Wien. Journalisten, Zuschauer, Angehörige - alle sind sie da, um den Strafprozess gegen sechs junge Menschen zu sehen. Alle pressen sie sich in die Zuschauerbänke des Verhandlungssaals 303 im Wiener Straflandesgericht. Schnell sind die Plätze vergeben. Ein Privatsecurity weist die Zuspätgekommenen zurück. Erst wenn ein Zuschauer geht, darf ein anderer reinkommen. Zahlreiche Personen warten am Gang vor dem Saal auf ihre Chance.

Kieferbruch - das Video, in dem das wehrlose Opfer geschlagen wurde, sorgte für Entsetzen. Die Erstangeklagte wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt, davon sechs Monate unbedingt. - © Wiener Zeitung
Kieferbruch - das Video, in dem das wehrlose Opfer geschlagen wurde, sorgte für Entsetzen. Die Erstangeklagte wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt, davon sechs Monate unbedingt. - © Wiener Zeitung

Es sind Szenen, die sich sonst nur bei spektakulären Mordprozessen oder Wirtschaftsstrafverfahren abspielen. Bei diesem Prozess aber geht es um etwas anderes. Ein Video zieht all das Interesse auf sich. Es zeigt junge Menschen, die am 9. November 2016 ein 15-jähriges Mädchen umringen, ohrfeigen, ihr heftig ins Gesicht schlagen und dadurch den Kiefer brechen.

Das Video fand schon bald seinen Weg ins Internet - millionenfach wurde es angeschaut. Kontrovers wurde es diskutiert. Am Mittwoch hatten sich die angeklagten Jugendlichen, die für die Gewalttat und das Video verantwortlich sein sollen, vor einem Schöffensenat (Vorsitz: Richterin Michaela Röggla-Weisz) einzufinden.

"Die Tat ist überhaupt nichts Spektakuläres", sagt Alexander Strobl, der Verteidiger des Fünftangeklagten. Sie sei "ein Klacks" im Vergleich zu den Morden, den Vergewaltigungen, mit denen er und seine Kollegen tagtäglich zu tun haben. Die Verbreitung, die Abrufbarkeit des Gewaltvideos durch die sozialen Medien sei ausschlaggebend. "Sie essen zu Hause ein Wurstbrot und sehen ein Video, wo jemand einem den Kopf abschneidet", sagt Strobl. Das sei heutzutage normal.

Manche Menschen dürften von dem Video und der Gewalt auch fasziniert sein. Das wird ersichtlich, als das Video zu Beweiszecken im Gerichtssaal vorgespielt wird. Die Reaktion einer Gruppe von jungen Männern, die auf den Zuschauerbänken sitzen, ist entlarvend. Kein Seufzer des Entsetzens, kein anklagendes Wort kommt ihnen über die Lippen.

Im Gegenteil: Ihr Mund formt sich zu einem Lächeln, sie grinsen, lachen leise. "Als wäre sie Profi-Boxerin", sagt ein Mann, der von der Schlagtechnik einer Täterin anscheinend begeistert ist. Gewalterfahrungen haben bereits einige der Angeklagten gemacht. Ein 21-Jähriger weist bereits zwei Vorstrafen wegen Körperverletzung auf. Er befindet sich seit dem Vorfall in Untersuchungshaft. Angeklagt ist ebenfalls sein jüngerer Bruder. Er schlug zwar nicht zu, half dem Opfer aber auch nicht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung vor. Ein weiterer Angeklagter, ein wegen Raubes vorbestrafter 16-Jähriger, ist ebenfalls seit wenigen Tagen in U-Haft: Er soll Außenminister Sebastian Kurz in mehreren Hass-Postings wüst bedroht haben. Eine bedingte Haftstrafe von sechs Monaten ist bei ihm noch offen.

Auch die 16-jährige Erstangeklagte - sie soll die mutmaßliche Rädelsführerin sein - sitzt nicht zum ersten Mal vor der Strafrichterin. Vor knapp drei Wochen wurde sie zu einer fünfmonatigen, bedingten Haftstrafe verurteilt, weil sie im August 2016 unter anderem in das Haus ihrer Mutter und ihres Stiefvaters eingebrochen ist - die "Wiener Zeitung" berichtete.

"Respektschellen und Denkzettel"

Die zierliche, junge Frau gerät in einen Redeschwall, als Richterin Röggla-Weisz sie zum Gewaltvideo befragt. Sie kenne das 15-jährige Prügelopfer schon länger, sagt sie. Es habe immer wieder Streitereien gegeben. Die 15-Jährige habe sich ihr iPhone ausgeborgt, das sie lange nicht zurückgegeben habe, und ihr Geld geschuldet. Bei einem Treffen in Wien-Donaustadt, zu dem auch die anderen Angeklagten erschienen, sei es dann zu dem Vorfall gekommen.

Das Mädchen habe "Respektschellen" und "einen Denkzettel" bekommen, sagt die Erstangeklagte. Vereinzeltes Gelächter im Publikum. Sie sei die "treibende Kraft" hinter dem Vorfall gewesen. "Warum haben Sie das Video überhaupt gedreht?", fragt die Richterin. "Das hat mit Dummheit zu tun", antwortet darauf die 16-Jährige.

Die Erstangeklagte befand sich nach dem Vorfall bis zum 23. Dezember 2016 in Untersuchungshaft. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft Wien wurde sie enthaftet. Sechs Tage danach soll sie einen Diebstahl in einer Drogerie begangen haben. Im Jänner soll sie zudem im Krisenzentrum, in dem sie untergebracht war, andere Jugendliche bedroht haben. Daraufhin kam sie erneut in Haft.

Das Prügelopfer erlitt bei der Tat einen zweifachen Bruch des Unterkiefers und eine Schädelprellung - rechtlich gesehen sind das "an sich schwere Körperverletzungen". Die Staatsanwaltschaft Wien legt den Angeklagten unter anderem "absichtliche schwere Körperverletzung" zur Last. Die Angeklagten zeigen sich größtenteils geständig, verneinen aber diesen Anklagevorwurf. Sie geben an, nicht den Vorsatz gehabt zu haben, das Opfer absichtlich - bei dieser Vorsatzform muss es den Täter gerade darauf ankommen, die schwere Körperverletzung zu verursachen - schwer am Körper zu verletzen.