Kinder laufen durchs Kirchenschiff, es wurlt rund um Pfarrer Gregor Jansen im Altarraum. Andächtige Stille? Fehlanzeige. Aber das ist schon in Ordnung, denn es ist wieder "AGO"-Zeit in der Wiener Pfarre Breitenfeld (8., Uhlplatz). "AGO", das sind "Actionmessen für Kids", wie die Veranstalter es treffend nennen. Die nächsten unter dem Motto "Aufbauen" gibt es diesen Sonntag um 10.30 Uhr in der Pfarre Breitenfeld und am 23. April um 10 Uhr in der Pfarre Kaiserebersdorf (www.ago-actionmesse.at). Und auch diesmal wird wieder einiges an technischem Aufwand betrieben, um für ein ganz besonderes Gottesdiensterlebnis zu sorgen.
So, wie einige der Verantwortlichen schon von 2003 bis 2011 die "find-fight-follow"-Gottesdienste speziell für Jugendliche in verschiedenen Pfarren der Erzdiözese Wien gestaltet haben, auch in der "Jugendkirche" an der Wiedner Hauptstraße. Schon damals war Pfarrmoderator Jansen mit dabei. Im "Wiener Zeitung"-Interview spricht er über "Find Fight Follow", "AGO" und die nicht unbedingt rosigen Zukunftsaussichten, was den Nachwuchs in der katholischen Kirche betrifft. Zwar hat schon Jesus zu den Jüngern gesagt: "Lasst die Kinder zu mir kommen!" - allein, wie sollen sie hinfinden?

"Wiener Zeitung": Ist mit dem Ende von "find-fight-follow" und "Jugendkirche" vor zwölf Jahren die Jugendarbeit in der Erzdiözese Wien wieder mehr oder weniger eingeschlafen?
Gregor Jansen: Ich habe nicht den Eindruck, dass es nach unserem Abgang auf dem "Markt" noch viele Player gibt. Ich bin aber wohl der Letzte, der darüber neutral sprechen kann, deshalb sage ich lieber nichts dazu. Sonst klingt das, als würde der Ehemalige sagen: Wir haben früher alles besser gemacht.

Es hat ja auch funktioniert damals.
Ich denke, wir haben die Art und Weise, wie Jugendgottesdienst in der Erzdiözese Wien gedacht und gemacht wird, nachhaltig verändert. Vor kurzem gab es zum Beispiel wieder ein "Feuerfest", wie wir es damals gemacht hatten. Es macht mich immer ein bisschen sentimental, wenn ich sehe, wie diese Konzepte immer noch eingesetzt werden. Auch die Konzertbühnentechnik bei größeren Ereignissen haben wir damals reingebracht. Und in St. Florian, unserer früheren "Jugendkirche", gibt es immer noch jeden Sonntag "Die Messe" als Angebot für junge Erwachsene, die eben auch ganz bewusst die Technik, die wir damals im Gebäude installiert haben, nutzen, mit Lichtstimmung und Band. Da geht also schon was weiter - halt nicht in den Dimensionen, wie wir es damals gemacht haben. Das war aber auch eine Gelegenheit, die wir genutzt haben. Ob das heute so funktionieren würde, wage ich zu bezweifeln.

Weil die Jugend von heute nicht mehr darauf anspringen würde?
Wahrscheinlich war unsere Zeit ein bisschen die letzte Welle, in der es noch viele aktive Pfarrjugenden gab, die man erreichen konnte. Da hat es in den vergangenen zehn Jahren einen enormen Abbruch gegeben. Ich sehe das auch in meiner eigenen Pfarre: Ich habe eine wirklich gute, engagierte Gruppe von Pfarrjugendlichen, die sich hier beheimatet fühlen - aber die sehe ich nicht in der Messe, wenn sie nicht gerade ministrieren.
Weil Sonntag 9.30 Uhr keine gute Zeit für Jugendliche ist oder weil die Heilige Messe generell kein Thema ist?
