Die Regenbogenparade, die auch unter dem Namen Vienna Pride firmiert, geht diesen Samstag am Wiener Ring über die Bühne. Rund 200.000 Menschen werden bei der Veranstaltung erwartet, die für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, intersexuellen und queeren (LGBTIQ) Menschen eintritt. Die "Wiener Zeitung" fragte bei der nicht nur aus der ORF-Show Dancing Stars bekannten Drag Queen Tamara Mascara und der Obfrau der Wiener Homosexuellen-Initiative Hosi, Ann-Sophie Otte, nach, weshalb es die farbenfrohe, schrille und laute Demonstration im Jahr 2022 braucht.

"Wiener Zeitung": Die Regenbogenparade ist eine Demo für ein ernstes Anliegen: Die Gleichbehandlung der LGBTIQ-Community. Sind laute Musik und Partystimmung geeignet, politische Forderungen zu transportieren?

Drag Queen Tamara Mascara. - © apa / Herbert Neubauer
Drag Queen Tamara Mascara. - © apa / Herbert Neubauer

Ann-Sophie Otte: Ich denke, dass es ein Misskonstrukt ist, dass viele Leute meinen, die Regenbogenparade sei eine Party. Sie ist eine sehr fröhliche und farbenfrohe Demonstration und vielleicht ein bisschen besser gelaunt als viele andere Demonstrationen. Aber im Kern ist sie eine politische Demonstration. Wenn ich öffentlich als queere Person auftrete, ist das im Kern schon politisch.

Hosi-Obfrau Ann-Sophie Otte. - © Hosi Wien
Hosi-Obfrau Ann-Sophie Otte. - © Hosi Wien

Tamara Mascara: Politischer Protest muss nicht verpflichtend traurig sein. Auch mit Freude kann man eine Message transportieren. Es ist wichtig, dass man die Leute stetig informiert, vor allem die junge Generation, die nachkommt, um was es eigentlich geht. Das ist nicht die Love Parade, wo es nur um Techno und Fun geht. Das ist eine Pride Parade. Da geht es um das Anliegen einer Gleichberechtigung.

Ihren Ursprung hat die Pride im Protest gegen Polizeiwillkür im Stonewall Inn in New York im Jahr 1969. Etwa 30 Jahre später gab es die erste Parade in Österreich. Was hat sich seither zum Positiven verändert?

Mascara: Seither hat sich irrsinnig viel für die Community verändert, bei der eingetragenen Partnerschaft, bei der Ehe. Und im Bezug auf die Legalität, dass man überhaupt schwul sein darf in Österreich. Dass man das offen Leben darf. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass das noch unter Strafe stand und man Kerker bekommen hat dafür. Es haben sich in den letzten zehn Jahren extrem viele Dinge getan, durch soziale Medien, durch den Song-Contest-Sieg von Conchita, auch durch meine Präsenz in den Medien. Die Möglichkeit war da, sich zu zeigen und ein Zeichen zu setzen. Durch die Möglichkeit haben das dann mehr Leute getan. Je mehr Leute das tun, desto lauter wird eine Bewegung.

Otte: Zum einen die Ehe-Öffnung, die 2019 gekommen ist, aber deutlich später als in vielen anderen europäischen Ländern. 2002 ist der Paragraf 209 gefallen, unter dem homosexuelle Männer diskriminiert wurden. Homosexualität ist dem gesetzlichen Schutzalter der Heterosexuellen gleichgestellt worden. Jetzt kürzlich wurde vereinbart, dass das Blutspendeverbot für Männer, die mit Männern schlafen, voraussichtlich noch dieses Jahr fallen wird. Im Großen und Ganzen muss man aber sagen, dass viele der Errungenschaften, gerade der letzten 30 Jahre, gerichtliche und keine politischen Errungenschaften waren.

Wie lässt sich die zentrale Forderung nach der Verankerung des Schutzes vor sexueller Diskriminierung in der Bundesverfassung in einem Land, das traditionell eher Mitte-rechts wählt, durchsetzen?

