Wien. Wo bis vor drei Jahren noch Autos Stoßstange an Stoßstange standen, jagen Kinder heute riesigen Seifenblasen hinterher. Statt hupenden Autos prägen nun Fußgänger mit Einkaufssackerl das Bild der Mariahilfer Straße. Radfahrer schlängeln sich zwischen den Passanten durch. Es gibt mehr Platz zum Verweilen. Aus der staugeplagten Straße ist eine verkehrsberuhigte Zone geworden.
53,2 Prozent der Bezirksbewohner von Neubau und Mariahilf votierten in einer Bürgerbefragung für die Umgestaltung in die Fußgänger- und Begegnungszone. Eineinhalb Jahre später ist die Zustimmung sogar noch viel größer: Knapp zwei Drittel hätten laut Sora-Umfrage im September 2015 dafür gestimmt. Bürgerinitiativen kritisierten hingegen das grüne Prestigeprojekt, das laut Büro von Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou insgesamt 21,4 Millionen Euro gekostet hat, als "Planungs-Pfusch" und reden von "Polit-Willkür". Die 1800 Meter lange Straße wurde so zum Politikum und schaffte es sogar in internationale Medien.

Nun ist ein Jahr vergangen, seitdem der letzte Pflasterstein gesetzt wurde. Autos sind bis auf den täglichen Lieferverkehr verschwunden. Unfälle mit Radfahrern: Gab es laut Polizei bisher nur einen. Ein Radfahrer krachte Anfang April in die gerade geöffnete Türe eines Autos. Das Miteinander von Fußgängern, Radlern und Autos funktioniert also.
Spürbare Online-Konkurrenz
Weniger Abgase, mehr Lebensqualität. Mehr Platz zum Flanieren, aber weniger Umsatz. So sieht es jedenfalls Phillip Thurzo, Geschäftsführer des gleichnamigen Juweliers auf der Mahü. Wegen der Verkehrsberuhigung verkaufe er weniger Schmuck und Uhren. "Früher konnten meine Kunden direkt vor dem Geschäft stehenbleiben", sagt er. Aber Thurzo spürt auch die Konkurrenz des Onlinehandels. Zwar bleibt die Zahl der Menschen, die im Netz bestellen, konstant. Doch sie geben Jahr für Jahr mehr Geld in virtuellen Shops aus. So wuchs der Distanzhandel von Mai 2015 bis April 2016 um drei Prozent auf 7,3 Milliarden Euro.
An seinem Standort in der Favoritenstraße verkauft der Juwelier inzwischen mehr als auf der Mariahilfer Straße. Doch er wirkt optimistisch. Denn bereits in den 1970er-Jahren, als Autos von der Kärntner Straße verbannt wurden, haben sie in ihrer dortigen Filiale einen Geschäftsrückgang gespürt. "Nach ein paar Jahren hat sich das Geschäft aber wieder erholt", erzählt Thurzo.
Eigentlich müsste das Geschäft viel besser laufen, denn auf Wiens wichtigster Einkaufsstraße zwischen Getreidemarkt und Kaiserstraße waren noch nie so viele Menschen vulgo potenzielle Kunden wie jetzt unterwegs. 303.900 Passanten zählte die Stadt- und Standortentwicklung City Team in einer Woche im Oktober 2015. Zwei Jahre zuvor waren es mit 263.100 noch 13 Prozent weniger. Der Umbau, bei dem das Niveau der Straße angeglichen und der Asphalt durch Pflastersteine ersetzt wurde, war demnach "definitiv ein Frequenzbringer", so Constanze Schaffner von City Team.
Umsätze gehen zurück
Doch was des Fußgängers Freud, so scheint es, ist des Verkäufers Leid. Ob kleine Geschäfte oder große Filialisten, um 20 bis 30 Prozent seien die Umsätze zurückgegangen sein, beklagen unisono der Wirtschaftsbund Neubau sowie der Club der Unternehmer der Mariahilfer Straße. Vor allem Schmuckläden und Textilgeschäfte hätte es getroffen", sagt Adolf Brenner, Manager des Clubs, der seit fast 40 Jahren existiert und rund 180 Mitglieder zählt. Zahlungskräftige Kunden, die bisher mit dem Auto angereist sind, würden ausbleiben. Denn das Angebot an Parkplätzen sei knapper geworden und es mangle an Querungen. Stattdessen habe man es mit einem jüngeren Publikum zu tun, das weniger Geld ausgibt. Michael Weinwurm, Obmann vom Wirtschaftsbund Neubau, stimmt in denselben Chor ein und meint: "Niemand kümmert sich mehr um die Nebengassen".
Die Kollergerngasse etwa, die Mariahilfer Straße und Schadekgasse verbindet. Seit bald zwölf Jahren ist das Plattengeschäft "Recordbag" Anlaufstelle für Indie- und Alternativefans. Viele Stammkunden von Andreas Voller kommen in der Regel mit dem Auto. Seit dem Umbau würden sie viel seltener sein Geschäft besuchen - aus Mangel an Parkplätzen, wie er von seinen Kunden zu hören bekommt. Laufkundschaft hat er fast keine: "Es ist nicht so, dass die Leute herunterströmen, seit es die Fußgängerzone gibt", sagt Voller. Vor allem jetzt lädt die Gasse nicht zum Besuch ein. An der Einmündung der Kollergerngasse in die Mahü versperren hohe Bauzäune und ein Container den Menschen den Blick. Denn das leer stehende Gebäude des Geschirr- und Tischkulturgeschäft Slama und die Filiale der Erste Bank gegenüber werden renoviert. Bald soll auch noch ein Kran aufgestellt werden, die Baustelle soll bis Ende des Jahres dauern.
450 Parkplätze weniger sollen es nach dem Umbau auf der Mahü und den Seitengassen sein, moniert Weinwurm. In der Tat ist die Anzahl der Parkplätze nun geringer: 161 fielen in Mariahilf und 130 in Neubau weg. Für sie galt eine Parkdauer von eineinhalb Stunden, wie Vassilakou-Sprecher Andreas Baur auf Anfrage mitteilt. Im Gegenzug wurden in beiden Bezirken 495 Anrainerparkplätze geschaffen. Zum Parken braucht man allerdings ein Parkpickerl.