Eine Insel ist ein Paradies. Ein Stück Land umgeben von Wasser. Die Kronen der Palmen wiegen im Wind. Weiße Sandstrände verlaufen ins azurblaue Meer. Papageien krächzen im Regenwald. Es riecht nach Salz und der Milch von Kokosnüssen. Die Insel ist ein Sehnsuchtsort. Nach Monaten im Büro sind wir reif für die Insel. Wer Geld hat, urlaubt auf Inseln. Wer viel Geld hat, kauft sich eine Insel. Der Besitz einer Insel hebt den sozialen Status auf die höchste Stufe. Mehr geht nicht. Schöner kann es nirgends sein. Wer auf einer Insel lebt, hat es geschafft.

Doch nicht jede Insel erfüllt die Verheißung. Seit wenigen Jahren erschüttert eine neue Inseltypologie unsere Vorstellung vom idyllischen Eiland. Niemand will auf ihr leben. Immer mehr Menschen tun es. Denn die neuen Inseln werden rasch mehr. Sie liegen nicht in der Karibik. Sie sind ein urbanes Phänomen. Sie entstehen in den Städten, in Barcelona, Madrid, Paris, London, Wien. In Simmering, Favoriten, Ottakring, in der Landstraße. Ihre Bewohner schlafen mit nassen Handtüchern über dem Kopf. Sie schwitzen, sind erschöpft, können sich nicht mehr konzentrieren, manche sterben. Auf den Inseln ist es heiß, letal heiß. Die Wissenschaft hat sie urbane Hitzeinseln getauft.

Der Begriff ist schnell erklärt. Eine urbane Hitzeinsel beschreibt den Temperaturunterschied zwischen der Stadt und ihrem ländlichen Umland. Sie gibt dem Phänomen einen Namen, wenn sich Städter vor der drückenden Hitze in ihre verdunkelten Wohnungen flüchten, während es in den Gemeinden im Umland noch eine Spur zu frisch für das Freibad ist. Bis zu zwölf Grad kann der Unterschied der Lufttemperatur ausmachen. Das macht die Stadt und ihre Bewohner besonders anfällig für die Auswirkungen der Klimakrise.


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Letale städtische Hitze

Auch Wien heizt sich von Jahr zu Jahr mehr auf. Im Sommer 2018 gab es in der Bundeshauptstadt mit 42 Hitzetagen doppelt so viele Tage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius als im langjährigen Mittel. Die Spitzenwerte kratzten an der 40-Grad-Marke. In 46 Nächten kühlte es nicht mehr unter 20 Grad ab. Laut Berechnungen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) raffte der Rekordsommer österreichweit 766 Menschen dahin - so viele wie die Grippe. Solche Extreme werden in sehr naher Zukunft eher Regel als Ausnahme sein. Die Durchschnittstemperatur stieg in Wien in nur vier Jahrzehnten um satte zwei Grad. Bis zum Ende des Jahrhunderts, also in knapp 80 Jahren, könnten laut Klimaprognose der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) noch einmal vier Grad dazukommen und die Anzahl der jährlichen Hitzetage auf bis zu 80 steigen. Der Trend ist eindeutig. In der Stadt wird es gefährlich heiß.

Warum ausgerechnet Städte so sensibel auf die Erwärmung der Erde reagieren, interessiert Brigitta Hollosi. Die Klimatologin der ZAMG beschäftigt sich mit dem Mikroklima von Städten. "Eine urbane Hitzeinsel ist ein typisches Merkmal des Stadtklimas und wird durch die Wechselwirkung diverser Effekte hervorgerufen", sagt sie. Gebäude, Straßen, die vielen versiegelten Flächen absorbieren die Sonnenstrahlung und heizen sich auf. Sie speichern die Wärme und geben sie nachts ab. Die geringe Vegetation kann die Wärme kaum drosseln.

Pflanzen spenden nicht nur Schatten. Sie schwitzen für uns. Je heißer es ist, desto mehr Wasser verdunstet über ihre Blätter. Dadurch kühlt die Luft ab. Der Effekt ist dem einer Klimaanlage nicht unähnlich. Bäume übertreffen die Leistung von Klimaanlagen jedoch um ein Vielfaches. Je nach Baumgröße kann sie bis zu 30 Kilowatt betragen, während eine herkömmliche Raumklimaanlage gerade einmal drei Kilowatt schafft - wie die Universität Wageningen in den Niederlanden berechnete. Im Wald stehen tausende solcher Superklimaanlagen nebeneinander. In der Stadt gibt es kaum Bäume.