Otte: Im Moment sehen wir das realistisch und sind uns bewusst, dass die politischen Machtverhältnisse nicht zu unseren Gunsten sind. Wir haben mit der ÖVP seit Jahrzehnten eine Regierungspartei, die absolut auf der Bremse steht, was Menschenrechte und LGBTIQ-Rechte betrifft.

Mascara: Würd‘ man die Dinge so angehen, dass man gleich den Kopf in den Sand steckt, dann gebe es das alles nicht so, wie es heute dasteht. Zu sagen, wir können’s eh nicht ändern, ist kein Ansatz. Man muss ganz einfach konstant versuchen, den Leuten klarzumachen, dass es Menschen gibt, die so sind, wie sie sind. Das ist weder abnormal noch unnatürlich. Deshalb gehört sich das einfach, dass diese Menschen gleichbehandelt werden. Das gilt nicht nur für die LGBTIQ-Bewegung, sondern auch für die absolute Gleichberechtigung von Frauen und Männern, von transidenten Menschen. Wie kommt jemand dazu, dass er nicht die gleichen Rechte hat, wie ein heterosexueller Mann?

Was kann der Gesetzgeber Ihrer Meinung nach noch tun?

Otte: Ein erster Schritt wäre, das Gleichbehandlungsgesetz anzupassen und dort sexuelle Orientierung als ebenso schützenswert zu nennen, wie die ethnische Herkunft. Trotzdem sollte es unser langfristiges Ziel sein, in der Bundesverfassung eine solche Änderung durchzubringen. Aber natürlich muss man da realistisch bleiben: Es bräuchte andere Machtverhältnisse. Außer die ÖVP würde sich auf einmal magisch verändern. Aber daran glauben wir leider noch nicht.

Mascara: Im Grunde genommen geht es um das, was die Revolution in Frankreich schon anno dazumal gefordert hat: Egalité. Es muss Gleichheit her. Ich möchte mich nicht damit zufriedengeben, dass man sich stückerlweise an etwas annähert. Das finde ich stetig enttäuschend.

Ein Schwerpunktthema der Regenbogenparade ist auch der Krieg in der Ukraine.

Mascara: Die Communitys in Russland und der Ukraine stehen sowieso unter einer totalen Geißel. Ich fand es interessant, dass alle fassungslos waren, was da so plötzlich passiert. Aber so plötzlich passiert das nicht. Wenn man sich ansieht, wie das Putin-Regime mit der LGBTIQ-Community umgeht und mit welcher Brutalität und Härte da vorgegangen wird, darf es eigentlich niemanden überraschen. Das sind eigentlich kriegsähnliche Zustände in Russland. Es betrifft halt Randgruppen und solange es Randgruppen betrifft, interessiert es die Leute nicht. Putin hat schon lange Zeit alles andere als demokratisch oder friedlich agiert.

Otte: Wir stehen als Vienna Pride in engem Kontakt mit der Community in Kiew und in Charkow. Sie sehen erschreckende Zustände selbst in der Ukraine für LGBTIQ-Personen. Wir wissen, dass, wenn es eine feindliche russische Übernahme geben wird, die Menschenrechte dieser Personen akut gefährdet sind. Und gleichzeitig ist Polen für die LGBTIQ-Community aus der Ukraine kein sicheres Fluchtland. Für diese Menschen fordern wir, dass es ihnen ermöglicht wird, in andere EU-Länder zu flüchten, in denen sie sicher sind und dort freien Zugang bekommen. Polen hat durch die LGBTIQ-freien Zonen, die es über mehrere Jahre hatte, bewiesen, dass es LGBTIQ-Menschenrechte nicht interessieren.

Mascara: Das ist der Grund, warum es die Pride gibt. Diese Entwicklungen, die wir in Österreich geschafft haben, sind nicht in Stein gemeißelt. Es ist nicht so, dass die Rechte, die man in der Minute hat, immer da sein werden. Darum ist es wichtig, auf die Straße zu gehen und einzufordern, nicht länger eine Person zweiter Klasse zu sein.

