Incheon. Song Eui-jin inspiziert fachmännisch seine Maus, streckt seine Finger mehrmals durch, renkt kreisförmig seinen Hals. Ein letztes Vorbereiten vor dem großen Match. In der schalldichten Spielerkabine hört der 21-jährige Koreaner nicht die 26.000 Fans auf den Tribünen, die ihn mit martialischen Schlachtrufen und roten Leuchtstäben anfeuern. An diesem Samstagabend im Munhak-Fußballstadion von Incheon wird der schüchtern wirkende Bursche mit der fahlen Haut zum Shootingstar "Rookie" - dem besten "League of Legends"-(LoL-)Spieler seiner Generation. "Heute tritt nicht David gegen Goliath an, es stehen vielmehr zwei Goliaths auf dem Feld", ruft der Sportkommentator überschwänglich. Auf der Bühne knallt ein letztes Feuerwerk in den Himmel, bevor auf den absurd riesigen Bildschirmen ein Countdown heruntergezählt wird: Das Spiel beginnt.
Das Finale der LoL-Weltmeisterschaft ist die wichtigste E-Sport-Veranstaltung, und sie steht einer herkömmlichen Sportveranstaltung um nichts nach: Wenn das chinesische Team Invictus Gaming, für das Song Eui-jin antritt, gegen die europäischen Spieler von Fnatic antritt, geht es um ein Preisgeld von 2,13 Millionen US-Dollar. Die Computerspieler haben sich zunächst aus vierzehn verschiedenen Regionalligen qualifiziert, später in einer einmonatigen K.o.-Runde in Südkorea gegen Teams aus allen Kontinenten durchgesetzt. Als "Kampf zweier Welten" wird das Match von den Veranstaltern beworben - schließlich hat zum ersten Mal ein europäisches Team die Chance, die ostasiatische E-Sport-Dominanz zu durchbrechen. "Wir waren extrem enttäuscht, dass die koreanischen Teams bereits im Viertelfinale ausgeschieden sind", sagt Yoon Young-hak vom Veranstalter Riot Games Korea: "In den vergangenen Jahren hat Südkorea schließlich jede Weltmeisterschaft dominiert." Sorgen über schleppende Ticketverkäufe erwiesen sich jedoch als unbegründet: Früh waren die Tickets ausverkauft, bis zu 50 Euro haben die Fans dafür gezahlt. Beim Fantasy-Strategiespiel "League of Legends" treten zwei Teams aus jeweils fünf Spielern gegeneinander an. Es gibt mehrere strategische Positionen, sie heißen etwa Top Laner oder Jungler. Taktisches Feingefühl und extreme Reaktionsschnelligkeit sind gefordert, die einzelnen Abläufe sind derart einstudiert, dass der Spielverlauf für Außenstehende nur noch schwer nachzuvollziehen ist - eben Hochleistungssport mit Computertastatur und Maus.
"Je älter man wird, desto langsamer werden die Reflexe. Spätestens mit Ende 20 gehört man schon zum alten Eisen - das ist ähnlich wie beim Fußball", sagt Timo Verdeil. Der 22-jährige E-Sport-Journalist hat bereits während seiner Schulzeit in der südfranzösischen Provinz gewusst, dass er mit seiner Leidenschaft für die Computerspielszene auch eine berufliche Laufbahn aufbauen kann. Seither reist er für die Zeitung "L’Équipe" um die Welt, von Turnier zu Turnier. "Meine Mutter hätte es lieber gehabt, dass ich was Ordentliches studiere", sagt Verdeil - "weil sie denkt, dass E-Sport ein Trend ist, der schon bald wieder vergeht." Seither ist die Industrie jedoch immer weiter angewachsen. Vor allem die Spieler haben sich zunehmend professionalisiert. Die meisten trainieren in eigenen Team-Wohnhäusern sieben Tage die Woche, mindestens zehn Stunden täglich. Sie werden von großen Firmen gesponsert, ihr Verdienst steht jenem professioneller Leistungssportler um nichts nach.