Wien. Eine Welt, dargestellt als verwaschenes Ölgemälde statt einer Szenerie mit konturscharfen, detailgetreuen Gewehrnachbildungen; eine gediegene Erzählung statt Präzisionsklicken auf Basis einer Alibi-Geschichte: "11-11: Memories Retold" ist ein Kriegsspiel, wie man es sich gar nicht erwarten durfte. Es erzählt die Geschichte eines deutschen und eines britisch-kanadischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, deren Wege sich in Schlachten kreuzen, in denen es keinen Gewinner geben kann.

Hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November ist mit "11-11" ein Spiel erschienen, das Abstand von heroisierenden Ballereien nimmt. Stattdessen will es eine leise Ahnung davon vermitteln, in was für einer Welt die Soldaten damals gelebt haben.
Harry, aus der britischen Kolonie Kanada, zieht zunächst freudig als Fotograf in den Krieg. Will er doch damit die Bewunderung seiner heimlichen Liebe erheischen. Auf der anderen Seite lässt sich der Deutsche Kurt nur einziehen, weil er seinen an der Front vermissten Sohn finden möchte.

Schon bald finden sich beide in gnadenlosen Grabenkämpfen wieder: Freunde werden erschossen, Giftgasangriffe gestartet, Hunger und Verzweiflung sind allgegenwärtig. Und doch gelingt es den beiden Männern, mitten in diesem Schrecken eine Freundschaft zu entwickeln.
Topbesetzung von Schauspielern bis Filmstudio

Den hohen Anspruch, den Spielentwickler Bandai Namco an "11-11" stellt, zeigt schon die Prominenz, die der Publisher dafür aufmarschieren lässt: Die Sprechrollen der Hauptcharaktere haben Sebastian Koch (bekannt aus dem Film "Das Leben der Anderen") und Elijah Wood (bekannt als Frodo in der "Herr der Ringe"-Trilogie) übernommen. Dafür, dass man quasi wie in einem impressionistischen Gemälde spielt, sorgt die zweifach oscargekrönte britische Filmproduktionsgesellschaft Aardman. Sie wurde mit ihren Animationsfilmen "Wallace und Gromit" weltbekannt.

"11-11" setzt ganz klar darauf, beide Seiten zu zeigen und zu verdeutlichen, dass in einem Krieg beide Seiten die Verlierer sind. So muss man sich auch nicht dafür entscheiden, mit Harry oder Kurt zu spielen, sondern schlüpft abwechselnd in die Rolle von beiden. Die Entscheidung, was man den Lieben zu Hause schreibt, ob man sie etwa anlügt, um sie zu beruhigen, oder versucht, sich selbst zu glorifizieren, unterstützt den Spieler dabei, sich in die Soldaten von hineinzuversetzen.

Die Gespräche, die man führt, sowie die getroffenen Entscheidungen, haben Auswirkungen auf die Entwicklung der Geschichte und letztlich auch auf deren Ende. Die Dialoge sind übrigens in den Originalsprachen Deutsch, Englisch und Französisch - mit deutschen Untertiteln - gehalten.
Auf die aufgelegten Shooter-Elemente verzichtet das Spiel völlig: Obwohl mitten im Krieg, muss man nicht einen Schuss abfeuern. Stattdessen begleiten Minispiele die Geschichte. Sie reichen von gefinkelten Rätseln über Geschicklichkeitsspiele bis hin zu den in Rollenspielen allseits unbeliebten Sammelaufträgen à la "Finde zehn Ork-Lebern".
Diese Aufträge sind dort besonders störend, wo sie den Erzählfluss und den aufgebauten Zeitdruck des Spiels unterbrechen. Schon bald hat man heraußen, dass man den brüllenden Major konsequenzlos warten lassen kann, bis auch das letzte Puzzleteil gefunden ist.
Historische Zeugnisse
als Belohnung
Zwar kann man die Geschichte problemlos ohne die Suchaufträge absolvieren, doch ginge dadurch die historische Belohnung verloren. Denn für jeden komplettierten Auftrag wird eine Notiz zum Ersten Weltkrieg freigeschaltet. So erfährt man etwa, warum die Mohnblume als Symbol des Gedenkens an die Kriegsopfer dient: Bei den furchtbaren Kämpfen in Flandern wurden viele Gefallene im Niemandsland zurückgelassen. Im nächsten Sommer wuchsen dann zahllose Mohnbeete, dort, wo die Toten gelegen waren. Oder man erfährt, was der Over-Seas Club war - alles mit Originalbildern von damals illustriert.
Für Hardcore-Gamer auf der Jagd nach möglichst vielen Kills ist das Spiel mit ziemlicher Sicherheit unbefriedigend. Doch wer eine berührende Geschichte sucht und sich Gedanken über Einzelschicksale im Krieg machen will, ist bei "11-11: Memories Retold" gut aufgehoben - einem Spiel, das guten Gewissens jeder Schule für den Unterricht empfohlen werden kann.
Das Spielemuster wurde der "Wiener Zeitung" vom Hersteller zur Verfügung gestellt.