Der Zürgelbaum wird als besonders widerstandsfähige Sorte seit acht Jahren als Leitbaum gesetzt.
Der Zürgelbaum wird als besonders widerstandsfähige Sorte seit acht Jahren als Leitbaum gesetzt.

Wien. Wer sich an den Straßenrand des Rings stellt und die Augen schließt, spürt, wie der Boden durch die vorbeifahrenden Autos vibriert. Alle paar Minuten donnert eine Straßenbahn vorbei. Der Geräuschpegel ist extrem hoch. 30.000 Fahrzeuge fahren jeden Tag über die Wiener Ringstraße. Der Impuls den Straßenrand zu verlassen und sich in ruhigere Bereiche abseits des Rings zurückzuziehen, überkommt einen als Mensch hier schnell. Niemand möchte an einer stark befahrenen Straße besonders lang verweilen.

Die 2000 Bäume, die die Ringstraße säumen und einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Attraktivität leisten, haben diese Möglichkeit allerdings nicht. Sie müssen tagein, tagaus am Straßenrand stehen. "Das Leben eines Straßenbaums ist Stress pur", sagt der Stadtgartendirektor, Rainer Weisgram, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Es ist eine Riesenherausforderung, die Lebensbedingungen für sie aufrechtzuerhalten."

Denn Bäume am Straßenrand sind nicht nur dem intensiven Verkehr ausgesetzt, sondern müssen auch die starke Hitzeabstrahlung der Stadt aushalten. Hinzu kommt der Platzmangel. Oft sind sie von Baumscheiben eingegrenzt und von versiegelten und zubetonierten Bodenflächen umgeben. Seine Wurzeln, die unter der Erde noch einmal so viel Platz benötigen wie der Baum über der Erde, frei entfalten, kann ein Straßenbaum nur selten. Die Suche nach widerstandsfähigen Sorten blickt daher bereits auf eine lange Geschichte zurück.

Allein entlang der Wiener Ringstraße stehen 2000 Bäume. - © Peter Hruska
Allein entlang der Wiener Ringstraße stehen 2000 Bäume. - © Peter Hruska

"Als die Ringstraße in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegt wurde, setzte man Platanen als Leitbäume", erzählt Weisgram. Denn nachdem man das Wasserglacis vor dem Carolinentor der Wiener Stadtmauer, das bei der Bevölkerung als Erholungsgebiet sehr beliebt war, abgerissen hatte, wollte man sie entschädigen. Zum einen versprach man, Parks zu bauen - so ist der Stadtpark entstanden -, zum anderen die Ringstraße zu begrünen. Alle fünf Meter - für heutige Maßstäbe viel zu eng - wurden damals zur Beschattung Bäume gesetzt. Auch die Wahl der Sorten viel aus Unwissenheit nicht ideal aus. "Der damalige Stadtgartendirektor Rudolf Siebeck musste sich viele Beschwerden anhören und setzte Kommissionen ein, um herauszufinden, wie man die Bäume am Ring zum Wachsen bringt", sagt Weisgram.

Denn die Platanen hinderten sich mit ihren großen Kronen gegenseitig im Wachstum. Zudem nahmen sie den Gebäuden zu viel Licht. Heute stehen noch etwa 80 von ihnen am Ring.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Spitzahorn auf der Ringstraße als Leitbaum gesetzt. Auch diese Sorte ist den vielen Stressfaktoren der Stadt jedoch nicht besonders gut gewachsen. "Er verliert das Laub oft bereits im Juli oder August", sagt der Stadtgartendirektor. Heute stehen noch 650 Stück davon auf dem Boulevard, an denen man dieses Phänomen beobachten kann. Etwas widerstandsfähiger zeigt sich da schon die Linde, die 500 Mal am Ring zu finden ist.

Zehn bis zwölf Sorten für Extremstandorte

Der neue Liebling des Stadtgartenamts ist aber der Zürgelbaum. Er wird wegen seiner Widerstandsfähigkeit seit acht Jahren als Leitbaum gesetzt und ist am Ring bereits 450 Mal vertreten.

"Wir haben etwa zehn bis zwölf Bäume für Extremstandorte im Sortiment, von denen wir wissen, dass sie dort gut einsetzbar sind", sagt Weisgram. Dazu gehören auch der Feldahorn, die Gleditschie, die etwa auf der Mariahilfer Straße häufig anzutreffen ist, der Schnurbaum, eine bestimmte Ginkgo-Sorte oder die eine oder andere Ulmenart. "Das Wichtigste ist, den richtigen Baum zu wählen. Er muss mit Trockenheit umgehen können und die Krone darf nicht zu groß werden."

Beschaffenheit des Bodens als Wissenschaft für sich

Auch die Beschaffenheit des Bodens stellt eine Wissenschaft für sich dar und hat eine große Auswirkung auf das Überleben eines Straßenbaumes. Während man in den 1980er Jahren noch davon ausging, dass ein möglichst humusreicher Boden ideal sei, ist man heute anderer Ansicht und setzt auf durchlässige Schichten, die Staunässe verhindern und eine ständige Durchlüftung der Wurzeln sicherstellen.

Bei Neupflanzungen, wie etwa in der Seestadt Aspern, werden zudem mittlerweile standardmäßig Bewässerungsanlagen in den Boden eingebaut. Auch der Ring wurde vor drei Jahren für 800.000 Euro nachgerüstet. Seither kann jeder Baum am Morgen bewässert werden.

Um die Bäume am Ring zu stärken, werden sie zudem, wenn der Laubaustritt völlig erfolgt ist, in der Nacht von Fahrzeugen mit Schneekanonen mit biologischen Blattdüngungsmitteln besprüht. "Das stärkt den Baum, sodass er schwierige Situationen besser aushält", sagt Weisgram.

Dass sich die Stadt so sehr um das Wachstum der Bäume bemüht, liegt an dem vielfältigen Nutzen, den sie mit sich bringen. Denn sie geben nicht nur Sauerstoff ab und erhöhen die Luftfeuchtigkeit, sondern beschatten auch und senken die Temperatur an heißen Sommertagen um bis zu fünf Grad. "Außerdem sie sind prägend für das Stadtbild", sagt der Stadtgartendirektor.