Wien am stärksten betroffen

Außerdem sind Städte schlecht durchlüftet. Der kühlen Brise aus den Wäldern des Umlandes stehen Häuser im Weg. "Zusätzlich wird in der Stadt mehr anthropogene Wärme freigesetzt", sagt Hollosi - durch Autofahren, industrielle Prozesse, das Heizen - aber auch das Kühlen - von Gebäuden. "Eine der sommerlichen Quellen anthropogener Wärmeemissionen sind Klimaanlagen. Obwohl sie die Innenraumbedingungen verbessern, können sie das städtische Mikroklima im Freien aufgrund ihrer Abwärme negativ beeinflussen." Wer sich also eine Klimaanlage leisten kann, lebt zwar in einer kühlen Wohnung, steigert aber die Hitze für andere.

Wie hoch der Temperaturunterschied zwischen Stadt und Land tatsächlich ist, hängt von vielen Faktoren ab, etwa von der geografischen Lage der Stadtviertel, ihrem Versiegelungsgrad, den Wetterlagen. "Die Ausprägung von Hitzeinseln kann nicht pauschal mit der Größe der Stadt in Verbindung gebracht werden", sagt Hollosi. Modellierungsstudien würden allerdings zeigen, dass in Österreich Wien am stärksten von der Hitzegefahr betroffen ist. Bereits an diesem Wochenende nimmt die Nachmittagshitze laut ZAMG stetig zu. Das erste Hitzewochenende mit Temperaturen über 30 Grad ist prognostiziert. Am Sonntag werden Tageshöchsttemperaturen bis zu 34 Grad erwartet.

Welche Grätzel besonders unter der Sonne ächzen, zeigt die Wiener Hitzekarte. Rote, gelbe, türkise Flecken ziehen sich über den Stadtraum. Sie simulieren die städtische Wärmebelastung. Die Karte ist einfach zu lesen. Rot bedeutet heiß, Türkis kühl. Über der Innenstadt, dem Gürtel, dem Wallensteinplatz, Simmering, Rudolfsheim-Fünfhaus hängen rote Blasen - über dem Prater, dem Wienerwald, dem Lainzer Tiergarten, Schönbrunn türkise. Die Aussage der Karte ist eindeutig. Wo es Wiesen, Bäume, Sträucher gibt, ist es kühl. Wo Beton und Asphalt dominieren, heiß.

Gänzlich versiegelt

Vor dem Bahnhof Wien Mitte in der Landstraße ist es heiß. Der Platz im Zentrum der Stadt wurde erst vor zehn Jahren neu eröffnet. Die Klimakrise war damals bereits in aller Munde. Sie wurde bei der Planung nicht berücksichtigt. Die knapp 4.000 Quadratmeter große Fläche zwischen den Fassaden zweier Einkaufszentren wirkt wie aus den 70er-Jahren. Sie ist zur Gänze versiegelt. Lediglich im Westen des Platzes spenden schmächtige Linden bescheidene Schatten. Tausende Menschen passieren den Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs täglich. Wohlfühlen sollen sie sich nicht. Ganz offensichtlich wurden die Grünflächen nicht vergessen, sie folgen der Intention, den Platz für Obdachlose und Jugendliche so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Denn auch die Sitzgelegenheiten fehlen. Die Poller sind angespitzt, Stufen gibt es keine, Bänke genau zwei. Das degradiert den Platz im Herzen der Stadt zum wartungsarmen Durchzugsgebiet. Die Ansprüche einer modernen, klimaresilienten Stadt erfüllt er nicht.

Betonwüsten in neuen Grätzeln

Auch in den neuen Stadtentwicklungsgebieten breiten sich Betonwüsten aus. Auf dem Areal des ehemaligen Nordbahnhofes in der Leopoldstadt werden in fünf Jahren 20.000 Menschen leben. 10.000 tun es bereits. Abseits des Rudolf-Bednar-Parks sind die Flächen verbaut. Die Hitze staut sich über den Pflastersteinen. Entlang der ausladenden Bruno-Marek-Allee, dem "Boulevard" am Nordbahnhof, gibt es keine Grünstreifen, die Straße ist über ihre komplette Breite versiegelt. Eine riesige Betonebene am Fuße von Bürobauten. Im Hochsommer meiden die Menschen die Straße. Sie ist tot. Niemand will auf der Hitzeinsel sein.

