Mehr als 50 Jahre lang war Manfred Müller seiner Bank treu. Ein Kunde, wie ihn sich jedes Finanzinstitut nur wünschen kann: Höherer Beamter des Innenministeriums, sicheres gutes Einkommen, pünktliche Zahlungen, keine Probleme. Solche Kunden braucht die Bank. Mit 76 Jahren gab es einen Engpass in Müllers Leben. Nun brauchte er seine Bank, genauer gesagt: einen Kredit. Doch da interessierte sich das Geldinstitut auf einmal nicht mehr für ihn. Der Kredit wurde abgelehnt, obwohl von der Papierform nichts dagegen sprach, ihn zu gewähren. Altersdiskriminierung ist eine Grauzone. Theoretisch verboten, greift der gesetzliche Schutz nur im Arbeitsbereich. Geht es jedoch um Dienstleistungen, so sind Senioren dem Wohlwollen ihres Gegenübers ausgeliefert.

"Altersdiskriminierung ist jener Diskriminierungsgrund, den wir voraussichtlich alle erleben werden", sagt Daniela Grabovac von der Antidiskriminierungsstelle Steiermark. Gemeinsam mit den anderen Landesstellen und Seniorenverbänden beanstandet sie seit Jahren, dass Pensionisten bei Banken, Versicherungen oder Mieten benachteiligt werden - und zwar ausschließlich aufgrund ihres Alters. Wie auch Manfred Müller.

Kreditlos wegen Todesgefahr

- © mast3r - stock.adobe.com
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Müller, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hatte eines Tages unerwartete Ausgaben. In seinem Zuhause in Ottakring standen notwendige Erneuerungsarbeiten an. Auch sein altes Auto war nicht mehr rentabel - ein neues sollte her. Ein paar tausend Euro wollte er sich dafür borgen. Nicht unbedingt wenig, doch von seiner Pension her wären die Raten eigentlich kein Problem gewesen. Sein Bankbetreuer, der in guten Zeiten stets freundlich gewesen war, entpuppte sich allerdings plötzlich als Rüpel. Er lehnte den Kredit ab - unverhohlen mit Verweis auf Müllers Alter. Der jahrzehntelange Kunde könne ja jederzeit sterben. Müller meinte zwar, dass das auf so gut wie alle Menschen zutreffe - den Kredit bekam er trotzdem nicht.

Ab dem 75. Lebensjahr ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Bank die Kreditkarte einzieht. - © stock.adobe.com / Krakenimages.com
Ab dem 75. Lebensjahr ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Bank die Kreditkarte einzieht. - © stock.adobe.com / Krakenimages.com

Die Reaktion des Bankangestellten ist auch für Franz Rudorfer von der Wirtschaftskammer Österreich inakzeptabel. "Zu sagen, dass ein Mensch mit 76 Jahren keinen Kredit mehr bekommt, ist nicht nur ungeschickt; es stimmt so auch nicht", erklärt der Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherung. Solange Bonität und Rückzahlbarkeit gewährleistet seien, spreche nichts gegen eine Kreditvergabe. Das gelte für alle Kunden gleichermaßen. Allerdings gebe es schon Vorgaben - national wie auch international -, dass das Alter eine Rolle zu spielen hat.

Gerade seit der 2007 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise wurden die Vorschriften bei der Kreditvergabe verschärft, um künftig Ausfallszenarien zu reduzieren. "Die Bankenregulierung ist sehr streng geworden. Da werden Mitarbeiter bestraft, Vorstände bestraft - alle haben Angst vor Konsequenzen", sagt Rudorfer. Ein verärgerter Kunde scheint da manchem Bankangestellten offenbar das geringere Übel zu sein gegenüber einem möglichen Kreditausfall.

Zudem gibt es bei vielen Banken intern klare Vorgaben, bis zu welchem Alter ein Kredit vergeben wird. "Das fängt in Österreich mittlerweile schon bei 50 Jahren an, dass ich nur noch schwer einen Kredit bekomme", sagt Grabovac. "Ab dem Pensionsalter gibt es ohnedies so gut wie keinen mehr. Da reden wir jetzt gar nicht von Wohnungskrediten, sondern von kleineren Summen, wie dem Wohnungsumbau oder gar dem neuen Fernseher."

