Wien. Immer mehr Pendler setzen auf das Auto, wenn sie zur Arbeit nach Wien und am Abend wieder nach Hause fahren. Nach aktuellen Zahlen wälzen sich täglich rund 350.000 Pendler-Fahrzeuge durch die Stadt. Ein Rekordwert, der aber laut Magistratsabteilung 23 (Statistik, Arbeit, Wirtschaft) nicht lange halten wird. In den kommenden Jahren werde sich die Zahl noch weiter nach oben schrauben, so die Prognose des Magistrats.

Schon seit längerem fordern die Grünen Maßnahmen um diesen Trend zu stoppen. Unterstützung bekommen sie nun von unerwarteter Seite. Es ist die als autoaffin verschriene, vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominierte Wiener Wirtschaftskammer, die auf die Linie des kleinen Koalitionspartners einschwenkt. Es würden zu viele Autos nach Wien reinkommen, sagt Alexander Biach, stellvertretender Direktor der Kammer.

Ein Satz, den man so von schwarzer Seite noch selten gehört hat. Vor einem halben Jahr positionierte sich die ÖVP im Wien-Wahlkampf noch als "Anwalt" der "schikanierten" Autofahrer. Man wollte jene Wähler ansprechen, die mit der Verkehrspolitik der Grünen nichts anfangen konnten. Nun will man das Image des Benzinbruders jedoch loswerden.

Die vom Pendler-Verkehr verursachten Staus und die immer weniger frei bleibenden Parkplätze würden massiv der Wirtschaft schaden, erklärt Biach. Schließlich bleibe nicht nur der Pendler im Stau stecken und müsse längere Runden drehen, um sein Auto zu parken, sondern auch der Werkverkehr.

800 Einpendler
in einer Schnellbahn

Um die Autoflut der Pendler zu stoppen, will sich die Kammer verstärkt für den Öffentlichen Verkehr einsetzen. Vor allem die Schnellbahn soll es richten, so die Devise. In eine Schnellbahngarnitur passen 800 Einpendler, sagt Biach. Mit einem Schlag hätte man 800 Autos weniger, die nach Wien reinfahren würden.

Das Potenzial sei jedenfalls groß, erläutert Biach. Schließlich könnten die S-Bahnlinien im Gegensatz zur beliebten und zu Stoßzeiten oftmals vollen U-Bahn noch reichlich Passagiere aufnehmen. Aufgrund ihrer Unbekanntheit sei in den Zügen noch Platz vorhanden. Die Unbekanntheit sei aber auch das Problem, sagt der Wirtschaftsbündler.

Anders als etwa in Berlin oder in Paris ist die S-Bahn für die meisten Wiener keine echte Alternative. Die Vorwürfe der Öffi-Benützer sind umfangreich: lange Intervalle, unübersichtliche Fahrpläne und schlecht gekennzeichnete Streckenführungen auf den Öffi-Plänen. Im Unterschied zu den U-Bahnlinien, für die in den ausgehängten Fahrplänen der Wiener Linien jeweils eine Farbe zugeordnet ist, sind die S-Bahnlinien alle im selben Blau eingefärbt. Ein klarer Streckenverlauf ist dadurch nicht ersichtlich.

Dass die S-Bahn eine echte Alternative sein könnte, ist unbestritten. So bildet ihr Streckennetz sogar einen Ring, der durch die Außenbezirke der Stadt führt. Derzeit muss man jedoch dreimal umsteigen, um diese Route (S45 - S80 - S1, S2, S3) zu nutzen. In anderen Städten wie etwa Berlin wird der S-Bahnring bereits von einer durchgehenden Linie befahren. Ein Vorbild für Wien?

Um die Wiener für die S-Bahn zu begeistern, wurden nun die ersten Fahrpläne entwickelt, die das Angebot verbessern sollen. Ein S-Bahnring ist dabei aber nicht geplant. Man könne mehr Menschen mit radial und tangentialen Linien transportieren, sagt Franz Biribauer, ÖBB-Masterplaner Ost/Süd.

Im Mittelpunkt der Attraktivierungsinitiative steht die Linie S80. Die von den ÖBB bezeichnete Ost-West Tangentiale führt derzeit von Hütteldorf über den Hauptbahnhof nach Hirschstetten. Dabei verbindet sie alle U-Bahnlinien im Einstundentakt. In der Früh zwischen 5.30 Uhr und 8.30 Uhr fährt sie alle halben Stunden.

Zukünftig soll das Angebot der S80 verbessert werden. Das Ziel ist ein 15-Minuten-Takt, heißt es vonseiten der ÖBB. Bis dahin müsse die Strecke aber noch ausgebaut werden. So sind auf der Strecke bis 2024 eine zweigleisige Wientalüberquerung und zwei neue Stationen (Stranzenbergbrücke, Hietzinger Hauptstraße) im 13. Bezirk geplant.

Konkurrenzlos
zum Auto

Ab 2020 soll die Linie dann über den Marchegger Ast, der elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut wird, bis nach Bratislava, und dort bis zum Flughafen im Stadtteil Ruzinov fahren. In 40 Minuten wäre man von Bratislava in Wien. Und damit um 20 Minuten schneller als mit dem Auto. Für Alexander Biach ein unschlagbares Angebot für Pendler.

Die Finanzierung der Maßnahmen - bis zur österreichischen Grenze - steht und wird 450 Millionen Euro kosten. Etwa 80 Prozent übernehmen die ÖBB. Den Rest zahlt die Stadt Wien.

Bereits in Bau befindet sich die Pottendorfer Linie, eine Schnellbahnverbindung vom Hauptbahnhof über Ebreichsdorf nach Wiener Neustadt, die bis 2023 zweigleisig ausgebaut wird. "Mit der ausgebauten Pottendorfer Linie, dem Semmering-Basistunnel und dem Koralmtunnel wird es zu einer Verschiebung von Auto auf Bahn kommen", sagt ÖBB-Masterplaner Birlbauer.

Bewegung gibt es auch bei einem möglichen viergleisigen Ausbau der Südbahn zwischen Meidling und Mödling. Die Machbarkeitsstudie soll in wenigen Monaten abgeschlossen werden. Mit einem Ausbau ist allerdings erst ab 2024 zu rechnen.

Die Weststrecke zwischen Wien und Linz wurde im vergangenen Jahr viergleisig ausgebaut. Von Wien nach St. Pölten sind es seither nur noch 25 Fahrminuten. Nach Linz fährt die Bahn in 70 Minuten. Eine Zeit, die mit dem Auto nicht zu schaffen ist.

Nach Bratislava im Osten und Mödling, Graz sowie Klagenfurt im Süden soll die Bahn mit den vorher genannten Ausbauten nun ebenfalls konkurrenzlos werden.

Bleibt noch die Unbekanntheit der S-Bahn innerhalb von Wien. Um dieses Problem zu lösen, sind auch die Wiener Linien gefordert. Lange Zeit standen die städtische Verkehrsorganisation und die ÖBB mit dem Rücken zueinander. Das habe sich nun erheblich verbessert, heißt es unisono von beiden Seiten.

Die S-Bahnlinien in verschiedenen Farben darzustellen, geht den Wiener Linien allerdings zu weit. Die Pläne haben sich bewährt, heißt es. Und: Mit mehr Farben wären die Passagiere überfordert.