Wien. Jahrelang kämpften Mieter, Anrainer und Denkmalschützer um den Erhalt des Hauses Bauernmarkt 21, ein Teil eines vierteiligen Ensembles aus der Gründerzeit. Letztlich waren die Bemühungen vergeblich, dieser Tage wurde mit den Abbrucharbeiten begonnen, womit ein weiteres Gründerzeitjuwel Wiens unwiederbringlich verloren geht.

Wie so etwas heute im ersten Bezirk noch möglich ist, können sich Denkmalschützer, Architekten und Anrainer nicht erklären. Es sei offensichtlich gezielt auf die Verwahrlosung hingearbeitet worden, meinen Denkmalschützer. "Anlässlich der Zwangsversteigerung 2002 hat ein zertifizierter Sachverständiger für Immobilienbewertung das Objekt zwar als generalsanierungsbedürftig bezeichnet, dem Gebäude selbst aber eine Restnutzungsdauer von 80 Jahren attestiert", sagt Markus Landerer, Vorstandsmitglied des Vereins Initiative Denkmalschutz. Jeder habe gesehen, dass die Fenster offengelassen wurden, inoffiziell wurde noch zahlreiche weitere Missstände berichtet.
"Nachschärfung wäre gut"
Dass in Wien viel zu viel Gründerzeithäuser unnötig abgerissen werden, sei bekannt, doch dieser Fall sei einer der unfassbarsten der vergangenen Jahre. "Der Abriss findet mitten in einer Schutzzone statt, noch dazu im Unesco-Weltkulturerbe, und das unter der Wahrnehmung der Öffentlichkeit", sagt Landerer. Aufgrund der prominenten Lage des Gebäudes habe in den vergangenen zehn Jahren jeder gewusst, was hier ablaufe, und trotzdem seien die Verantwortlichen, in erster Linie die Stadt Wien, nicht eingeschritten. Die Intransparenz der Baupolizei sei unhaltbar. Diese sei wie eine Blackbox, deren Entscheidungen nicht überprüft werden könnten. Außerdem mache es der Gesetzgeber zu leicht, schützenswerte Häuser abzureißen.
"Eine Nachschärfung der Bauordnung wäre gut", sagt Landerer. "Auffallend ist, dass es sich um ein Ensemble von vier ähnlichen Häusern vom selben Architekten handelt und die anderen drei in bestem Zustand sind", sagt Denkmalschutzexperte Gerhard Hertenberger. In dieser Gegend des ersten Bezirks sei das historische Stadtbild noch sehr intakt, da es wenig Kriegsschäden gab. Ein Neubau würde hier wie ein Fremdkörper wirken.
Hertenberger fordert, das künftig alle Gutachten offengelegt werden müssen. Nicht selten entstehe ein "Gutachterkrieg", in dem es Gutachten und Gegengutachten gebe, auch Gefälligkeitsgutachten seien keine Seltenheit. "Wenn Gutachten nicht mehr dem Amtsgeheimnis unterliegen würden, könnten NGOs einhaken."
Entscheidend sei, was anstelle des alten Hauses gebaut wird, meint Friedmund Hueber, Architekt und Mitglied des Denkmalbeirates des Bundesdenkmalamtes. Die Prinzipien der Stadtgestaltung dürfen laut Unesco-Weltkulturerbe nicht verletzt werden. Gebäudehöhe, Profil der Fassade, das Verhältnis Fenster und Putz bzw. Stein müssten ähnlich wie beim Vorgängerbau sein.
Warum es immer wieder um Abriss von stadtbildprägenden Gründerzeithäusern kommt? Der Politik mangle es an Verständnis, sagt Hueber. Der Aufruf des Autoren Gerhard Ruiss und mehrerer namhafter Künstler wie Elfriede Jelinek oder Erika Pluhar gegen das Hochhausprojekt am Heumarkt-Areal wurde von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou sinngemäß mit der Frage beantwortet, was Ewiggestrige gegen moderne Architektur und Hochhäuser hätten, so Hueber. "Dieser Antwort ist klar zu entnehmen: Sie weiß nicht, worum es geht."
Denkmalamt "ohne Linie"
Hueber sieht ein weiteres Problem: "Baugeschichte wird von den Unis verdrängt, es wird nur noch in die Zukunft geschaut." Deshalb könne man mit der historischen Substanz nicht mehr umgehen. Heute wollen Architekten mit ihren Bauten auffallen, was im bebauten Bestand fehl am Platz sei. Wichtig wäre eine andere Geisteshaltung, vor allem im Denkmalamt, das zurzeit "qualitativ am Boden" sei, sagt Hueber. Es gebe keine Linie, jeder Referent mache, was er wolle. Denkmalschutz werde als mühsam angesehen, dabei sollten Eigentümer froh sein, wenn sie ein Denkmal besitzen.
Außerdem müssten Politiker mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn man bedenke, dass Projekte mit einem Volumen von vielen Millionen Euro von der Stadt durchgewunken werden, obwohl damit alle Prinzipien des Städtebaus gebrochen werden, müsse man sich fragen, woher die Beamten die Motivation für ihr "Okay" hätten, so Hueber.
"Zweifellos bedauerlich"
Die Abbruchbewilligung beruht auf der Wiener Bauordnung, wonach diese zu erteilen ist, wenn ein Haus die technische Abbruchreife erreicht hat, hört man aus dem Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. "Ob der Zustand, wie behauptet, bewusst herbeigeführt wurde, war nicht eruierbar", heißt es weiter. Es seien mehrere Bauaufträge erteilt worden, die jedoch den Verfall des Gebäudes nicht stoppen konnten. "Es ist zweifellos bedauerlich, dass ein Ensemble dadurch zerstört wird, denn das Haus Bauernmarkt 21 ist ja dem auf anderen Seite des Bauernmarktes gelegenen Gebäude von seiner äußeren Gestaltung ähnlich", heißt es weiter.
Dass nicht nur Bürger und Anrainer, sondern auch die Stadt für den Erhalt barocker und anderer historisch bedeutsamer Gebäude kämpfe, veranschauliche das aktuelle Beispiel der Sanierung in der Bloschgasse 3 und 5 im Kahlenbergerdorf. Jährlich stünden für geförderte Sanierungen rund 200 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Sanierung seien seit Bestehen des Wohnfonds Wien, also seit dem Jahr 1984, Sanierungszusicherungen für 7165 Wohnhäuser ergangen, die Gesamtbaukosten hätten 7,65 Milliarden Euro betragen.
Der Eigentümer Lenikus GmbH will auf jeden Fall am Bauernmarkt nach Durchführung des Baugenehmigungsverfahrens ein Wohnhaus und/oder Hotel errichten. Die Bedenken der Anrainer und Denkmalschützer "sind uns bekannt und werden auch entsprechend ernst genommen. Aufgrund der enormen jahrzehntealten Baumängel und der festgestellten Abbruchreife war eine Rettung dieses Hauses jedoch leider nicht möglich", heißt es aus dem Unternehmen.