Wochenlang führte das Spiel "Plague Inc" die chinesischen Download-Charts an, nun ist es wie vom Erdboden verschluckt. Seit einigen Tagen ist das populäre Spiel in China nicht mehr verfügbar. Es dürfte das jüngste Opfer der rigiden Digitalzensur geworden sein: Das Spiel soll aufgrund von "illegalen Inhalten" von den Behörden gesperrt worden sein.
"Plague Inc" erschien 2012 und wurde seitdem immer wieder mit neuen Inhalten versorgt. In dem Spiel geht es darum, Seuchen zu entwickeln und damit die Menschheit auszurotten. Im Zuge von Epidemien und Pandemien stieg das Interesse an dem Titel bereits in der Vergangenheit enorm an. So schossen die Verkaufszahlen bereits im Jahr 2014 in die Höhe, als das Ebolavirus für Verunsicherung sorgte.
Dieser Effekt zeigt sich auch seit dem Aufkommen des Coronavirus. In China stand "Plague Inc" wochenlang auf Platz 1 der kostenpflichtigen Spiele in Apples iOS-Store. Insgesamt wurde "Plague Inc" in China seit dem Erscheinen 2012 von 2,2 Millionen Spielern auf iOS gekauft: Rund neun Prozent all dieser Verkäufe ereigneten sich seit Jahresbeginn, wie Daten des Unternehmens Sensor Tower zeigen. Auch in anderen Ländern wie Österreich erreichte das Spiel in den Download-Charts Spitzenplätze.
Entwickler verunsichert
Die hohe Nachfrage rief auch den britischen Entwickler Ndemic Creations auf den Plan. Er hielt fest, dass "Plague Inc" nur ein Spiel sei und auf keinen wissenschaftlichen Modellen basiere. Wer sich über das Coronavirus informieren wolle, möge bitte die Nachrichtenlage beobachten und die Website der Weltgesundheitsbehörde besuchen.
Das Ende des Spiels kam dann aus dem Nichts. Am vergangenen Wochenende wurde "Plague Inc" in China zunächst aus den iOS-Store entfernt. Zu Wochenbeginn war es dann auch nicht mehr auf der Videospiel-Vertriebsplattform Steam verfügbar. Als Grund nannten die chinesischen Behörden illegale Inhalte, die der Titel verbreiten würde. Nähere Angaben machten sie dazu nicht.
Entwickler Ndemic Creations, zeigte sich verwundert und verunsichert. "Diese Situation ist komplett außer unserer Kontrolle", verlautbarte das Studio in einer Stellungnahme. Man wollte nun versuchen, mit den Zensurbehörden Kontakt aufzunehmen und eine Lösung zu erarbeiten.
Zensur zieht wieder an
Der Schritt dürfte Teil der neuen Zensurmaßnahmen sein, die China in der Coronavirus-Krise nun wieder ergreift. Temporär hatte China die Zensur gelockert und fallweise Kritik zugelassen. Auslöser war der Tod des 34-jährigen Li Wenliang gewesen. Er war einer der ersten Ärzte gewesen, die das Virus entdeckt und Alarm geschlagen hatte. Die Behörden machten ihn mundtot und warfen Wenliang vor, Gerüchte zu verbreiten. Er starb an den Folgen des Virus, nachdem er sich bei einem Patienten angesteckt hatte. Sein Tod rüttelte zahlreiche Menschen in China auf.
Nun zieht die Kommunistische Partei wieder die Daumenschrauben an: Kritische Einträge in den sozialen Medien, Podcasts und Artikel werden gelöscht. "Das Spiel wurde vielleicht einfach wegen der Sensibilität rund um das Thema und seinen Spielmechaniken runtergenommen", meint Daniel Ahmad, Analyst beim Gaming-Beratungsunternehmen Niko Partner. Das Verbot könne auch mit einem neuen Update zusammenhängen: Es erlaubt Spielern, Falschnachrichten zu verbreiten, um das Virus im Spiel effektiver zu machen, so Ahmad.
Der Fall zeigt auf, wie schnell unliebsame Spiele ins Visier der chinesischen Zensoren geraten können. Denn für Peking handelt es sich beim Gaming um mehr als einen harmlosen Zeitvertreib. Hier könnte Regierungskritik aufkommen und könnten unliebsame Thesen aufgestellt werden. Spieler können bei Spielen miteinander kommunizieren, da kann schon die Befürchtung aufkommen, die Nutzer könnten sich online gegen den Staat verschwören.
Abseits solcher Ängste hat China aber auch mit anderen Gefahren zu kämpfen: Laut offiziellen Schätzungen sind zumindest 24 Millionen Chinesen internetsüchtig. Also wird in der für China üblichen Manier überwacht und zensiert, was das Zeug hält. Unternehmen, die in China Videospiele veröffentlichen wollen, müssen in China um eine Lizenz ansuchen. Eine der Voraussetzungen ist, dass die Hersteller für das Land der Mitte eigene Server betreiben müssen, durch welche die Spieler und ihre Äußerungen deutlich leichter überwacht werden können. Ein eigenes "Online-Gaming Ethik-Komitee" überwacht, ob "die gesellschaftlichen Werte Chinas" respektiert werden und "die traditionelle Kultur und historische Persönlichkeiten nicht falsch dargestellt werden". Sämtliche Texte müssen zudem ins Chinesische übersetzt werden. Einfachste englische Begriffe wie "Winner" können bereits zur Nichterteilung der Lizenz führen.
Damit ihr Titel auf dem immer wichtiger werdenden chinesischen Markt nicht zensiert wird, passen sich die Hersteller den Vorgaben an. Denn bei Verstößen droht ein Verbot. Nachdem im Horrorspiel "Devotion" regierungskritische Botschaften entdeckt wurden, nahm der taiwanesische Hersteller sein Spiel selbst vom chinesischen Markt. Trotzdem verlor er seine Lizenz. Wobei es fast schon als Privileg gewertet werden kann, dass Ursache und Wirkung dermaßen klar erkennbar sind. In anderen Fällen, wie "Plague Inc", verschwindet das Spiel einfach sang- und klanglos. Erst später erfolgt, wenn überhaupt, eine nichtssagende Begründung.(dab/aum)