Gaming erfreut sich aktuell besonders großer Beliebtheit. Die Online-Plattform "Steam" vermeldete kürzlich mit 20 Millionen gleichzeitig angemeldeten Nutzern einen neuen Rekord. Eigentlich naheliegend, bieten Spiele doch die Möglichkeit, sich in Zeiten der selbstauferlegten Isolation beziehungsweise Quarantäne für viele Stunden zu beschäftigen, in andere Welten abzutauchen und mit Menschen in Kontakt zu treten, um aufkommender Einsamkeit den Kampf anzusagen.
Das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend informiert unter anderem über Chancen und Potenziale von Computerspielen. Neben der Verbesserung individueller Fähigkeiten wie der Reaktionsgeschwindigkeit oder Problemlösungskompetenz fördert regelmäßiges Spielen die Kommunikationsfertigkeiten und wirkt sich positiv auf soziale Fähigkeiten aus. Videospielen eignet sich auch bestens dafür, um, so ganz nebenbei, Freundschaften wieder auf den aktuellen Stand zu bringen, neue Bekanntschaften zu schließen und abseits des Spielgeschehens angeregte Diskussionen zu führen.
Kultur der sozialen Nähe
bei Videospielen

In einem Text für den "Guardian" stellte der Psychologe Pete Etchell fest: Seit ihren Anfängen wurden und werden Spiele als soziale Erfahrung gestaltet und bieten neue Wege, Menschen zusammenzubringen. Im Laufe der Jahre hat sich rund um das Thema Videospiele eine ausgeprägte Nerdkultur entwickelt, die von sozialer Nähe, Zusammenhalt und Toleranz geprägt ist.
Hat man in seinem Umfeld niemanden mit ähnlichen Spielinteressen, bedeutet das noch lange nicht, dass man auf sich allein gestellt ist. Auf sozialen Medien versammeln sich tausende Spieler, um Gleichgesinnte zu finden und gemeinsam in die virtuellen Welten loszuziehen.
Eine der größten heimischen Facebook-Gruppen für Spieler, "Xbox One Gamer Österreich" zählt mehr als 4300 Mitglieder. Zudem betreiben Gaming-Influencer oder Streamer auf der speziell für Videospieler ausgelegten Plattform "Discord" eigene Server, auf denen sich Leute zum gemeinsamen Spielen und Chatten finden. Nicht selten können so enge Freundschaften entstehen, die über Jahre bestehen.
Wer auf der Suche nach einem angenehmen Zeitvertreib mit sozialem Charakter ist, sollte nach Spielen Ausschau halten, bei denen gemeinsames Vorgehen im Vordergrund steht. Beliebt ist derzeit das "Battle Royale"-Genre, zu dem Spiele wie "Fortnite", "PlayerUnknowns Battlegrounds", "Apex Legends" oder das neue "Call of Duty: Warzone" zählen. Letzteres vermeldet 15 Millionen Spieler innerhalb der ersten vier Tage nach Release.
Abseits dieser Shooter finden sich auch etliche Sportspiele wie die Fußball-Simulation "FIFA" oder das Autoballspiel "Rocket League" sowie weniger actiongeladene Titel wie "Stardew Vallew" oder das letzte Woche veröffentlichte "Animal Crossing: New Horizons", in denen man viele Stunden gemeinsam mit anderen verbringen kann.
Mit VR mache ich mir die Welt, die mir gefällt
Möchte man beim Spielen nicht nur sitzen, sondern gleichzeitig auch etwas für seine körperliche Fitness tun, empfiehlt sich Nintendos interaktives Sportspiel "Ring Fit Adventure".
Begegnungen ganz anderer Art finden darüber hinaus innerhalb der "Virtual Reality" statt. Besitzer einer VR-Brille wie beispielsweise der einsteigerfreundlichen und kostengünstigen "Oculus Quest" oder dem High-End-Modell "Valve Index" können in sozialen Spielen wie "Rec Room" ihren eigenen Charakter erstellen, Freunden bzw. Spielern aus aller Welt begegnen und Zeit verbringen, chatten oder zusammen spielen.
Kommuniziert wird über die in den Brillen integrierten Mikrofone und Lautsprecher. Die Steuerung des virtuellen Alter Ego gelingt mithilfe der Controller. Damit kann man sich im Spiel nicht nur fortbewegen oder gegenseitig zuwinken, sondern auch mit Pfeil und Bogen auf virtuelle Gegner schießen oder das Frisbee gezielt über den Discgolf-Platz werfen.
Neben den vielen positiven Chancen der Vernetzung, des Austauschs oder der Ablenkung, die Videospiele bieten, lauern auch einige Gefahren. Wenn Menschen in andere Welten flüchten und von dort nicht mehr wegwollen oder können, leidet darunter das echte Leben.
Andreas (Name von der Redaktion geändert) wurde in seiner Kindheit viel gemobbt. Er zog es deshalb vor, seine Zeit vor seiner N64-Konsole zu verbringen, während andere Kinder draußen spielten - um dem sozialen Stress zu entfliehen, wie er berichtet. Nach der Schule fing er als Lehrling in einem kleinen handwerklichen Betrieb an.
"Da geht es oft rau zu und als schüchterner junger Mann war man immer der Dumme. Kollegen konnten mit meinem Hobby nichts anfangen, deshalb gab es keine gemeinsamen Gesprächsthemen." Also tauchte er, um sich vor negativen zwischenmenschlichen Erfahrungen zu schützen und sich dem Stress der Ausbildung zu entziehen, immer öfter in virtuelle Welten ab.
"Wir waren Nerds, die niemand mochte"
Dort lernte er Gleichgesinnte kennen, die ihn akzeptierten. "Wir waren Nerds, die niemand mochte." Nach seiner Ausbildung wollte Andreas die Matura nachholen. Doch das Lernen litt unter tagelangem Computerspielen. Während er und seine Freunde online gemeinsame Ziele verfolgten, vergaßen sie die Welt um sich herum. Am Ende führte die Vernachlässigung von sozialen und anderen Verpflichtungen zu zerbrochenen Freundschaften und einem "vergeigten" Hochschulabschluss.
Mittlerweile kommt er mit seinem Problem gut klar, eine Therapie wollte er nicht anfangen. Wichtige Stütze ist viel mehr seine Freundin, die es regelmäßig schafft, ihn vom PC loszubringen. "Ich habe mich damit arrangiert und gelernt, damit zu leben."
Andreas bezeichnet sich selbst als computerspielsüchtig. Ein Krankheitsbild, das im Mai 2019 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell in ihren Katalog aufgenommen wurde. Reine Spielzeit ist allerdings kein Kriterium für eine Sucht. Die Plattform "saferinternet.at" versucht zu beruhigen: "Nur sehr wenige Menschen, die viel Zeit am Computer oder mit dem Handy verbringen, sind wirklich krankhaft süchtig."
Wichtig ist vor allem ein bewusster Umgang mit dem eigenen Spielverhalten. Bemerkt man Entzugserscheinungen oder Kontrollverlust und will (oder muss) man trotz negativer Konsequenzen immer weiterspielen, ist Vorsicht angebracht.
Betroffene, die Hilfe suchen, können sich an das Anton-Proksch-Institut, die Sigmund Freud Privatuniversität oder an die Fachstellen für Suchtprävention wenden, die in allen Bundesländern tätig sind.
Beachtet man aber einen korrekten Umgang mit Videospielen, so bieten sie in der aktuellen Krise, eine gute Möglichkeit, dem Alltag für kurze Zeit zu entfliehen, menschlichen Kontakt, wenn auch nur digital, zu erleben.