Das Fasanviertel im 3. Bezirk hat mit der futuristischen Retortenstadt am Nordbahnhof nichts gemein. Gründerzeitblocks wechseln sich mit Gemeindebauten und Zinshäusern aus der Nachkriegszeit ab. Eine Wohngegend, beschaulich und ruhig. Doch auch hier schwitzen die Bewohner. Laut Wiener Hitzekarte ist das Viertel das heißeste der gesamten Stadt. Im Nordosten schmiegt es sich an die Gleiskörper der Stammstrecke, im Süden an den Gürtel, im Westen an die Mauern des Botanischen Gartens. Eine Insel - geografisch, aber vor allem klimatisch. "Schon im Frühling ist es in brutal heiß", sagt Jan. Der Architekt wohnt mit seiner Freundin seit drei Jahren in einer Wohngemeinschaft im Grätzel. "Unser Schlafzimmer liegt südseitig im Hochparterre. Im Sommer können wir kaum schlafen." Sie haben Strategien entwickelt, mit der Hitze zu leben. Die Scheiben der Holzkastenfenster haben sie mit reflektierender Folie abgeklebt. Im Schlafzimmer dutzende Topfpflanzen gesetzt. "Wir schlafen in einem Dschungel. Nur so ist es einigermaßen erträglich." Von der Stadt wünschen sie sich mehr Bäume, Grün- und Wasserflächen. In vielen Straßenzügen steht kein einziger Baum. Das Viertel ist dicht bebaut, der Versiegelungsgrad hoch.

Reiche Viertel profitieren

Die Wiener Stadtregierung wird nicht müde, ihr Engagement gegen urbane Hitzeinseln zu propagieren. Sie veröffentlicht Pressemeldungen zur "Baumpflanz-Offensive", präsentiert die Pläne "cooler Straßen". Stadträtin Ulli Sima (Stadtplanung) posiert gemeinsam mit ihrem roten Kollegen Jürgen Czernohorszky (Klima) mit Sonnenbrille vor Sprühnebellanzen und Trinkbrunnen. Die Stadt tut etwas, sie lässt ihre Bürger nicht allein unter der brütenden Sonne. Doch sind die Maßnahmen auch wirksam, oder nicht mehr als Beschwichtigung der Wählerschaft?

"Das Aufstellen von Nebelduschen ist zwar sehr beliebt, um den thermischen Komfort zu erhöhen - da sie erfrischend wirken und die direkten Umgebungstemperaturen reduzieren können - jedoch ist es eine sehr lokale Maßnahme", sagt Hollosi. Wichtiger wäre es mehr Grünflächen zu schaffen und die Entsiegelung in den Vordergrund zu rücken. "Neben der thermischen Regulierung durch Beschattung und Verdunstungskühlung unterstützen Grünflächen das Regenwasserabfluss-Management. Im durchlässigen Boden versickert das Regenwasser leichter und der Wasserabfluss an der Oberfläche wird reduziert." Die richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Hitzeinseleffektes wären oft auch Maßnahmen zur Steigerung der Lebensqualität. Parks und Teiche bieten Erholung. Grünflächen tragen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt bei. Kühle Dächer, die mehr Sonnenstrahlung reflektieren, geben auch weniger Wärme ins Gebäudeinnere ab.

Thomas Knoll gibt der Stadt ein gutes Zeugnis, wenn es um die Umsetzung von Akutmaßnahmen gegen Hitzeinseln geht. Der Landschaftsarchitekt berät die Stadt in Grünraumfragen. "Hier ist die Stadtregierung durchaus engagiert", sagt er. Langfristig könnte sie aber mehr tun. "In dicht bebauten Quartieren muss der Begrünungsanteil dringend gesteigert werden. Der Grünraum ist nicht gerecht verteilt." Knoll ortet ein gesellschaftspolitisches Problem. In den Stadtteilen, in denen die Bürger wissen, wie sie Gehör finden, an welche Magistratsabteilung, an welchen Politiker sie sich wenden müssen, passiert auch etwas. "Dann wird etwa die Neubaugasse im 7. Bezirk begrünt. Vielleicht hätte die Reinprechtsdorfer Straße zehn neue Bäume aber nötiger gehabt." So gehen ärmere Bezirke oft leer aus, während reichere profitieren. "Aus rein fachlicher Analyse kann ich nicht immer nachvollziehen, wo begrünt wird."

Und so gibt es im Fasanviertel keine "coole Gasse", keine Nebeldusche. In den dicht besiedelten Teilen von Rudolfsheim-Fünfhaus, Ottakring und in Hernals um den Gürtel kaum Grünraum. Hier wohnen über 500 Menschen pro Hektar. Mehr als in jeder anderen Gegend der Stadt. Eine Wiese vor der Haustür haben sie nicht. Eine eigene Insel auch nicht. Im Sommer können sie nicht einmal auf den Balkon gehen. Auf der Hitzeinsel hilft nur der Rückzug in die verdunkelte Wohnung, ein nasses Handtuch über den Kopf und auf den Herbst warten. Auf so eine Insel hätten sie aber gerne verzichtet.