Dass eine Bank zögert, einem 85-jährigen Mindestpensionär ohne Vermögen einen 500.000-Euro-Kredit zu geben, ist grundsätzlich nichts, was auf Unverständnis stoßen würde. Im Fall von Herrn Müller war das Ausfallrisiko allerdings faktisch nicht vorhanden. Denn er nennt ein Haus und ein ansehnliches Grundstück sein eigen - beides ausbezahlt. Ein Umstand, auf den er auch seinen Betreuer bei der Bank hingewiesen hatte - ohne, dass das etwas geändert hätte.

Doch wieso erhält jemand wie Herr Müller trotz ausreichender Sicherheiten keinen Kredit? Eine Frage, die zunächst offenblieb, da dem Fall nicht konkret nachgegangen werden kann. Müller hat zwar Zeugen für seine Erlebnisse, besteht aber auf seiner Anonymität. Eine mögliche Antwort hat man allerdings im Büro der Präsidentin des Seniorenbundes Ingrid Korosec. Dort kennt man Fälle wie jenen von Müller zur Genüge. "Die Bank hat im Fall des Ablebens zwar einen direkten Anspruch aus der Erbmasse. Doch das ist nicht nur mit Verwaltungsaufwand, sondern auch mit Wartezeit verbunden. Vielen Banken ist die Aussicht darauf zu mühsam", erklärt Pressesprecher Alexander Maurer.

Der Haken am Grundbuch

Allerdings ist die Angelegenheit in diesem Fall auch ein zweischneidiges Schwert. Denn in Österreich achtet man derzeit darauf, dass die Kreditraten aus dem laufenden Einkommen beglichen werden. Würde älteren Menschen das Recht eingeräumt werden, ohne entsprechende Einkünfte einen Kredit nur auf Basis ihrer Sicherheiten zu erhalten, so wäre das etwas, das dann auch anderen Altersklassen gewährt werden müsste. Das wiederum hätte zur Folge, dass es in Zukunft vermehrt dazu kommen würde, dass Kreditsäumige Haus und Hof veräußern müssten, um ihre - vielleicht sogar geringen - Ausstände zu begleichen.

Doch so weit müsse es gar nicht kommen, sagt Grabovac. "Das muss schon im Verhältnis stehen: Was habe ich und was brauche ich?" Sicherheiten seien immer wichtig, auch bei jungen Menschen. Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Bank für die Finanzierung der Renovierung des Bades ins Grundbuch geht. "Natürlich darf man bei der Kreditvergabe das Alter als Risiko berücksichtigen. Dementsprechend können auch nur mehr geringere Summen vergeben oder höhere Prämien verrechnet werden. Das ist absolut verständlich", sagt Grabovac. Doch der Ausschluss einer ganzen Bevölkerungsgruppe per se, das ist etwas, wogegen sie kämpft.

Rechtlich lässt sich dagegen nach derzeitiger Gesetzeslage nicht viel machen. Doch es tut sich etwas an der Front gegen die Altersdiskriminierung. Justizministerin Alma Zadic hat bereits Gespräche aufgenommen, um ein Gesetz auszuarbeiten, das Schutz vor Diskriminierung älterer Menschen bei der Kreditvergabe bietet. Letztlich sei das auch im Interesse der Banken, erklärt Rudorfer von der Wirtschaftskammer: "Wir wollen ja Kredite vergeben; das ist unser Geschäft." Zudem seien Senioren wertvolle Kunden. "Wenn man die nicht unterstützt, schneidet man sich ins eigene Fleisch. Das sind verlässliche Kunden, die in der Regel auch weniger überziehen als manch junger Mensch. Warum sollten wir die vergraulen wollen?"

Abhilfe wäre einfach

Lösen will das Zadic, indem der Schutz im Bankenwesengesetz verbrieft wird. Doch eigentlich brauche es gar kein neues Gesetz, erklärt Grabovac. "Es müsste nur der dritte Teil des Gleichbehandlungsgesetzes auf Altersdiskriminierung erweitert werden. Damit wären nämlich der Dienstleistungsbereich und somit auch die Banken umfasst." Es hätte also auch den angenehmen Nebeneffekt, dass Diskriminierungsschutz nicht nur bei Krediten gewährleistet wäre, sondern auch gleich bei allen anderen Dienstleistungen wie etwa Versicherungen oder Mieten.

