Das Kaffee Urania in der Radetzkystraße in Wien-Landstraße zählte zu den merkwürdigsten Gastronomiebetrieben der österreichischen Bundeshauptstadt. Ende Jänner 2016 musste Hubert Horky, der Inhaber, krankheitshalber zusperren, nachdem er das Kaffeehaus 52 Jahre lang in Eigenregie geführt hatte.
Ließ man im Kaffee Urania den Blick umherschweifen, so stand rasch fest, dass sich jahrzehntelang nichts geändert hatte. Die Kaffeehauslogen mit Kunstlederüberzügen hatte bereits Horkys Mutter, die das Kaffeehaus 44 Jahre lang vor ihm betrieben hatte, in Auftrag gegeben. Die Wirtshausbudel mit einsehbarer Vitrine, die bunten Fußbodenkacheln und der Wurlitzer sind irgendwann in der Nachkriegszeit hinzugekommen. Die Kaffeemaschine der Marke Urania war zweifelsohne das Prunkstück des Lokals – vergleichbare Modelle sind längst nur noch in Museen zu bewundern.
Ein echtes "Wiener Original"
Hubert Horky, dessen spröd-charmanter, gewitzt-altvaterischer Schmäh von den Gästen sehr geschätzt wurde, galt vielen als ein "Wiener Original". Sein Tagesablauf stand seit vielen Jahren fest: Um 19 Uhr läutete in seinem Schlafzimmer der Wecker, exakt 75 Minuten danach fand er sich in der Radetzkystraße ein, um sein Nachtkaffeehaus aufzusperren. Eines der Spezifika des Lokals war der kunterbunte Gästemix aus allen möglichen Gesellschaftsschichten. Studenten und Künstler schätzten neben der besonderen Aura auch das für Alt-Wiener-Kaffeehaus-Verhältnisse extrem niedrige Preisniveau. Zum Zeitpunkt der Schließung kostete etwa eine Melange 2 Euro, ein Kleiner Brauner 1,60 Euro und ein Achterl Wein 1,50 Euro.
Einer der Gründe, weshalb das Kaffee Urania so beliebt gewesen ist, war die Laissez-faire-Einstellung des Wirts, was die Wünsche der Gäste betraf. Bei den zahlreich abgehaltenen Festen, die vor allem von Studenten ausgerichtet wurden, durften – ohne jeglichen Aufschlag – mitgebrachte Speisen konsumiert werden. Mitunter fanden sich Weinrunden ein und zelebrierten mit selbst mitgebrachten Kreszenzen ihre speziellen Trinkspiele. Bei einer im Vorjahr abgehaltenen Lesung der Wiener Schule für Dichtung wurde das Kaffeehaus kurzerhand zu einer Art Musentempel umfunktioniert. Mitunter gab es auch von Gästen organisierte Live-Auftritte von Jazzern und anderen Musikern. Eine Zeit lang war das Kaffeehaus auch Veranstaltungsort für Tanzabende gewesen.
Sprach der Wirt über seine Stammgäste, so nannte er diese fast nie beim Namen. So bezeichnete er einen großgewachsenen Freiberufler als "den Loungan", einen speziellen Bartträger als "Spitzboat" und einen gewissen Akademiker als "Doukta". Frauen jugendlichen und mittleren Alters sprach er prinzipiell als "Fräulein" an. Personen, die ihm einigermaßen suspekt waren, fielen unter die Kategorie "Schwammerl". An dieser Stelle ist anzumerken, dass Horky im Lokal auch verschiedenartige Eigenbrötler duldete – selbst wenn er dem einen oder anderen von ihnen mitunter die Benimmregeln erklären musste.
Nicht wenige der Gäste kannten mit der Zeit auch die zahlreichen Ticks, die der Wirt hatte. Beispielsweise war bekannt, dass Horky von Zeit zu Zeit sein Lieblingslied "Auf die Liebe kommt es an" von Peter Alexander zu hören begehrte. Manch ein Gast tat ihm den Gefallen und drückte dann am Wurlitzer die Taste "S8". Vor allem war Horky ein Sammler. Er sammelte alles Mögliche, etwa Totenanzeigen von prominenten Wienern, Uniform-Kapperln oder alte PC-Drucker. In einem separaten Bene-Ordner hortete er sogar Zeitungsausschnitte über ehemalige Gäste, die kriminell geworden waren.
Die "Sammlung Horky"
Seine große Sammelleidenschaft galt jedoch dem Wiener Prater, in dem er gewissermaßen aufgewachsen war. Rund 4000 Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom alten Prater hatte er zusammengetragen. Die spektakulärsten Bilder der "Sammlung Horky" hatte er in vergrößerter Ausarbeitung im Kaffeehaus aufgehängt, wodurch dieses eine recht eigenwillige Atmosphäre bekam.
Die Melange aus Nostalgie und Urwienertum, wie sie nur in Horkys Refugium anzutreffen war, hatte dafür gesorgt, dass das Kaffeehaus immer wieder Gegenstand von Zeitungsberichten und Fernseh-Dokumentationen war, auch in Büchern wurden ihm eigene Kapitel gewidmet – zuletzt etwa in dem Werk "Streifzug durch den Wiener Wurstelprater" von Roland Girtler. Laut Horky war das Kaffee Urania Drehort von 30 Spielfilmen, darunter "Kommissar Rex", "Vatertag", "Kottan ermittelt", "Soko Donau" und die Thriller-Serie "Spuren des Bösen" mit Heino Ferch in der Hauptrolle.
Die Passion für den Prater hat Hubert Horky bis zuletzt nicht losgelassen. Als in der zweiten Märzwoche heurigen Jahres im Wien Museum Karlsplatz die Sonderausstellung "In den Prater! Wiener Vergnügungen seit 1766" anlief, schleppte er sich, bereits vom Tod gezeichnet, zur Eröffnung. Nach dem Ausstellungsrundgang ist er im Museum zusammengebrochen. Es war dies sein letzter Auftritt.
Das im Jänner geschlossene Kaffee Urania ist mittlerweile ausgeräumt und soll dem Vernehmen nach demnächst in eine Garage umfunktioniert werden. Es hat den Anschein, als sei der Wirt gemeinsam mit seinem Kaffeehaus gestorben. Morgen, Freitag, findet auf dem Wiener Zentralfriedhof das Begräbnis statt. Seine Passion begleitet den Wirt bis zum Grab: Dem Vernehmen nach werden auch Persönlichkeiten aus dem Praterumfeld erwartet.
Print-Artikel erschienen am 16. Juni 2016
in der "Wiener Zeitung", S. 23