Links: Tourismusplakat aus der Ära des Roten Wien von Ernst Ludwig Franke, 1927; rechts: Plakat aus der Zeit des Austrofaschismus von Anton Theodor Schwarz, 1937. - © ÖNB
Links: Tourismusplakat aus der Ära des Roten Wien von Ernst Ludwig Franke, 1927; rechts: Plakat aus der Zeit des Austrofaschismus von Anton Theodor Schwarz, 1937. - © ÖNB

Rund 70 Plakate aus den Beständen des Bildarchivs und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek aus der Zeit um 1900 bis in die 1970er Jahre illustrieren nicht nur die wechselvolle Selbstdarstellung des Reiselandes Österreich unter verschiedenen politischen Bedingungen, sondern bieten auch reizvolle Einblicke in die Genese des heimischen Grafikdesigns. Die von der Monarchie über die NS- und Nachkriegszeit bis hin zur "Wikie, Slime und Paiper"-Ära klar strukturierte Ausstellung bietet immer wieder Anlass zum Schmunzeln und lässt keine Langeweile aufkommen.

In der Kürze liegt die Würze: Die überschaubare Objektauswahl wird der Jahreszeit vollauf gerecht, überdies verbleibt Museumsbesuchern auch noch genug Energie, sich kontemplativ dem Ambiente des Prunksaales zuzuwenden, den ich übrigens für den wunderbarsten Ort der Bundeshauptstadt halte.

Die finsteren Formen der Gotik

Lange Zeit waren grafisch gestaltete Tourismusplakate visuelle Imageträger, die vor allem für die Werbung im Ausland produziert wurden. In der Regel wurden sie nicht auf Plakatwänden oder Litfaßsäulen affichiert, sondern in ausländischen Reisebüros und Bahnhöfen zur Schau gestellt. In Österreich waren solche Plakate kaum anzutreffen.

In der ausgehenden Habsburger-Monarchie war die Produktion von Tourismusplakaten noch relativ bescheiden gewesen, wohingegen sich ab Mitte der 1920er Jahre Künstler auch über das Medium Plakat zu etablieren vermochten. Die "goldene Zeit" des österreichischen Tourismusplakats stellt die Zeit des Austrofaschismus und die Nachkriegsära bis in die ausgehenden 1960er Jahre dar.

Vermittels des hier abgedruckten Tourismusplakats aus dem Jahr 1927 kontrastierte das Rote Wien die bis heute als klassisch geltenden Fremdenverkehrssujets mit den sozialen Errungenschaften der damaligen Zeit. Die Karlskirche, die Oper und selbst der Stephansdom sowie weitere Bauten aus dem alten Wien werden vom damals neu errichteten Amalienbad spektakulär überragt und buchstäblich von diesem in den Schatten gestellt.

Hinter dem dominierenden Fanal des sozialen Fortschritts ist – in der Art der aufgehenden Sonne – das Wappen Wiens dargestellt. Die imaginäre Lichtquelle des Stadtwappens lässt das fortschrittliche Amalienbad in gleißendem Licht erscheinen, während die dunkel dargestellten Symbole der Gotik die Rückständigkeit des "finsteren" Mittelalters zu signalisieren scheinen.

Tourismustouren durch Arbeiterbezirke

Die im Vordergrund abgebildeten Industrieanlagen muten aus heutiger Sicht im Zusammenhang mit einem Tourismusplakat kurios an. Indes wurden anno dazumal in Wien sogar touristische Führungen durch die klassischen Arbeiterbezirke angeboten.

Nach dem Verbot der Sozialdemokratie wurden in den 1930er Jahren vergleichsweise farbenprächtige Plakate produziert, wobei nun Baudenkmäler wie die Oper oder der Heldenplatz in den Vordergrund traten. Bei dem hier abgedruckten, für Rumänien bestimmten Plakat aus dem Jahr 1937 wird hinter grünen Kastanienbäumen die Oper gezeigt, an welcher – als Zeichen von Fortschritt und Überlegenheit – elegante Luxuskarossen vorbeidefilieren.

Print-Artikel erschienen am  23. August 2012
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7