Sevilla. Es gibt ein Prinzip in der Stadtplanung, das immer nach denselben Mechanismen funktioniert. Eine Blaupause, die auf alle Städte anwendbar ist: Man baue Fahrbahnen und die Menschen werden mit dem Auto fahren. Man baue ein Netzwerk von U-Bahnen, Straßenbahnen und Buslinien und die Bürger werden mit den Öffis fahren. Und wenn man ein lückenloses Netz von Radwegen baut, dann werden die Menschen Radfahren. Egal, ob sie bis dahin immer mit dem Auto oder mit den Öffis unterwegs waren. In Sevilla hat man ein in sich geschlossenes Radwegenetz gebaut. Und viele Sevillaner stiegen auf das Fahrrad.

Einer von ihnen ist Vicente Hernandez Herrador. "Ich bin früher nur mit dem Auto gefahren. Ich dachte nicht im Traum daran, auf das Rad zu steigen. Ich dachte, es sei unmöglich in dieser Stadt", sagt der Wissenschafter, der an der Universität in Sevilla arbeitet. Herrador besitzt nach wie vor ein Auto. Er mag das Gefühl, wenn er den Zündschlüssel dreht und der Motor aufheult. Wenn er in den ersten Gang schaltet und er durch die Kraft des Fahrzeuges in den Sitz gedrückt wird. "Ich liebe noch immer Autos", betont er. "Aber ab dem Moment, wo ich sah, dass ich sicher auf einem Radweg von daheim zu meinem Arbeitsplatz fahren konnte, habe ich umgesattelt." Herrador wollte nicht mehr in das glühend heiße Auto einsteigen, wenn es - wie so oft in der andalusischen Hauptstadt - 40 Grad Außentemperatur hatte. Er wollte auch nicht mehr sein Geld für das viele Benzin ausgeben, von dem er in den Sommermonaten - durch das Einschalten der Klimaanlage - doppelt so viel verbrauchte. Heute fährt er bei jedem Wetter mit dem Fahrrad. Er gehört zu jenen sechs Prozent in Sevilla (Wien: sieben Prozent), die ihre Wege mit dem Rad zurücklegen.

Bis vor ein paar Jahren war Radfahren in der Stadt der Orangenbäume, des Flamencos und der Tapas noch kein Thema. Wer Verkehr sagte, meinte in Wahrheit die Fortbewegung mit dem Auto. Fahrradwege waren nicht vorhanden. Sevillaner, die es dennoch mit dem Rad versuchten, blieben entweder in einer Touristengruppe in den engen, verwinkelten Gässchen der Altstadt Santa Cruz stecken oder verzweifelten an den zahlreichen mehrspurigen Schnellstraßen in den anderen Bezirken. Das war auch der Grund für Sevillaner wie Herrador, nicht mit dem Fahrrad zu fahren. "Ich bin jemand, der Angst davor hat, den Platz mit den Autos zu teilen", sagt der Wissenschafter. "Ich will nicht mit ihnen auf der Straße fahren. Und ich glaube es geht den meisten so."

Radweg statt Parkplätze (l.o.), Ricardo Marques Sillero und Vicente Hernandez Herrador auf dem Uni-Radparkplatz (m.u.), die Altstadt Santa Cruz (r.).
Radweg statt Parkplätze (l.o.), Ricardo Marques Sillero und Vicente Hernandez Herrador auf dem Uni-Radparkplatz (m.u.), die Altstadt Santa Cruz (r.).

Die Touristengruppen und Schnellstraßen gibt es zwar nach wie vor. Doch wer heute in Sevilla mit dem Fahrrad fahren will, kann dies auf separierten zweispurigen Radwegen tun. Auf insgesamt 164 Kilometern. Damit zählt die andalusische Hauptstadt zu den Vorreitern in Südeuropa, was nachhaltige Mobilität betrifft.

Der Aufstieg des Radfahrens in Sevilla ist eng verbunden mit der Geschichte des Bündnisses Izquierda Unida (Vereinigte Linke), das vor mehr als zehn Jahren vom Machtrausch einer Großpartei, den Sozialdemokraten (PSOE), profitierte. Bei den Wahlen im Jahr 2003 gingen zwar die Konservativen (PP) als Sieger hervor.

Die darauf folgenden Koalitionsverhandlungen zogen sich jedoch in die Länge. Zu groß waren die Gräben zwischen den Wahl-Gewinnern und den zweitplatzierten Sozialdemokraten, die als einzig mögliche Regierungspartner infrage kamen. Zudem hatten die Sozialdemokraten bereits andere Pläne. Den Regierungssessel wollten sie lieber selber beanspruchen. Für die erforderliche Mehrheit benötigte die Partei aber die Hilfe des Izquierda Unida. Als einzig mehrheitsbeschaffende Alternative für die Sozialdemokraten verkaufte sich das Links-Bündnis in den Verhandlungen so teuer wie möglich.

Radweg als Koalitionsbedingung

Eine der Koalitionsbedingungen war die Schaffung eines Büros für urbane Planung, mit dem Ziel, den Verkehr auf Sevillas Straßen neu zu ordnen. Zulasten von Autoparkplätzen sollten Radwege gebaut werden, so die Forderung des Bündnisses, bestehend aus Kommunisten, Grünen und Sozialisten. Zähneknirschend stimmten die Sozialdemokraten zu. Sollte sich der kleine Koalitionspartner doch mit dem Thema aufreiben und danach in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, dachte man sich. Dass Sevilla das Potenzial zu einer Radfahrerstadt habe, schien unvorstellbar.

Als die neue Regierung knapp drei Jahre später begann mit einem Schlag 15.000 Parkplätze zu entfernen, um darauf Radwege zu bauen, rieb man sich auch in der Opposition mit der Aussicht auf schnelle Neuwahlen die Hände. Kaum ein Politiker der anderen Parteien glaubte, dass die Sevillaner da mitmachen würden. Eine Fehleinschätzung. Noch bevor die Radspuren freigegeben wurden, rissen die Bürger die Bauzäune weg, weil sie nicht länger warten wollten. Die verlorenen Parkplätze für Autos waren schnell vergessen. "Es gab eine große Diskussion, die etwa drei Monate dauerte", erzählt Ricardo Marques Sillero, Uni-Professor und ehemaliger Präsident des Fahrrad-Vereins A Contramano. "Doch dann begannen viele Menschen, die Radwege zu benützen. Letztendlich war der Erfolg größer als die Gegner." Entscheidend war, dass die Regierung den Ausbau in einem Stück umgesetzt hat. "Damit hat die Stadtverwaltung ihren Bürgerkrieg schnell zu Ende gebracht."