Wien. Ein kleiner Junge steht am Totenbett seiner Eltern. Obwohl er jetzt eine Waise ist, darf er nicht trauern, soll sich sogar freuen. Denn nur so können die Toten ohne Reue ins Jenseits und ins nächste Leben gelangen, heißt es. Was auf den ersten Blick grausam klingt, ist an den in der japanischen Kultur offeneren und intensiveren Umgang mit Tod und Wiedergeburt angelehnt. Willkommen in der Welt von "Oninaki".

Das von Tokio RPG Factory entwickelte Rollenspiel wird von Square Enix vertrieben, die für Genregrößen wie Final Fantasy bekannt sind. Anders als dort sind die Kämpfe in "Oninaki" nicht rundenbasiert, sondern laufen in Echtzeit und Hack’n’Slay-Manier ab.

Auf Knopfdruck in die Totenwelt

Hauptfigur ist der eingangs erwähnte Junge, Kagachi. Gefühlskalt geworden, hat er sich als Erwachsener der Gruppe der Wächter angeschlossen. Diese sind dafür verantwortlich, verlorene Seelen ins Jenseits zu begleiten und gefallene Seelen, die zu Monstern wurden, zu bekämpfen. Noch dazu muss Kagachi einen mächtigen Dämon, den sogenannten Nachtteufel, daran hindern, seine Welt zu zerstören. Kämpfe spielen sich sowohl im Diesseits als auch in einer Zwischenwelt namens "Schleier" ab. Der Wechsel zwischen den Welten ist auf Knopfdruck möglich und eine zentrale Mechanik des Spiels. Beispielsweise lassen sich bestimmte Wege nur in einer der beiden Welten gehen. Im Schleier gelten darüber hinaus je nach Gebiet unterschiedliche Regeln wie erhöhter Schaden oder verminderte Bewegungsfreiheit.

Kagachi kann im Kampf auf eine Reihe von Waffen, sogenannte Dämonen, zurückgreifen, mit denen er sich durch die Horden an Unterweltmonstern schnetzelt. Dabei stehen ihm eine Reihe an Spezialangriffen zur Verfügung, die nach und nach freigeschalten werden können. Schönes Detail: Nach und nach werden auch Erinnerungen aus den früheren Leben der Dämonen verfügbar, was ihnen eine eigene Persönlichkeit verleiht. Jeder Dämon hat andere Stärken, beispielsweise Fernangriffe, schneller Nahkampf oder kraftvolle Flächenangriffe. Die Dämonen taktisch zu nutzen, ist ein Muss, denn die Kämpfe in "Oninaki" sind stellenweise anspruchsvoll bis knifflig.

Kämpfe am laufenden Band und Testen von Fähigkeiten

Das hat nicht zwingend mit der großen Anzahl der Feinde zu tun. Ohne die richtige Taktik kann man sich bereits an den ersten größeren Gegnern die Zähne ausbeißen. Grinden, also das in Rollenspiele typische und oft lähmende Trainieren an Gegnern in endlosen Kämpfen, bleibt einem auch hier nicht ganz erspart. Dabei schwankt das Spielgefühl schon mal zwischen stupidem Metzeln oder dem neugierigen Ausprobieren und Variieren von Dämonen und Spezialfertigkeiten, was die Lust aufs Freischalten und Kämpfen anregt.

Angenehmerweise kann man bei jedem Speicherpunkt den Schwierigkeitsgrad wechseln, was den Frust-Faktor dämpft. Der leichte Modus ist für all jene, die sich mehr auf die Handlung konzentrieren wollen. Diese wird zwar größtenteils durch starre Dialoge und die etwas unbeholfen wirkenden Animationen der Charaktermodelle vermittelt, aber dennoch berührend erzählt. Dabei arbeitet das Spiel mit schwermütigen, aber kurzen Hintergrundstücken oder gezielter Stille, die Einsamkeit und Entfremdung andeutet. Manche Schlüsselmomente, wie der eingangs beschriebene Tod von Kagachis Eltern, verlieren durch die Animationen aber an Wirkung. Einige vorgerenderte oder gezeichnete Zwischensequenzen hätten dem gutgetan.

Westliches Mittelalter und östlicher Shintoismus

Stilistisch gibt "Oninaki" einiges her, mischt Anime atmosphärisch mit westlichem Mittelalter und östlichem Shintoismus. Der gediegene, wenn auch leicht verniedlichende Stil soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte des Spiels neben Tod und Wiedergeburt auch einige weitere heikle Themen behandelt. Denn die Wächter befreien nicht nur Seelen, sie haben auch die staatliche Erlaubnis, Hinterbliebene auf deren Wunsch zu töten, um sie ins Jenseits zu schicken.

Die Faszination und beinahe abgöttische Verehrung von Tod, Selbstmord und Wiedergeburt lässt oft den Anschein aufkommen, die Menschen in "Oninaki" würden mehr für das Jenseits leben als für das Diesseits. Auch wenn das mäßig komplexe Gameplay für RPG-Fans enttäuschend sein kann: Wer viel Zeit und Geduld mitbringt, dem bietet "Oninaki" eine berührende und tiefgründige Geschichte, die stellenweise von der Masse an Kämpfen überschattet wird.