Wien. 4,9 Millionen Österreicher spielen regelmäßig Videospiele. Das stellte nicht nur der Österreichische Verband für Unterhaltungssoftware (ÖVUS) 2017 in einer Studie fest. Ein Blick auf diverse Spielemessen wie die "Game City" im Wiener Rathaus führt auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen die Unmenge an Menschen vor Augen, die in Österreich gerne in digitale Welten abtauchen. Doch warum spielen Menschen Videospiele?
Einer der Gründe ist die "Identifikation", erklärt der deutsche Kommunikationswissenschafter Carsten Wünsch von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. In vielen Spielen wird eine lebendige und authentisch wirkende Parallelwelt geschaffen.
Ähnlich wie bei einem guten Roman identifiziert sich der Spieler bei einem überzeugenden Titel mit der Hauptfigur. Begünstigt wird das durch das hohe Niveau an grafischem Realismus, den die Spiele mittlerweile bieten. Das Eintauchen in diese virtuelle Welt wird "Immersion" genannt und erzeugt - teils gekoppelt mit Millionen Mitspielern via Internet - ein intensives Spielerlebnis. Im Klassiker "Grand Theft Auto V" von Entwickler "Rockstar North" beispielsweise findet man sich im fiktiven US-Bundesstaat San Andreas wieder, welcher Kalifornien nachempfunden ist.
"Das kann in einer halben Stunde passieren"
Wie schnell sich der Spieler in die virtuelle Figur hineinversetzen kann, hängt "stark von der Ähnlichkeit mit der Person, mit der ich mich identifiziere, ab", erklärt Carsten Wünsch. Das können charakterliche oder äußere Ähnlichkeiten sein, aber auch gemeinsame oder ähnliche Erlebnisse.
"Bei einem sehr packenden Spiel kann das bereits nach einer halben Stunde passieren." Und je öfter man die virtuelle Figur sehe und mit diesem Avatar spiele, desto intensiver werde die Identifikation zu ihr, führt der Kommunikationswissenschafter aus.
Diese Identifikationsmöglichkeit birgt auch Suchtpotenzial in sich. Etwa bei Jugendlichen, die von ihrem Spielcharakter regelrecht besessen sind und in die virtuelle Welt flüchten, um ihren Problemen zu entfliehen - die "Wiener Zeitung" berichtete.
Theoretisch müsste auch eine andere Gefahr bestehen. "Grand Theft Auto V" ist das erfolgreichste Spiel aller Zeiten, es hat sich nahezu bis zu 100 Millionen Mal weltweit verkauft. Dabei spielt man in dem Titel drei kriminelle Genies mit einem lockeren Abzugsfinger, die eine ganze Stadt zerstören und in Schrecken versetzen können. Auf ein riesiges Waffenarsenal können sie dabei zurückgreifen, Grenzen sind der Zerstörungswut kaum gesetzt. Sind die Millionen von Spielern also alle Möchtegern-Gangster und Psychopathen?
Bruch mit der Realität
Es sei gerade der Bruch mit der Realität, der hier den Reiz ausmache, beschreiben die Medienwissenschafter Andreas Jahn-Sudmann und Arne Schröder. Die Faszination von Gewalt als "audiovisuelles Spektakel" funktioniere, weil es "die Wirksamkeit des spielerischen Handelns veranschaulicht".
Weil sich das Abenteuer an einem Ort abspiele, in dem es keine Konsequenzen gibt, sei die Anwendung spielerischer Gewalt besonders einladend, meinen Schröder und Jahn-Sudmann. Die Spieler möchten ihrer Fantasie freien Lauf lassen und herausfinden, welche gesellschaftlich akzeptierten Normen sie verletzen können - weil ihr virtuelles Handeln eben keine Konsequenzen auf die Realität hat.
Neugierde und die "symbolische Triebabfuhr"
Daher fragt sich der Spieler: Was passiert, wenn ich einen Polizisten anschieße, ein Auto stehle oder eine Bank ausraube? Diese Neugierde und der Voyeurismus seien neben der "symbolischen Triebabfuhr" die großen Reize in der Anwendung von spielerischer Gewalt, erklären die beiden Medienwissenschafter.
Von Filmen mit Gewaltdarstellungen unterscheiden sich Computerspiele wie "GTA 5" in ihrer Interaktivität. Der Medienkonsument sieht nicht nur, wie ein Polizist angeschossen, ein Auto gestohlen und eine Bank ausgeraubt wird. Er verübt diese Handlung durch sein virtuelles Ich selbst. Dadurch wird der Spieler zum Kontrolleur des Geschehens - und kann dadurch selbst die virtuelle Welt mit Unheil überziehen.