Wien. Alljährlich nehmen Videospiele immer gigantischere Ausmaße an. Wochen, wenn nicht Monate, kann man in manchen Titeln verbringen, und trotzdem gelangt man an kein Ende. Immer riesigere Welten schaffen die Hersteller, die sie mit angeblich nie enden wollenden Abenteuern füllen. Doch allzu oft stößt das scheinbar Grenzenlose schnell an seine Grenzen. Und das quantitative Angebot so manchen Spiels erdrückt die Qualität.

Auch 2018 konnten einige Neueinsteiger auf die Liste der überladenen Spiele geschrieben werden. So etwa "Assassin’s Creed Odyssey". Der jüngste Teil des Meuchelmörder-Franchise führt ins antike Griechenland, das mit einer beeindruckenden Grafik, liebevollen Details und unzähligen Aufgaben aufwartet. Es sei das größte "Assassin’s Creed", das es jemals gegeben habe, frohlockten die Entwickler von Ubisoft.

Aus den reizvollen Zutaten konnten sie jedoch keinen Erfolg brauen. Nur der erste Abschnitt des Spiels überzeugt, danach entlarvt sich die Spielmechanik zunehmend selbst. Denn die Spielwelt ist zwar wunderbar schön, aber auch furchtbar leer. Überall gibt es die gleichen Nebenmission zu erledigen, Boten- und Sammlerdienste nehmen kein Ende. Bis auf ein paar optische Finessen gleicht jede Insel der anderen. Bald schon nimmt die Motivation ab, nur die Hauptgeschichte kann etappenweise noch fesseln.

Zahlreiche andere Titel sind bereits zuvor ähnlichen Problemen erlegen. Das Science-Fiction-Abenteuer "Mass Effect: Andromeda" war zwar wesentlich größer als die ursprüngliche "Mass Effect-Trilogie", zugleich aber auch wesentlich fader. Auch das Fantasy-Rollenspiel "Dragon Age: Inquisition" scheiterte unter anderem an seinen monotonen Aufgaben und der großen, aber langweiligen Spielwelt.

Wenn Zeit und
Ressourcen fehlen

Grundsätzlich ist dieser Hang zur Größe verständlich. Die Videospielbranche ist eine milliardenschwere Industrie, in der manches Studio jährlich neue Titel auf den Markt spuckt. Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, fahren die Studios gerne mit Zahlen und neuen Größenrekorden auf. Doch haben sie wegen des Zeitdrucks meist einfach nicht die Ressourcen, um ihre Rollenspiele zu perfektionieren: "Assassin’s Creed"-Spiele etwa erscheinen nahezu jedes Jahr. Da bleibt wenig Zeit, sich einzigartige Geschichten und Charaktere zu überlegen und durchzudenken, zu reflektieren und sich neu zu erfinden.

Dabei leben Rollenspiele von diesen Geschichten und Charakteren. Sie bilden das Fundament, auf das die Welt des Spiels errichtet wird. Was nützt es, fünfzig Inseln bereisen zu können, wenn der Held farblos ist und in einer langweiligen Geschichte mitspielt? Wer verbringt gerne Zeit in einer Welt, in der man ständig nur das Gleiche erlebt?

Entwickler müssten sich wieder mehr um dieses Fundament kümmern. Wenn dieses steht, kann der Rest darauf gebaut werden. Ein gutes Beispiel ist der polnische Entwickler CD Projekt Red. Er produziert Spiele nicht am Fließband, sondern lässt sich jahrelang Zeit für seine Titel. Die Geduld lohnt sich, wenn Spiele wie "The Witcher 3" herauskommen. Der Fantasy-Titel ist zwar ebenfalls riesig, aber weit lebendiger als seine Konkurrenz. Das liegt an der packenden Geschichte, den grandiosen Nebenaufgaben, den sympathischen, skurrilen Charakteren. Die Spieler wissen das zu schätzen: Weltweit verkaufte sich "The Witcher 3" mehr als 33 Millionen Mal. Unbestätigten Berichten zufolge soll "Mass Effect: Andromeda" gerade einmal gut ein Zehntel davon verkauft haben.

Vom Ballast
befreien

Die Entwickler könnten sich auch an der Literatur orientieren. Denn so schnell wie ein überladenes Spiel landet auch so mancher Wälzer wieder in einem Regal. Vielleicht wäre da ein Blick in Stefan Zweigs "Welt von Gestern" geboten. Dort schwärmt der Autor von knackigen Geschichten und dem Kürzen: "Es ist ein unablässiges Ballast-über-Bord-Werfen, ein ständiges Verdichten und Klären der inneren Architektur; während die meisten andern sich nicht entschließen können, etwas zu verschweigen, was sie wissen, und mit einer gewissen Verliebtheit in jede gelungene Zeile sich weiter und tiefer zeigen wollen, als sie eigentlich sind, ist es mein Ehrgeiz, immer mehr zu wissen, als nach außen hin sichtbar wird."