Gastgärten...

- © Foto: Gerald Jatzek
Gastgärten...
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Ein wesentlicher kultureller Unterschied zwischen Nord- und Mitteleuropa und dem Süden des Kontinents ist der Bezug zum öffentlichen Raum. Während man in Italien gerne in piazza und in Spanien a la calle geht, benutzte man die Straßen und Plätze hierzulande, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Wer sich langfristig dort aufhielt, vor allem nach der bürgerlichen Dämmerung, machte sich, auch sprachlich, verdächtig: Hausierer, Bordsteinschwalben, Gassenkinder.

In den 1980ern begannen jugendliche Subkulturen und Migranten damit, den öffentlichen Raum in Besitz zu nehmen. Während die Jungen lautstark "Rasenfreiheit" im Burggarten forderten, vollzog sich der Wandel im Rest der Stadt unauffälliger. Zuwanderer und deren Kinder setzten sich abends in die Beserlparks und bisweilen auch tagsüber vors Haus. Nachdem Hausmeisterinnen und andere misstrauische Autoritären darin keine Vergehen erblicken konnten, hockten sich auch gestandene Wiener samt Essen und Trinken in Grätzlmittelpunkte wie dem Kardinal-Nagl-Platz. Und siehe, es war gut, befand sogar die Polizei.

...und Gastgärten - © Foto: Gerald Jatzek
...und Gastgärten - © Foto: Gerald Jatzek

Der Trend zum Aufenthalt im Freien verlieh einer Altwiener Institution neuen Schwung: dem Schanigarten. Was vormals einigen Gasthäusern vorbehalten war, wucherte nun aus jedem Tschoch und Tschecherl. Selbst an Orten, die eindeutig jenseits von Eden liegen, wie der Gürtel, wurden Tische und Stühle auf grünen Filz gestellt.

Was alten Weinbeißern, mittelalterlichen Bobos (hallo, neue Leopoldstadt!) und jugendlichen Partygängern in seltener Einmütigkeit gefiel, änderte leider auch die Wahrnehmung der Gastronomen. Obwohl private Unternehmer, glauben sie mittlerweile, ein Anrecht auf den öffentlichen Raum zu haben.

Nur die Verkehrsbetriebe haben Mitleid mit müden Reisenden.

- © Foto: Gerald Jatzek
Nur die Verkehrsbetriebe haben Mitleid mit müden Reisenden.
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In welchem Ausmaß diese Sichtweise von der Stadtverwaltung übernommen wurde, kann man bei der Neugestaltung der Umgebung des Bahnhofs Wien Mitte beobachten. Die freie Fläche zwischen der neu errichteten Mall und dem gegenüber liegenden W3, der Heimat der Village Cinemas und der Buchhandlung Thalia, ist zumindest im Sommer nicht als Platz zu erkennen. Was nicht als Fahrbahn für den 74A und Radfahrer verwendet wird, ist weitgehend von gastronomischen Betrieben okkupiert. Ein Trinkbrunnen wird von den Gastgärten ebenso abgeschirmt wie der Plan des Nachtauobusses an der Rückseite der Bushaltestelle.

Der Schanigarten blockiert die Sicht auf den Nachtfahrplan.

- © Foto: Gerald Jatzek
Der Schanigarten blockiert die Sicht auf den Nachtfahrplan.
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Die vom Flughafen Schwechat kommenden Reisenden finden sich nach dem Verlassen der Schnellbahn oder des CAT in einer großflächigen Touristenfalle. Denn ausruhen kann sich der müde und gepäckbeladene Wanderer hier nur gegen Bares. An öffentlichen Sitzgelegenheiten werden gerade zwei Bänke bei den Bushaltestellen bereit gestellt, - ursprünglich überhaupt nur ein Zweisitzer und seit kurzem noch ein Dreisitzer.

Vor dem nämlichen Problem stehen natürlich auch die Bürger der Stadt, insbesonders Ältere, Behinderte und Familien, die für eine kurze Rast die Geldbörse zücken müssen.

Die Alternative, sich ungemütlich auf dem Boden niederzulassen, besteht anscheinend auch nicht. Beobachtungen zeigen, dass dies zu freundlich-bestimmtem polizeilichen Einschreiten führt, dessen rechtliche Grundlage unklar bleibt.

Radfahrer können ihre Interessen anscheinend besser durchsetzen als Fußgänger.

- © Foto: Gerald Jatzek
Radfahrer können ihre Interessen anscheinend besser durchsetzen als Fußgänger.
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Die wenig ansprechende Platzgestaltung mag durchaus eine Folge der dem Bau vorangegangenen Diskussionen zwischen Weltkulturerbe und Boulevard sein, die zu mehrfachen Neuplanungen und schließlich zu einer wesentlichen Verbreiterung des Neubaus geführt haben. Das erklärt allerdings nicht hinreichend, weshalb die ökonomischen Interessen der Immobilienbesitzer und ihrer Mieter über jene der Bevölkerung gestellt werden.

In den von der Magistratsabteilung 18 herausgegebenen Beiträgen zur Stadtentwicklung vom November 2008 heißt es: "Vergleicht man etwa die Kosten von Bänken im öffentlichen Raum mit dem Wegfall medizinischer Kosten, weil Menschen täglich Bewegung beim Einkaufsweg machen oder statt zu vereinsamen öfter unter die Leute kommen, rechnet sich die langfristige Investition in Angebote, die die Phase der medizinischen Vollversorgung hinausschieben."

Vielleicht sollte der Magistrat einfach einmal lesen, was er so publiziert.