Wien. Eigentlich ist Bosko Rasovic ein Pazifist. Actionfilme sieht er nicht gerne. Und gewaltverherrlichende Computerspiele lehnt er ab. In der Hand hält er eine CZ 75 SP01. Eine eineinhalb Kilo schwere Pistole, ursprünglich konstruiert für Spezialeinheiten der tschechischen Streitkräfte. Konzentriert füllt der 42-Jährige das Magazin mit Patronen. Es ist Dienstagabend. Er trainiert heute im SCW, im Sportschützenclub Wien. "Wir sind nicht die Bösen", sagt der drahtige Mann. Rasovic weiß um das Image seines Hobbys: des Schießens.
Nicht nur "bum bum"

Erfurt, Newton oder die norwegische Insel Utøya - das sind die Orte, die mit Waffen in der Zivilgesellschaft assoziiert werden. Man kennt die Horrorgeschichten von Waffenliebhabern, die beim Grillfest ihren Freunden stolz ihren geladenen Revolver zeigen und sich dabei versehentlich in den Kopf schießen. Oder von Jägern, die ihm Dickicht ihren Kompagnon mit einem Wildschwein verwechseln. Die Waffe: ein Tötungsinstrument - so die Wahrnehmung in der Mehrheitsgesellschaft. Doch wer sind sie, die Männer und Frauen, die sich in ihrer Freizeit an die Pistolen und Gewehre wagen? Leichtfertige Waffennarren? Potenzielle Amokläufer?

"Mit den Psychopathen wollen wir nichts zu tun haben", betont Rasovic. Fünfmal pro Woche trainiert der Geschäftsführer eines Luftfahrtunternehmens im Sportschützenverein in der Baumgasse 58 im 3. Bezirk. Kalt ist es in dem 1600 Quadratmeter großen Kellergewölbe. Früher waren hier die Eishallen der Monarchie. Heute wird in acht Kellern geschossen, im Fachjargon: IPCS - praktisches Pistolenschießen. Dabei laufen die Schützen durch Parcours und müssen innerhalb kürzester Zeit ihre Ziele treffen. Es riecht nach verbranntem Schießpulver. Der Kellerboden ist übersäht mit leeren Patronenhülsen.
Anfangs hatte der Verein 20 Mitglieder, heute sind es 120. Davon knapp 30 Frauen. Vom Arbeiter über die Krankenschwester bis hin zum 84-jährigen Pensionisten ist jede Gesellschaftsschicht und jedes Alter vertreten. Es sind Männer, die schon als Kinder von ihren Vätern am Schießstand das Hantieren mit dem gefährlichen Instrument gelernt haben - das Gefühl vom ersten Rückstoß hat sie seither nie wieder losgelassen. Und es sind Frauen, die keine Lust hatten auf Joggen oder Pilates, sondern nach einem besonderen Hobby gesucht haben, selbst wenn es von der eigenen Mutter im Nähkränzchen totgeschwiegen wird.
Über Polizeifreunde ist Rasovic vor fünf Jahren zum Schießen gekommen. Beim ersten Mal hat er noch nicht einmal die Zielscheibe getroffen. Heute gewinnt er Wettbewerbe. Er packt ein Messgerät aus seiner Tasche. Damit will er die Geschwindigkeit der Projektile messen. "Es ist nicht nur bum bum", sagt er ernst.
"Der Mensch dahinter tötet"
Ein bisschen kauzig sind sie, die Männer und Frauen mit ihren Geschossen. Sie kennen die Mechanik hinter den Instrumenten, die Eigenheiten ihrer Patronen und den Kodex, der unter ihnen herrscht: keine Tarnanzüge, kein Alkohol, keine Rambos. "Leute mit paramilitärischen Gedanken sind bei uns fehl am Platz", sagt Mario Kneringer, Präsident des SCW. Um den Ruf seiner Gemeinde ist er bedacht. Er weiß, was seine Landsleute denken, wenn sie vor den Anders Behring Breiviks dieser Welt erschaudern: "Für mich tötet nicht die Waffe, sondern der Mensch dahinter. Selbst wenn wir alle Waffen verböten, gäbe es trotzdem Menschen, die Gewalttaten verüben würden. Dann halt mit einem Baseballschläger oder einer Axt."
Wer in Österreich mit Schusswaffen der Kategorie B - also zum Beispiel Faustfeuerwaffen - schießen will, braucht eine Waffenbesitzkarte. In Wien sind das 23.673 Männer und Frauen. Für die Waffenbesitzkarte bedarf es eines Nachweises für den sachgemäßen Umgang mit Schusswaffen, einer Art Waffenführerschein und eines psychologischen Gutachtens.
Schritt eins übernimmt Heribert Seidler. Der 50-jährige betreibt ein Waffenfachgeschäft in der Heiligenstädter Straße 67 im 19. Bezirk. Hierher pilgern die Sportschützen, die nur auf die Präzision ihrer Geräte schauen; die Sammler, die ihre kostbaren Stücke nicht durch zu viel Geballer abzunützen möchten, aber auch die Möchtegern-Actionhelden, die sich wünschen, dass die Waffe einen möglichst großen Rückstoß hat und ordentlich "Rums" macht, wenn sie abdrücken. Fünf Schießstände betreibt Seidler im hinteren Teil seines Geschäfts. Jeden Tag üben hier rund 80 Schützen. Früher waren es ausschließlich Männer, heute kommen auch immer mehr Frauen. Und die schießen oft besser als ihre männlichen Kollegen bei der Einschulung. "Die Herren glauben, dass sie es schon können", erklärt Seidler, "die Frauen machen sich keinen Druck."
Das Schießen selbst findet Seidler weniger spannend. Die Technik hinter der Waffe war es, die den Büchsenmachermeister immer schon fasziniert hat. So wie seinen Vater, der das Geschäft 1960 gegründet hat. Ruhig spricht Seidler, wenn er dem nervösen Laien das Gerät erklärt. Bedrohlich ist das bisschen Kunststoff und Metall, wie es auf dem Tisch liegt. Es ist eine Glock 17, jene Pistole, die in den 1980ern von Deutsch-Wagram aus ihren weltweiten Siegeszug angetreten hat. Ungewohnt schwer liegen diese knapp 700 Gramm in der Hand. Dem Pazifisten, der sie nur aus Arte-Dokumentationen über amerikanische Hinterwäldler kennt, die Recht und Ordnung in die eigene Hand nehmen wollten, flößt die Waffe Respekt ein. Vielleicht sogar Angst.