Wien. Die 2010er Jahre sind das Jahrzehnt der Mobilitätswende in den Städten. Weniger Autos, mehr Rad, Fußgänger und Öffis. Es gibt nicht nur einen breiten Konsens über nachhaltige Mobilität, sie wird europaweit auch gelebt. Im Interview mit der "Wiener Zeitung" erzählt die deutsche Mobilitätsforscherin Susanne Böhler-Baedecker über die Hintergründe des Trends und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verkehrspolitik.

"Wiener Zeitung": Frau Böhler-Baedeker, Carsharing, Parkgebührenausweitung, der Ausbau von Radwegen und Öffis: Sieht man sich in europäischen Städten um, so könnte man glatt von einer Mobilitätswende sprechen. Hat der motorisierte Verkehr seine besten Zeiten hinter sich?

Peter M. Hoffmann
Peter M. Hoffmann

SusanneBöhler-Baedecker: Der Trend geht tatsächlich weg von der autogerechten Stadt. Die Städte haben die Notwendigkeit einer gesamthaften Betrachtung des Verkehrssystems erkannt. Dazu gehören auch Radfahren, öffentlicher Verkehr und zu Fuß gehen. Es gibt regionale Unterschiede, aber im Großen und Ganzen ist das eine Mainstream-Bewegung. Die Zielsetzungen für den städtischen Verkehr sind klar zu erkennen: saubere Antriebe, regulierende und steuernde Politiken, Zufahrtsbeschränkungen für Autos, und so weiter.

Wie kam es dazu?

Die städtische Ebene hat durch unterschiedliche Bewegungen eine Bedeutungszunahme erfahren. Einerseits auf globaler Ebene bei den Klimaverhandlungen - die Reduktion von CO2-Ausstoß soll demnach auf lokaler Ebene geregelt werden. Und andererseits auf Ebene der EU. Mit dem "Weißbuch Verkehr" im Jahr 2011, das als Langzeitziel einen CO2-neutralen Verkehr vorsieht, hat man sich zum ersten Mal ganz klar an die Städte gewandt. Es war auch höchste Zeit, den Stadtverkehr in eine relevante politische Ebene zu heben. Wenn man sich die Quellen der Emittenten ansieht, dann sieht man sehr stark, dass dies der Verkehr in den Städten ist. Mittlerweile haben sich auch Städtebünde entwickelt und den Einfluss von Städten erhöht.

Klimagipfel gibt es schon seit mehr als 20 Jahren. Die meisten sind aber im Sand verlaufen, da die Länder wenig Interesse hatten, etwas zu verändern.Werden die Städte es nun besser machen?

Städte sind von Haus aus entscheidungsfreudiger als Länder. Es hat aber sicher auch etwas mit lokalen Prozessen zu tun. Der Bürgermeister will ja wiedergewählt werden. Er setzt daher auf Trends. Und derzeit wollen viele Bürger eben grün leben. Außerdem sorgen hohe Unfallzahlen und Luftverschmutzung für ein schlechtes Image der Stadt. Als Abschreckbeispiel dienen Städte in Asien, die nicht mehr lebensfähig sind. Das will man natürlich verhindern. Schließlich werden dadurch auch potenzielle Investoren abgeschreckt.

In Wien gab es eine monatelange hitzige Debatte, als die größte Einkaufsstraße verkehrsberuhigt wurde. Können Sie eine Stadt nennen, wo der Mobilitätswandel in geordneten Bahnen abläuft?

Bremen hatte einen ausgewiesen guten Prozess in seiner Verkehrsentwicklungsplanung. Die Stadtregierung handelte nach einem gesamtheitlichen Ansatz. Mit dem Bürger wurde über das Internet als auch in persönlichen Gesprächen kommuniziert. Auf Webseiten gab es intelligente Tools, wo die Bürger eigene Szenarien entwickeln konnten. Es gab mit "Bremen bewegen" einen Slogan, ein eigenes Logo und ein durchgehendes Konzept. Das heißt: Bremen hat ordentlich Geld in die Hand genommen und ein Konsortium engagiert, die den Prozess ausgeführt haben. Die Stadtverwaltung hatte einen eigenen Stab dazu gebildet und das Ganze sehr eng betreut.

Haben beide Parteien der rot-grünen Stadtregierung in Bremen an einem Strang gezogen?

Ja, der Prozess war auch zwischen den Parteien sehr dialogorientiert. Selbst die oppositionelle CDU hat das mitgetragen. Daran sieht man: Wenn man etwas Gutes haben will, muss man sich ordentlich ins Zeug legen und es müssen alle mitziehen. Es ist ein Mehraufwand, denn die Parteien haben sich damit Arbeit geschaffen, die sie sonst nicht gehabt hätten. Man muss sich über viele Kleinigkeiten Gedanken machen. Wie komme ich an die Bürger heran? Welche Formate biete ich an? Wo muss ich das anbieten? Und wie beziehe ich das Umland mit ein?

Was ist das Ergebnis des Prozesses in Bremen?

Eine Weiterführung der serviceorientierten Stadtverwaltung, die auf Radverkehr, die Elektrifizierung im öffentlichen Raum und Öffis setzt. Man hat den Eindruck, dass die Herangehensweise der Stadt an den Prozess auch Grundlage für weiteres politisches Handeln wird.

Glauben Sie, dass es den Autos genauso ergehen könnte wie den Zigaretten, die von der Politik mit Verboten zurückgedrängt wurden?

Bei den Zigaretten sieht man, wie einflussreich und durchsetzungsfähig Politik sein kann. Vor 20, 30 Jahren gab es noch ein völlig anderes Leitbild. Rauchen gehörte damals zu einem modernen Lebensstil, verbunden mit dem Gefühl der Freiheit und der emanzipatorischen Bewegung. Heute wird Rauchen völlig stigmatisiert. Es gibt durchaus Parallelen mit dem Auto, das ein ähnliches Standing wie die Zigarette hatte. Mittlerweile werden Autos immer häufiger als schmutzig, laut und stinkend wahrgenommen. Doch auch wenn es derzeit in Richtung sauberes Fahrzeug geht, so sehe ich noch nicht die Verbannung des Autos, so wie bei den Zigaretten. Das Auto wird uns noch länger beschäftigen.

Zur Person

Susanne

Böhler-
Baedecker

arbeitet bei Rupprecht Consult, eine Non-Profit-Organisation, die zum Thema nachhaltige Mobilität forscht. Zuvor war die Wissenschafterin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie tätig.