Der Krieg in der Ukraine hat die Corona-Pandemie mit einem Schlag von den Titelseiten geholt. Dabei hat sich das Infektionsgeschehen, das zuvor die Berichterstattung in Österreich maßgeblich geprägt hat, wenig verändert. Erst diesen Mittwoch wurden aus den Bundesländern wieder knapp 40.000 Neuinfektionen gemeldet, die neue Omikron-Spielart BA.2 gewinnt an Dominanz und wird die aktuelle Welle, so die Prognosen, verlängern. Dennoch fallen am Samstag weitgehend alle beschränkenden Maßnahmen. Bis auf Wien, dort bleibt in der gesamten Gastronomie die 2G-Regel bestehen.

Wien schert damit, zum wiederholten Mal, aus dem bundesweiten Kanon aus. Anderswo bleibt nämlich ab Samstag im Wesentlichen sonst nur noch eine Maßnahme, nämlich die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und dem "lebensnotwendigen Handel", also im Supermarkt, in Drogerien, Apotheken, Postfilialen und Banken.

Strenger bleiben sonst nur die Regeln für Besuche in Pflegeheimen und Spitälern, wobei diese teilweise ohnehin eigene Hausordnungen haben, um Einschleppungen zu verhindern. In Wien ist zum Beispiel ein negatives Testergebnis vorzuweisen. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat Anfang der Woche bestätigt, dass aber auch die 2G-Regel (geimpft, genesen) in der Gastronomie bleiben wird. Vorerst zumindest. Das heißt, auch in Wien wird etwa die Nachtgastronomie aufsperren und die Sperrstunde fallen, Zutritt haben aber nur Geimpfte und Genesene. Anders als in den übrigen Bundesländern wird in Wien auch die Maskenpflicht in sämtlichen Innenräumen fortgesetzt - eine Maßnahme, die auch von Experten begrüßt und auch für ganz Österreich gefordert wird.

Wie lange die 2G-Maßnahme in Wien bestehen bleibt, hat Ludwig nicht gesagt, wobei auch der Verfassungsgerichtshof dazwischenfunken könnte. Dort wird seit dieser Woche unter anderem diese Einschränkung verhandelt, mit einer Entscheidung ist frühestens Mitte März zu rechnen. Da es sich um eine Verordnung des Bundes dreht, wäre Wien von einer etwaigen Aufhebung zwar nicht direkt betroffen, jedoch wäre es schwer vorstellbar, dass Ludwig eine vom VfGH gekippte Regelung belässt.

Im Februar hatte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk gegenüber der "Wiener Zeitung" darauf hingewiesen, dass Bundesländer, die schärfere Maßnahmen als der Bund beschließen, in der Pflicht sind, dafür eine sachliche Begründung zu liefern.

Wien argumentiert unter anderem mit der Belegung der Spitäler. Tatsächlich offenbart sich in Wien eine fast ähnlich hohe Belastung der Normalstationen wie zu den Höhepunkten im Herbst 2020 sowie im Frühjahr 2021. Es liegen auch deutlich mehr Patienten mit Covid-19 in den Krankenanstalten der Stadt als bei der Delta-Welle im Herbst. In Oberösterreich ist es genau umgekehrt.

In Wien sind die
Spitäler stark belastet

Dass Wien hinsichtlich des Erkrankungsgeschehens von der Omikron-Welle stärker betroffen ist als etwa Salzburg und Oberösterreich, wo im Herbst die Lage eskaliert war, erscheint auf den ersten Blick nicht unlogisch. In diesen beiden Bundesländern gab es mehr Infektionen und auch mehr (schwer) Erkrankte.

Ein einzelnes immunologisches Ereignis, also etwa eine überstandene Infektion, bietet zwar keine ausreichende, jedenfalls nicht dauerhafte Immunität, aber wohl einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen. Kann das eine Erklärung sein, warum in Wien die Spitäler derzeit stärker belastet sind? Martin Bicher aus dem Team von Simulationsforscher Niki Popper berechnete für Wien tatsächlich weniger Genesene, der Unterschied ist aber gering. Allerdings könne man sich die Frage stellen, ob der Unterschied vielleicht stärker zu gewichten sein müsste, da die Dunkelziffer in Wien durch das Testprogramm wahrscheinlich geringer ist.

Laut dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ist etwa die Hälfte der derzeit rund 80.000 mit dem Coronavirus infizierten Personen in Wien ungeimpft. Dabei ist dies die deutlich kleinere Gruppe, in Wien beträgt die Impfquote etwa 70 Prozent. Auch das Gesundheitsministerium hat gegenüber dem VfGH in der Verteidigung seiner Maßnahmen darauf hingewiesen, dass Geimpfte ein niedrigeres Risiko haben, sich zu infizieren, das Virus weiterzugeben und "zudem haben Geimpfte und rezent Genesene ein deutlich niedrigeres Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs". Unter anderem deshalb hält das Ministerium die Maßnahme für verhältnismäßig und daher für verfassungskonform.

2G und Lockdown für Ungeimpfte wirkten kaum

Das ist aber nur die Theorie. Eine Maßnahme kann nur wirken, wenn sie auch eingehalten wird. Und das dürfte bei der 2G-Regel sowie beim Lockdown für Ungeimpfte nur bedingt der Fall gewesen sein. Darauf deutet jedenfalls eine aktuelle Befragung des Austrian Corona Panel der Uni Wien hin. Das Ergebnis ist ernüchternd. "Für die Pandemiebekämpfung hat es uns wenig geholfen", sagt die Forscherin Julia Partheymüller von der Universität Wien.

Die Häufigkeit von Kontakten nahm bei Geimpften und Ungeimpften gleichermaßen zu, obwohl für die zweite Gruppe noch Ausgangsbeschränkungen galten. Warum? Menschen orientieren sich in ihrem Verhalten auch an anderen Menschen, sagt Partheymüller. Wenn alle Einkaufen gehen, tun sie es auch, selbst wenn sie nicht dürfen. Auch der Aspekt der Fairness könnte eine Rolle spielen. Wenn Regeln als ungerecht empfunden werden - die Wahrnehmung ist hier entscheidend -, sinkt deren Akzeptanz.

Diese Erkenntnisse basieren zwar auf einer Befragung (von 1.200 Personen), decken sich aber auch mit Analysen der Mobilitätsdaten. Das ist auch rechtlich relevant: Wie wirksam eine Maßnahme ist, spielt auch bei deren verfassungsrechtlichen Beurteilung eine Rolle.