Ich weiß nicht, ob ein anderer zeitlicher Ansatz etwas bringen würde. Als ich vor gut zehn Jahren in meine jetzige Pfarre gekommen bin, habe ich gedacht, die Jugend habe ich quasi in der Tasche, weil ich ja davor ein Jahrzehnt lang eigentlich nichts anderes gemacht hatte. Und das war das größte Missverständnis meines Anfangs als Pfarrer, weil es überhaupt nicht geklappt hat. Meine Pfarrjugendlichen waren das dickste Brett, das ich jemals gebohrt habe, bis ein freundschaftliches Verhältnis da war. Die waren jetzt nicht ablehnend oder so, aber eine "gmahte Wiesn" war es nicht. Und meine Erwartung, dass sie vielleicht einmal eine Jugendmesse vorschlagen würden, ist auch nicht erfüllt worden. Das Interessante dabei ist: Wenn es was zu tun gibt, dann sind sie ja da. Wir haben im Winter unsere Pfarrdächer gedämmt, und das haben komplett die Jugendlichen und ihre Verantwortlichen durchgeführt, da haben sie Wochenenden lang geschuftet für die Pfarre.
Viele Pfarren haben gar keine Jugendgruppe mehr. Wie erklären Sie diese Abkehr der Jungen von der Kirche?
Die jetzige Generation unter 20, 25 Jahren lebt in einer Zeit und einem Kontext, wo man einfach niemandem mehr gegenüber sagt, dass man irgendwas mit Kirche zu tun hat. Natürlich hat sich vor allem durch die Pandemie manches noch verstärkt. Zum Beispiel sind nach Corona das große Sorgenthema in meiner Pfarre die Wochentagsmessen, wo die paar alten Damen, die früher immer da waren, jetzt nicht mehr kommen. Da sieht man, dass die Leute erfahren haben, es geht auch ohne. Und da ist eine Gesamtentwicklung schneller abgelaufen. Aber sie wäre auch sonst gekommen, da habe ich keine Illusionen.
Liegt es auch daran, dass es der Jugend gar nicht um den Glauben geht?
Ja gut, das war auch schon in den vergangenen Jahrzehnten nicht anders. Warum sind die Leute in den 1970ern und 1980ern in die Pfarrjugend gekommen? Weil es ein Ort war, wo man sich ausprobieren konnte, Freunde und auch Partner gefunden hat. Und auch als MKV-Seelsorger will ich nicht genau wissen, für wie viele katholische Couleurstudenten - auch unter den Alten - eine Sonntagspraxis eine Rolle spielt. Interessanterweise ist die Gesamtzahl der Messbesucher am Sonntag um 9.30 Uhr jetzt wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Aber steigende Zahlen haben wir nicht. Ich bin froh, wenn wir uns halbwegs da einpendeln, wo wir vor der großen Pause waren.
Sehen Sie eine Chance auf eine Rückkehr der Pfarrjugendgruppen?
Ich glaube tatsächlich nicht an eine Trendumkehr. Junge Laute haben sich eh immer schon Orte gesucht, wo sie sich wohlgefühlt haben, und wenn das eine Pfarre ist, dann haben wir Glück, aber inzwischen ist halt die kritische Masse deutlich kleiner. Ich will jetzt nicht depressiv klingen, das ist auch gar nicht meine Grundhaltung, und ich freue mich über alle, die kommen und die ich treffen kann. Aber ich denke, die Zeit der großen jugendbewegten Pfarren ist vorbei. In meiner Jugend wollten wir es den alten Säcken zeigen, auch in der Pfarre, und haben sehr vieles ausprobiert, auch im liturgischen Bereich. Das ist inzwischen einfach nicht mehr von Interesse, weil schon die Eltern unserer Erstkommunionkinder das alles nicht mehr erlebt haben, dass man wie wir in den 1980ern Widerstand leisten und sich einen Platz im kirchlichen Bereich erkämpfen musste.
Was hat die vor einem Jahr ins Leben gerufene Initiative "Denk dich neu" der Jungen Kirche gebracht?