Dabei ist Kreditverweigerung nur der offensichtliche Teil der Benachteiligung von Senioren. Ein anderer ist viel subtiler und auch viel schwerer zu bekämpfen: die Digitalisierung der Bank samt Kundenbetreuung.

Vor allem ältere Menschen kennen Bankgeschäfte nur analog: Es gibt Zahlscheine, es gibt zugesandte Kontoauszüge und für alles andere die nette Dame von der Stammfiliale. Bankingapps hingegen und Telefonhotlines, die letztlich wieder in E-Banking-Verweise münden, sind eine Welt, in der sie nicht aufgewachsen sind.

In Spanien gehen die Senioren deswegen auf die Barrikaden. Der 78-jährige Carlos San Juan de Laorden hat eine Onlinepetition mit dem Namen "Ich bin älter, aber nicht blöd" ("soy mayor, no idiota") gestartet. Darin prangert er an, dass selbst für einfachste Transaktionen immer mehr komplexe Technologien erforderlich sind, mit denen die meisten Älteren nicht umzugehen wissen. Gleichzeitig verschwinden Bankfilialen quasi im Tagestakt und damit die Möglichkeiten eines persönlichen Kontakts. Er und mittlerweile rund 650.000 Unterstützer fordern die Banken dazu auf, ältere Menschen ohne technologische Hindernisse und mit Geduld zu bedienen sowie ein Mindestmaß an Filialen offenzuhalten, um eine persönliche Bedienung zu gewährleisten.

Vom System zerquetscht

Senioren werden vom System regelrecht zerquetscht: Denn auf der einen Seite nimmt die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in einem für sie oft nicht mehr nachvollziehbaren Rahmen zu. Auf der anderen Seite entzieht man ihnen teilweise die Grundlage bargeldloser Zahlung: Denn mit zunehmendem Alter werden den Menschen auch ihre Kreditkarten entzogen.

Das ist auch der Grund für Herrn Müllers Anonymitätswunsch, der noch eine Visa-Karte sein eigen nennt. Denn vergangene Fälle haben gezeigt, dass es noch schlimmer kommen kann. Immer wieder melden sich Kunden ab 70 Jahren bei Antidiskriminierungsstellen, denen ihre Bank die Kreditkarte nicht mehr verlängert - trotz ausreichender Bonität und Sicherheiten. Das bestätigt Grabovac: Ab 75 Jahren werde in der Regel die Kreditkarte eingezogen mit dem Verweis darauf, dass die Leute nun nicht mehr kreditwürdig seien. Für Müller, der gerne reist, eine Horrorvorstellung. Von Reisebuchung über Hotelkaution bis hin zu einfachen Einkäufen - kaum etwas davon ließe sich mehr problemlos bewerkstelligen. Da sagt er lieber nichts, wirbelt keinen Staub auf und hofft, dass es ihn nicht trifft.

"Wenn ich mir ansehe, wie mit der älteren Generation umgegangen wird, kann ich oft nur den Kopf schütteln", sagt Seniorenbundpräsidentin Korosec. "Warum kann die Bank einem langjährigen Kunden einfach die Bankomat- oder Kreditkarte aufgrund des Alters entziehen? Viele Banken und Versicherungen verstecken sich hinter dem Begriff ,Risikoabwägung‘. Dabei ist das, was diese Institute tun, offensichtliche Altersdiskriminierung - und das müssen wir klar benennen und dagegen auftreten."

Müller erhielt letztlich Unterstützung von seiner Familie. Seiner Bank hat es nicht geschadet. Im Gegenteil: Teils aus Gewohnheit, teils aus Angst seine Situation noch zu verschlimmern, bleibt er seinem Geldinstitut auch weiterhin treu. Nur seine Tochter, die dort auch Kundin ist, hat sich auf die Suche nach einer anderen Bank gemacht.

Schließlich geht sie in 15 Jahren selbst in Pension und will nicht dasselbe Schicksal wie ihr Vater erleiden. Ob sie eine Bank findet, die ihr Kreditwürdigkeit bis ins hohe Alter zusichert, ist fraglich. Doch vielleicht gibt es bis dahin ohnedies bereits ein Gesetz, das Altersdiskriminierung verhindert.