In Österreich gibt es nur noch einen kleinen Kreis Esperantisten, meint Bernhard Tuider. - © Luiza Puiu
In Österreich gibt es nur noch einen kleinen Kreis Esperantisten, meint Bernhard Tuider. - © Luiza Puiu

Wien. "Saluton. Mia nomo estas Bernhard Tuider kaj mi estas bibliotekisto en la Kolekto por Planlingvoj kaj Esperantomuzeo de la Austria Nacia Biblioteko", sagt Bernhard Tuider. Das ist Esperanto und heißt, dass er Bibliothekar in der Sammlung für Plansprachen und im Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ist. So lautet der offizielle Titel des einzigen Museums in Österreich, das sich mit der bekanntesten Plansprache befasst; also einer geschaffenen, nicht gewachsenen Sprache.

Das Museum und die Idee der Plansprachen gehen aber noch viel weiter zurück als das Esperanto: Im 15. und 16. Jahrhundert versuchten Philosophen wie René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz, aber auch der Astronom und Physiker Isaac Newton, über eine künstliche Sprache die Wirklichkeit wahrhaft abzubilden. Lange bevor Ludwig Wittgenstein postulierte, dass man schweigen müsse, worüber man nicht reden kann, versuchten sie eine Sprache zu entwickeln, mit der das Unsagbare gesagt werden kann: Mit der die Ungenauigkeiten der natürlichen Sprachen ausgeräumt werden sollten. "Sie wollten eine Sprache schaffen, die das Denken in die richtigen Bahnen leitet", erklärt Tuider.


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Esperantomuseum in Wien
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Sprache der Pazifisten

Es waren eher Klassifizierungen und Kategorisierungen als Sprachen, Newton zum Beispiel gab allen Werkzeugen die Kategorie S und differenzierte dann weiter: Einem Hammer oder einem Hobel wurde dann ein zweiter Buchstabe zugeordnet - es war eine Sprache, die natürlich niemand sprechen konnte. Im Gegensatz zu "Volapük", das in den 1870ern die Hochblüte der Plansprachen einleitete und, auch wenn es sich weder so anhört noch liest, viele Anleihen aus dem Englisch hat: "world speak", Weltsprache, heißt es übersetzt. Es war die Zeit der Industrialisierung und damit auch einer ersten Globalisierung, als diese Sprachen entstanden. Die Menschen entdeckten, dass sie sich untereinander oft nicht verstanden. In Bialystok, heute Polen, damals Russland, wuchs Ludwig Lejzer Zamenhof in einem wahren Sprachengewirr auf. Sein Vater sprach Russisch, seine Mutter Jiddisch, Polnisch lernte er auf der Straße, und irgendwo muss er auch ein bisschen Deutsch und Französisch aufgeschnappt haben. In der Schule hatte er Latein, Griechisch und Deutsch. Und irgendwann wurde es ihm offenbar zu viel. Er entwickelte eine neue Sprache, mit der sich alle verstehen würden.

"Werk eines Gymnasiasten"


Mit 28 Jahren, mittlerweile schon Arzt, veröffentlichte er 1887 in vier Sprachen - Russisch, Polnisch, Deutsch, Französisch - den Entwurf einer neuen Sprache, an der er über zehn Jahre gearbeitet hatte. "Es ist im Grunde das Werk eines Gymnasiasten", sagt Tuider. Zamenhof veröffentlichte seine Sprache unter einem Pseudonym, denn er wollte "seine Karriere als noch junger Arzt nicht gefährden." Es lautete: Dr. Esperanto. Und die Sprache bald genauso.

Die Geschichte von Zamenhofs Schöpfung wird im Palais Mollard in der Herrengasse in zwei Räumen mit fünf Multimediastationen erzählt. Auf Wunsch auch in Esperanto, das Tuider fließend spricht. Gelernt hat er es erst, seit er hier angestellt ist. "Wir haben hier mehr Korrespondenz in Esperanto als auf Englisch oder Französisch", erzählt er. "Weil eben spezifisch zum Thema Plansprachen gesammelt wird."

Tuider kam über seine Diplomarbeit, die Alfred Hermann Fried behandelte, zum Esperanto. Fried war engster Mitarbeiter von Bertha von Suttner und wurde sechs Jahre nach ihr ebenfalls mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet - und er war ein Bindeglied zwischen Esperanto- und Friedensbewegung. "Viele Pazifisten befürworteten oder sprachen Esperanto." Beiden Bewegungen ging es um Völkerverständigung und die Hoffnung war, die verschiedenen Nationen durch eine neue Sprache einen zu können. Tuider war fasziniert von einem Foto, auf dem Fried gemeinsam mit dem Esperanto-Schöpfer Ludwig Zamenhof zu sehen war, "weil es diese enge Verbindung zwischen Esperanto- und Friedensbewegung zeigt".

Erfolgreichste Plansprache


Schon seit 1905 wurden alljährlich Esperanto-Weltkongresse abgehalten, aber erst in der Zwischenkriegszeit erlebte Esperanto seine Hochblüte - kurz sah es so aus, als könnte die Sprache ihre Versprechungen erfüllen. Esperantokurse wurden in Österreich bei der Post, der Polizei und der Bundesbahn angeboten; ab 1926 war es ein Fach an den österreichischen Schulen. 1927 wurde das Esperantomuseum gegründet und schon im Jahr darauf der Nationalbibliothek übergeben.

Mittlerweile hat es 35.000 Bibliotheksbände, 3000 museale Objekte und 22.000 Fotos angesammelt, von denen nur ein Bruchteil ausgestellt ist. "Es ist die umfangreichste Sammlung weltweit", sagt Tuider.

Esperanto ist die bei weitem erfolgreichste aller Plansprachen; aber insgesamt nur eine von rund 500, die seit dem Mittelalter entstanden sind - die anderen reichen von der Esperanto-Abwandlung Ido bis hin zu Klingonisch. Wobei auch Plansprachen Aspekte von natürlichen haben, weil ihr Wortschatz sich genauso erweitert - auch Esperanto braucht neue Wörter für neue Phänomene, etwa Facebook. Umgekehrt wurde auch in natürliche Sprachen künstlich eingegriffen, der deutsche Schriftsteller und Pädagoge Joachim Heinrich Campe hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beispielsweise - oft erfolgreich - Fremdwörter eingedeutscht. Seitdem kann man fortschrittlich statt progressiv und Örtlichkeit statt Lokalität sagen, während seine Vorschläge für Egoist - Ichling - und Pause - Zwischenstille - leider in Vergessenheit geraten sind.