Ich denke, das kann sehr viel, weil ja gerade ein Teil davon die Festival-Seelsorge ist: da, wo junge Leute sind, etwas anzubieten - nicht im missionarischen Sinne, sondern als Gesprächsangebot. Da sehe ich tatsächlich sehr viel Potenzial. Das hat auch in Wien im Park rund um die Votivkirche gut funktioniert. Das sind gute Ansätze. Die Idee von "Denk dich neu" ist ja ausprobieren und neue Wege finden. Sehr schade finde ich halt, dass es in Wien aus finanziellen Gründen nach einem Jahr wieder beendet werden musste. In anderen Diözesen läuft aber noch einiges sehr gut.
Sie fokussieren jetzt mit den "AGO"-Messen auf die Kinder - weil die leichter zu begeistern sind als Jugendliche?
Das würde eine strategische Überlegung voraussetzen. Die haben wir aber nicht angestellt. Es sind einfach die Leute, die damals "find-fight-follow" gemacht hat, jetzt selbst Eltern und wollen etwas für ihre Kinder machen. Vor ziemlich genau fünf Jahren hat die Klausur unseres Kinderliturgieteams stattgefunden, aus der "AGO" heraus entstanden ist. Da haben wir einfach herumgesponnen, was man denn alles machen könnte. Wir hatten natürlich wie viele Pfarren eine Kinderkrippenfeier als den größten Kindergottesdienst im Jahr, und die wollten wir aus dieser Krippenspielromantik herausholen und neu denken. Als nächstes Projekt kam dann ein Ostergottesdienst für Kinder am Ostersonntag dazu, weil da sonst eh quasi tote Hose ist nach der Osternacht. Und daraus ist dann immer mehr geworden. "AGO" ist im Prinzip ein Gottesdienst, der ganz den Fokus des Erlebnisses für die Kinder hat. Es geht darum, dass sie möglichst viel mitmachen können, damit sie vor allem ab der Eucharistie, wenn es sozusagen katholisch wird, gar nicht auf die Idee kommen, sich zu langweilen. Das findet bei uns fünfmal im Jahr statt, und zwei weiteren Pfarren haben das Konzept bereits übernommen. Mittlerweile reist mindestens die Hälfte der Kinder von auswärts gezielt zu "AGO" an, manche kommen sogar extra aus dem Weinviertel zu uns.
Was bedeutet eigentlich "AGO"?
Das wissen wir eigentlich selbst nicht so genau. Man kann es deuten als "Abenteuer Gottesfeier" oder auch das lateinische Wort für "Ich handle, ich tue, ich werde aktiv" verwenden. Es ist in Wahrheit ein Kunstwort, dass uns damals auf dieser Klausur eingefallen ist.
Wie reagiert die Erzdiözese darauf?
Wir arbeiten Gottseidank sehr gut mit der Jungen Kirche zusammen und werden ganz stark unterstützt, auch mit Man- und Womanpower, was Bauen und Vorbereiten angeht. Da steckt ja auch immer eine gewisse Logistik dahinter - weil klein machen wir es ja nicht. Aber bei einer so großen Kirche muss man einfach groß arbeiten, damit zum Beispiel Symbole gleich von überall gut erkannt werden.
Bleibt da nicht der Kern auf der Strecke vor lauter Event?
Ich höre seit Jahrzehnten den Vorwurf der Eventisierung. Nein, wenn man es gut plant und auch theologisch gut macht, dann sehe ich da kein Problem. Wenn es wirklich argumentierbar ist, dann sage ich: Okay, dann machen wir das.
Aber erzieht man sich da nicht eine Generation von Christen heran, die sich dann abwenden, wenn nicht genug Action ist?
Jetzt kommen sie zu den fünf "AGO"-Gottesdiensten im Jahr. Sonst würden sie gar nicht kommen. Schon "find-fight-follow" wurde vorgeworfen: "Damit führt ihr die Leute nicht zu einer normalen Messe." Da muss ich sagen: Wenn die normale Messe halt so fad ist, dass sie von sich aus nicht die Leute an sich bindet, warum sollen wir dann darauf verzichten, etwas spannender zu machen, nur um nicht dem faden Angebot Konkurrenz zu machen? Und ich merke auch immer wieder, dass bei den Kindern auch wirklich etwas davon hängen bleibt, was wir ihnen vermitteln wollen.
