährdendem Alkoholkonsum."

Zu Hause wird mehr
getrunken als in Gesellschaft

Wobei jene Menschen, die schon vor der Pandemie bedenklichen Alkoholkonsum hatten, dazu neigen würden, zu Hause mehr zu trinken als in Gesellschaft, wie Lochner ausführt. "Das Alleinsein zu Hause oder maximal im engen Familienverbund erleichtert das Trinken mit Sicherheit, weil es weniger soziale Kontrolle gibt. Denn in Restaurants oder Bars gibt es einen Alkohol-Level, der irgendwann nicht mehr erwünscht ist. Zu Hause ist der Weg zum Bett ein kurzer und man steht nicht im Fokus anderer Menschen", meint der Experte. Und das wiederum gehe auch mit jenen Zahlen einher, die während der Lockdowns eine erhöhte Gewaltbereitschaft zu Hause aufzeigen würden. Dabei gehe es aber nicht um die Lockdowns an sich, sondern um die psychischen Belastungen, die sich durch die Pandemie verstärkt haben.

Und hier seien laut der Studie vier Punkte ausschlaggebend. Der sozioökonomische Faktor: Das untere Einkommensdrittel leide wesentlich mehr unter psychischen Belastungen und sei daher auch stärker vom Alkoholismus betroffen als das obere Einkommensdrittel. Der geschlechtsspezifische Faktor: Mit einem Anteil von zwei Drittel seien hier Frauen am meisten gefährdet. Der Altersfaktor: Menschen unter 35 Jahren seien in Wien wesentlich mehr psychisch belastet als alle anderen. "Da geht es um Jugendliche, aber auch um junge Erwachsene, die ihre sozialen Kontakte nicht ausleben können." Und der Versorgungsfaktor: Auch Homeoffice und gleichzeitiges Homeschooling haben demnach in den Lockdowns zu einer starken psychischen Belastung geführt - vor allem bei den Frauen.

Wiener trinken 18,5 Liter Reinalkohol pro Jahr

Im Übrigen habe bereits vor der Pandemie Österreich laut OECD-Zahlen als Alkohol-Hochkonsumland gegolten - mit durchschnittlich 12 Liter Reinalkohol pro Kopf und Jahr. Auf die Geschlechter aufgeteilt waren es bei den Männern gar 18,5 Liter und bei den Frauen 5,8 Liter Reinalkohol pro Kopf und Jahr. "Als Gesundheitsversorger in Wien müssen wir auf so etwas reagieren und wir haben es schon damals so getan, dass wir die sowohl die Ressourcen in der psychosozialen Versorgung verstärkt haben, also auch jene für konkrete Entwöhnungsmaßnahmen." Wichtig sei, dass die Menschen überhaupt erst einmal erkennen, dass sie ein Problem haben. Dafür wurde etwa der "Alkcoach" (www.alkcoach.at) ins Leben gerufen, wo man testen kann, ob man gefährdet ist oder nicht beziehungsweise auch gleich erfährt, wo man Hilfe findet.

Im zweiten Schritt müsse es möglich sein, rasch und unbürokratisch eine Behandlung zu bekommen. Das reicht vom Führen eines Trinktagebuchs über ein wöchentliches "Entlastungsgespräch" bis hin zu stationären Therapien. "Wir bieten hier z.B. spezielle Programme für Berufstätige an, damit sie normal weiter arbeiten können - hier findet die Behandlung sehr engmaschig an mehreren Tagen in der Woche auch zu Tagesrandzeiten in einem ambulanten Setting statt", erklärt Lochner.