Wien. "Die größte Strukturreform seit Josef II." steht der Erzdiözese Wien bevor. Das verkündete Kardinal Christoph Schönborn am Mittwochabend bei seinem traditionellen Medienempfang. Der Wiener Erzbischof hob hervor, es gehe dabei "nicht so sehr um den Ressourcenmangel", der eine allgemeine Zeiterscheinung sei, sondern um den "Grundauftrag aller Getauften", und dieser laute "Mission first". In der Bibel stehe bekanntlich: "Geht hinaus und lehret alle Völker." Das Zweite Vatikanische Konzil, dessen Eröffnung sich in drei Wochen zum 50. Mal jährt, habe an das "gemeinsame Priestertum aller Getauften" erinnert, Träger der Mission, in deren Dienst natürlich auch das Amtspriestertum stehe, sollte das ganze Kirchenvolk sein.

Die Leitlinien dieser Reform wurden am 5. September von der Steuerungsgruppe für den diözesanen Entwicklungsprozess beschlossen und nun vom Kardinal vorgestellt. Darin heißt es gleich zu Beginn, die Kirche dürfe sich nicht selbst genügen, sondern sollte sich "im Dienst des Apostolats für alle Menschen verstehen". Konkret heißt das, dass die Kirche näher an die einzelnen Menschen herankommen will, dass die bisherigen Pfarrgrenzen aufgelöst werden. "Wir wollen mehr Gemeinden", betonte Schönborn, "viele kleine christliche Kommunitäten", während zugleich die Zahl der Pfarren verringert wird.

Die kleinen Gemeinden, deren Leitung ehrenamtliche Laienteams übernehmen soll, werden in großflächige Pfarren eingebettet, in denen ein von jeweils drei bis fünf Priestern, mehreren Diakonen und Laienmitarbeitern unterstützter Pfarrer die Letztverantwortung trägt. Administrative Aufgaben sollen zentralisiert werden, damit die Seelsorge davon möglichst entlastet wird.

Beispiel Südamerika: "Und die Kirche lebt dort!"

Schönborn verwies auf Südamerika, wo oft ein Pfarrer für 30 oder 40 von Laien geleitete Gemeinden zuständig sei: "Und die Kirche lebt dort!" Geplant ist, dass in zehn Jahren, 2022, mindestens 80 Prozent der neuen Pfarren gebildet sein werden. Laut ihrer Homepage umfasste die Erzdiözese Wien im Jänner 2010 insgesamt 660 Pfarren, davon 175 im Vikariat Stadt, 275 im Vikariat Unter dem Manhartsberg und 210 im Vikariat Unter dem Wienerwald. Neben 1195 Priestern und 170 Diakonen arbeiteten 242 männliche und weibliche Pastoralassistenten in der Erzdiözese, deren kleinste Pfarre - Stützenhofen - nur 104 Katholiken zählt. Der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung liegt in der Stadt Wien schon seit zehn Jahren unter 50 Prozent.

Während Kaiser Josef II. als Aufklärer bekanntlich Klöster aufhob und kirchliche Strukturen gegen den Willen der Kirche änderte, sei das nun anders, so Schönborn: "Diesmal gehen die Veränderungen von uns aus, nicht vom Kaiser." Die Reform sei radikal, dessen sei er sich bewusst, aber es gehe darum, wie "Kirche im 21. Jahrhundert missionarisch leben" könne. Dazu bedürfe es auch Mut, aber in der Bibel heiße es mehrmals: "Fürchtet euch nicht!"

Auf Schönborns Rede folgte nicht Beifall, sondern ein sprachloses, keineswegs eisiges Schweigen. Sein Pressesprecher Michael Prüller erklärte sofort: "Ich deute das Schweigen als Zustimmung." Der Kardinal selbst sagte, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", ihm sei klar, dass mit der Reform viele Probleme verbunden sein werden - "natürlich" etwa Rivalitäten zwischen Priestern und als Gemeindeleiter fungierenden Laien. Schönborn zeigt aber gerade jetzt, dass er keine Scheu hat, sich selbst Kritik und Fragen zu stellen. Er tut es ab sofort über eine "Frag den Kardinal" betitelte neue YouTube-/Facebook-verlinkte Website.