Wien präsentiert sich als Stadt der Menschenrechte und entdeckte die Queer-Community sogar für die Tourismuswerbung. Gibt es in Wien dennoch Aufholbedarf?

Otte: Die Stadt Wien gibt sich sehr viel Mühe, ist sehr engagiert. Es war lange eine Forderung, dass es ein queeres Jugendzentrum in Wien geben soll. Das wird jetzt hoffentlich bald umgesetzt. Im Vergleich zu europäischen Großstädten ist Wien da hinterhergehinkt. Wir sehen hier leider oft eine zeitliche Verzögerung. Im Endeffekt kann eine Stadt aber nur so viel tun, wie ihr möglich ist. Auch da sind durch die Bundesregierung einfach Grenzen gesetzt. Wien ist allerdings durchaus bemüht. Das wird auch von den eigenen Bürgerinnen und Bürgern geprägt. Eine Stadt kann nur so tolerant und offen sein, wie die Personen, die in ihr leben. Da ist Wien schon sehr gut dabei.

Mascara: Ich finde, Wien steht sehr gut da. Ich habe hier ein gutes Gefühl als schwuler Mann und auch als Drag Queen. Natürlich gibt es auch Momente und Gegenden, wo man sich weniger sicher fühlt. Die Stadt Wien ist nicht in der Lage, jede einzelne Person, die homophob und aggressiv ist, unter Kontrolle zu haben. Interessant ist, wie mit Übergriffen umgegangen wird. Da ist schon noch Luft nach oben. Man kann hier schon noch klarer ein Zeichen gegen Übergriffe gegen Mitglieder der LGBTIQ-Community setzen.

Wie werden Sie die Parade miterleben?

Otte: Für mich ist das ein Arbeitstag. Ich werde am Anfang mit Politikerinnen ein Foto machen und ein bisschen auf dem eigenen Truck dabei sein. Meine Mama ist aus Deutschland angereist und meine Freundin ist dabei. Ich glaube, wir werden nicht die ganze Umrundung schaffen. Ich werde mich irgendwann zurückziehen müssen, um mich auf die Abschlusskundgebung vorzubereiten. Nach der Abschlusskundgebung sind wir, glaub ich, alle nur noch froh und glücklich und werden wahrscheinlich schwimmen gehen, wenn sich das mit dem Wetter ausgeht. Also eher einen ruhigen Abend mit Freunden verbringen.

Mascara: Ich bin in einer Kooperation mit einem Einkaufszentrum und werde mit einer Dame des Zentrums ganz vorne in der Parade mitmarschieren. Ich bin, seit ich 15 bin, bei jeder Wiener Regenbogenparade dabei gewesen; in Full Drag und hab mein Zeichen gesetzt für unsere Community.

Ein Blick in die Zukunft: Wann wird die Regenbogenparade als politisches Statement nicht mehr notwendig sein?

Otte: Ich persönlich hoffe und habe die utopische Vorstellung, dass das noch in meiner Lebenszeit geschieht. Es würde mich freuen, wenn das in den nächsten 50, 60 Jahren nicht mehr nötig ist. Es ist unser aller Ziel, dass wir nicht mehr auf die Straße müssen und dass wir gleichberechtigt sind. Und falls ich Kinder haben sollte, die in einer Regenbogenfamilie aufwachsen, sollten die dann nicht mehr für Menschenrechte für queere Personen kämpfen müssen.

Mascara: Kristallkugel hab ich keine. Ich hoffe, dass sich die Dinge schnell entwickeln, glaube aber, dass eine Gesellschaft eine Zeit braucht für gewisse Entwicklungen. Aus dem Hudeln entsteht nie was Gutes. Wenn man eine Gesellschaft vor zu krasse Veränderungen stellt, kann es zu einer krassen Gegenreaktion kommen. Wir müssen konstant auf unsere Rechte pochen, dass wir in allen Belangen gleichberechtigt sein wollen. So wird sich das weiter zum Besten entwickeln, wenn es nicht zu einer so einschneidenden politischen Veränderung kommt, dass es in eine andere Richtung zurückschwingt.