Wien. Nahrung, Gold, Holz und Steine: In frühen Aufbauspielen wie "Age of Empires" waren das alle nötigen Ressourcen zum Erschaffen einer Zivilisation. In "Anno 1800" hingegen kann daraus keine Industriemacht geformt werden. Von Baumwolle über Ziegeln, von Lehm über Weizen: Mit einer Vielzahl von Rohstoffen muss gewirtschaftet werden.

Auch sonst präsentiert sich die aus der Vogelperspektive gesteuerte Aufbau-Wirtschaftssimulation von Ubisoft recht detailliert und wartet mit allen Entwicklungen und Merkmalen des Genres auf. Einwohner können beispielsweise vom Bauern zum Arbeiter aufsteigen, die jeweils andere Waren herstellen können. Sie brauchen Unterkünfte, Güter und Vergnügungen, um zufrieden zu bleiben. Auch kann man kleinere Aufgaben für sie erledigen, damit die Bewohner dem Spieler weiterhin gewogen bleiben.

Auf Trab gehalten

Auch mit Streiks muss sich der Spieler beschäftigen. - © Ubisoft/Blue Byte
Auch mit Streiks muss sich der Spieler beschäftigen. - © Ubisoft/Blue Byte

Produktionsketten wollen vom Feld bis zur Fabrik stufenweise angelegt und mit den passenden Rohstoffen versorgt werden. Beispielsweise lässt sich Schnaps nun einmal nicht aus Fleisch, sondern aus Kartoffeln brennen. Und wie bei allen modernen Simulationen geht nichts ohne Straßen. Hilfreich ist, dass sich die Menüführung an den Rohstoffketten orientiert und die Gebäude so schnell zu finden sind.

Trotzdem sind die Spielmechaniken komplex. Noch dazu halten Arbeitermangel, unzufriedene Bürger, fehlende Lagerkapazitäten oder auch mal ein brennendes Stadtviertel den Spieler auf Trab. Einsteiger sind in der Einzelspielerkampagne wohl am besten aufgehoben. Startbedingungen wie Geld, Ressourcen und Umwelteinflüsse können über den Schwierigkeitsgrad eingestellt werden. Außerdem lässt sich regeln, wie häufig Hilfshinweise erscheinen.

Alte Hasen der Serie werden wahrscheinlich mit dem "freien Modus" die größte Freude haben. Dort kann nach Herzenslust am eigenen Imperium gearbeitet werden. Kleines Detail am Rande: Nach längerer Spielzeit schlägt einem das Spiel in Serienmanier vor, doch eine Tasse Kaffee gegen die Erschöpfung zu trinken. Im Online-Modus können wiederum spezielle Aufgaben erledigt oder Partien gegen andere Spieler ausgetragen werden. Kooperatives Spielen ist zum Leidwesen der Fans aber nicht möglich.

Sensible Themen ausgespart

Ein interessantes Feature ist die im Spielverlauf regelmäßig erscheinende Zeitung. Deren Artikel können Werte wie die Zufriedenheit der Bevölkerung oder Steuereinnahmen zum Guten wie zum Schlechten beeinflussen. Eine neutrale oder positive Berichterstattung lässt sich übrigens kaufen. So können Spieler leichte Eingriffe vornehmen und sich mittels Propaganda und Fake News Vorteile verschaffen. Das ist zwar nicht korrekt, macht aber ziemlich Spaß.

Grafisch macht "Anno 1800" eine Menge her (vorausgesetzt, die Grafikkarte spielt mit). Der hohe Detailgrad und die Stiltreue von Modellen, Umgebungen und Figuren laden zwischendurch zum Heranzoomen ein, ohne aber den Voyeurismusfaktor eines "Sim City" zu erreichen. Der gelungene Soundtrack tut übrigens, was er tun soll: Atmosphärisch sein und beim Spielen wenig auffallen.

So akkurat sich "Anno 1800" als historische Wirtschaftssimulation mit der Industrialisierung beschäftigt; ein dunkles Kapitel der Epoche wird hingegen ausgespart, nämlich der Sklavenhandel. Zwar gibt es Andeutungen und Erwähnungen, auf den Baumwollfeldern arbeiten allerdings nur freie Bauern.

Dass dieses vom Entwickler als "zu sensibel" bewertete Thema ausgespart wurde, hatte bereits vor Release für Kritik des Titels als "Feel-Good-Simulation" gesorgt. Die Mechanik hätte mit Konsequenzen eingebaut werden können, hieß es. Beispielsweise führt Sklaverei im Spiel "Stellaris" zu einem Verlust von Intellekt und Ansehen der eigenen Fraktion. Etwas mehr Kante bei diesem Thema wäre "Anno 1800" gut zu Gesicht gestanden.

Limitiert verfügbar

Online ist das Spiel nur über den Epic Games Store und Ubisofts Plattform Uplay zu haben. Trotzdem soll zumindest der Einzelspieler-Modus auch offline verfügbar sein, was eigenbrötlerische Kolonialherren freuen wird. Onlinezwang hatte bei anderen Simulationen wie "Sim City" in der Vergangenheit zu heftigen Protesten seitens der Spieler geführt.

"Anno 1800" kann sowohl Einsteiger als auch Fans komplexer Aufbau-Simulationen begeistern, Neulinge sollten jedoch viel Einarbeitungszeit einplanen.

Das Testmuster wurde der "Wiener Zeitung" vom Hersteller zur Verfügung gestellt. "Anno 1800" ist am 16. April für PC erschienen.