Wien. "Bierdose wegwerfen. Beine breit." Der Security-Mann klopft die Hosenbeine sorgfältig vom Schritt bis zum Knöchel nach potentiellen Schuss- und Stichwaffen ab. Verdattert streckt ihm der Jugendliche das 50 Euro teure Ticket entgegen. Endlich darf er eintreten. Hinter ihm wird weiter artig gewartet. Menschen in bunt bedruckten Fan-Shirts stehen in Reih und Glied vor der orange-braunen Mauer aus Backstein. Nur zäh geht es vorwärts. Es ist das gewohnte Bild vor jeder kommerziellen Veranstaltungshalle der Stadt.
Doch hier hätte dies einst wohl niemand für möglich gehalten. Denn die Arena Wien ging vor 40 Jahren aus Österreichs fruchtbarster Hausbesetzung hervor. Eine Subversion, die die Gesellschaft nachhaltig verändern sollte. Nur am Ort des Geschehens selbst ist davon wenig geblieben.
Der Sommer 1976 ist außergewöhnlich heiß. Die Sonne brennt auf die Dächer Wiens. Auf den Straßen herrscht Langeweile. Trotz brütender Hitze scheint die Stadt in eine Art Winterschlaf gefallen zu sein - und das seit Jahrzehnten. "In Wien gab es keine Orte, wo man sich kreativ ausleben konnte", sagt der Autor, Musiker und Journalist Gerald Jatzek, Arenabesetzer der ersten Stunde. Eine stockkonservative Stadt, deren Angebot im subkulturellen Bereich mehr als zu wünschen übrig ließ. "Außer drei, vier Lokalen gab es nichts, wo man als junger Musiker hätte auftreten können."

Die Stadtplanung war nach dem Wiederaufbau von einem funktionalistischen Grundgedanken geprägt. Die Lebensbereiche Arbeit, Freizeit, Produktion und Konsum waren räumlich strikt getrennt. Urbane Freiräume wurden zunehmend industrialisiert und kommerzialisiert. "Es war die Zeit der Betonierer. Die Otto-Wagner-Brücke sollte einer Stadtautobahn weichen, den Naschmarkt wollte man schleifen. Alles was lebendig war, wo unterschiedliche Leute zusammengekommen sind, sollte planiert werden", sagt die Konzertveranstalterin Ingrid Karl, eine der zentralen Figuren der Arenabesetzung und heutige Leiterin der Wiener Musik Galerie.

Doch in diesem biederen Klima des Wirtschaftsaufschwungs begann auch ein Funke zu zünden. Ein Hauch von Revolution lag in der Luft.
Schlachthof wird an
Textilkette verkauft
Vor allem in der jungen Wiener Künstler- und Intellektuellenszene machte sich Unmut breit. Im Geist der Pariser Studentenproteste 1968 und auf den Spuren des französischen Philosophen Henri Lefebvre pochte sie auf ihr "Recht auf Stadt". Sie plädierte für eine emanzipierte, urbane Gesellschaft, für ein gesamtgesellschaftliches Anrecht auf kollektiv gestalteten städtischen Raum. Als in Wien die Meldung die Runde machte, dass das Gelände des ehemaligen Auslandsschlachthofs St. Marx an die Textilhandelskette Schöps verkauft worden war, entwickelte sich der Funke allmählich zu einem Flächenbrand. Zuvor hatten Architekturstudenten unter Gustav Peichl Vorschläge für die Nachnutzung des Areals an der Grenze des 3. und 11. Bezirks erarbeitet. Als temporäre Spielstätte der Wiener Festwochen tauchte 1975 erstmals der Name "Arena" auf. In den alten Industriegebäuden fanden avantgardistische Theateraufführungen "für junge Leute" statt. "Das waren großartige Produktionen in einer ansonsten total rigiden Kulturszene. Doch plötzlich hieß es, das hier soll es nicht mehr geben, der Schlachthof wird jetzt abgerissen", sagt Karl. "Da gab es große Aufregung".
Am Nachmittag des 27. Juni 1976 rief Willi Resetarits von der Band Schmetterlinge beim sogenannten Anti-Schleifer-Fest - einer Protestveranstaltung gegen Gewalt im Bundesheer - am Naschmarkt das Publikum dazu auf, am Abend in die Arena zu kommen. Das Gelände sollte nach der letzten Aufführung der Festwochen nicht mehr verlassen werden. "Festwochen-Intendant Ulrich Baumgartner war ein Sympathisant, er hat damals die Tore der Schweinehalle offen gelassen.", sagt Karl. Rund 700 Menschen strömten in die Halle. Kurz nach Mitternacht verlas der Kulturwissenschaftler Dieter Schrage eine Resolution. "Es war eine irrsinnig euphorische Nacht. Sofort wurde eine Organisationsstruktur gefunden. Wir diskutierten, wählten ein Komitee. Ulrich Baumgartner, der als temporärer Hausherr hinter uns stand, verwehrte es der Polizei einzugreifen", sagt Karl. Die erste große Besetzung Österreichs hatte begonnen.
Das Gelände selbst erwies sich als ideal "für die Gestaltung einer alternativen Idee von Stadt", sagt Martina Nußbaumer, Kuratorin der Ausstellung "Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern", die 2012 im Wien Museum stattfand. Der Auslandsschlachthof war eine Stadt in der Stadt. Auf 70.000 Quadratmetern verstreuten sich Hallen, Pavillons, Wiesen, Werkstätten. Ein Arsenal an Möglichkeiten. In den ersten Julitagen wurden immer mehr Gebäude adaptiert. Es entstand ein Filmpalast, Caféhäuser, ein Frauenhaus, ein Kinderhaus, ein Universität, Theater, Stadtzeitungen. Die Ideen sprudelten. "Das war eine derartig erfrischende Stimmung. Alle hatten Einfälle und setzten sie um, eine lebendige Szene, wie sie heute nur schwer vorstellbar ist", sagt Karl.