Wir betonen auch dieses Moment, dass die Kinder selbst segnen, dass sie zu einem Segen für ihre Familie und ihre Freunde werden. Da haben wir auch die Eltern, das ist für sie ein ganz besonderer Moment. Das zeigt mir, dass wir nicht am Wesentlichen vorbeigehen. Abgesehen davon ist es ja in jeder Generation so: Die Leute gehen zu einer Hochzeit nicht deshalb, weil sie so gerne in die Kirche gehen, sondern weil da etwas stattfindet, wo sie einen Bezug dazu haben. Und wenn das dann auch noch gut ist, dann ist das ein Anknüpfungspunkt, der irgendwo gespeichert wird. Die werden deshalb nicht die nächsten zwei, drei Sonntage in die Kirche gehen, aber sie haben eine tolle Erfahrung gemacht. Auch die Tauffamilien sehe ich großteils nicht jeden Sonntag in der Kirche, aber beim nächsten Kind kommen sie wieder zu mir, weil es so toll war.
Ich denke, es geht immer mehr um punktuelle gelingende Formen und Begegnungen - bis hin zum Begräbnis, wo die Leute natürlich auch nicht freiwillig kommen, weil es so toll ist, aber wo man wahnsinnig viel kaputtmachen kann, wenn man Dinge falsch und unpersönlich macht, und man auch unglaublich viel gewinnen kann, wenn man auf sie eingeht. Unsere Grundidee ist, die Menschen, die da sind oder die wir gerne da hätten, als Hauptbezugspunkt zu nehmen. Denen kann ich kein lateinisches Hochamt anbieten, auch wenn ich es toll fände, weil ich sie damit nicht erreiche.
Und noch ein Punkt zu "AGO": Wir haben es geschafft, Corona durchzutauchen, obwohl während der Pandemie vieles an Action nicht möglich war, sondern die Kinder mussten auf fixen Plätzen in der Bank sitzen bleiben. Und das spricht für die Qualität des inhaltlichen Ansatzes, dass es trotzdem funktioniert hat.
Welchen Tipp haben Sie für die Jugendarbeit?
Pfarren sind zu mir gekommen und haben mich gebeten: "Sag uns bitte, wie wir Jugendliche kriegen, weil die brauchen wir fürs Pfarrfest, für den Flohmarkt, . . . und die müssen unsere Pfarrgemeinde am Leben erhalten." Aber das konnte und kann ich nicht liefern, denn junge Leute heute kommen nicht mehr, wenn sie das Gefühl haben, dass es bloß darum geht, sie einzuspannen. Sondern die kommen, wenn sie das Gefühl haben, dass sich da wirklich jemand für sie interessiert und ihnen Möglichkeiten gibt, sich auszuleben. Das funktioniert aber auch in meiner eigenen Pfarre nur sehr bedingt, zumindest was den liturgischen Bereich betrifft. Andererseits finde ich es großartig, dass bei der vergangenen Pfarrgemeinderatswahl die drei Kandidaten unter 30 Jahren die meisten Stimmen bekommen haben und sich auch stark einbringen.
Warum war "find-fight-follow" eigentlich 2011 plötzlich zu Ende?
Es war eine Reihe von Gottesdiensten, die eigentlich nie eine Reihe werden sollte. Im Jahr 2003 sollte es ursprünglich nur drei Gottesdienste geben - und das ist dann dermaßen eingeschlagen, dass es immer wieder verlängert wurde und sich zu einer Dauereinrichtung entwickelt hat, mit an die 50 Gottesdiensten. Das war nie geplant, und es hat auch uns überrascht, als das Leitungsteam, das inzwischen die dritte Generation war, dann einen Schlussstrich gezogen hat. Aber es war ja eine Art Staffelübergabe an die einzelnen Pfarren, die nun selbst weitermachen sollten. Es war eine Entscheidung aus dem Team heraus, das zu einem Zeitpunkt aufhören wollte, wo es ein Riesenerfolg war und nicht, wenn die Leute fragen würden, wann endlich Schluss ist.