Mehr noch als ein vortreffliches Computerspiel ist "Ghost of Tsushima" ein außergewöhnlicher Samuraifilm. Wenn man mit der Hauptfigur, Jin Sakai, durch das mittelalterliche Japan streift, kann man schon einmal vergessen, dass man nicht vor dem Heimkino sitzt. Während die untergehende Sonne am Horizont die Landschaft in Dunkelrot taucht und im Gerstenfeld die Mähnen zur sanften Brise nicken, passiert es, dass die Finger am Gamecontroller innehalten, um den Augenblick der Schönheit zu genießen.

Zu seinem letzten großen Exklusivtitel für die Playstation 4 (bevor im Spätherbst die PS5 erscheint) zündet Sony mit Entwickler Sucker Punch noch einmal ein Feuerwerk. Es ist, als wolle man zum Abschluss zeigen, was aus der sieben Jahre alten Konsole alles rauszuholen ist. Neben Top-Grafik bietet "Ghost of Tsushima" Spannung, eine gute Geschichte, aber auch altbekannte Spielkonzepte und wenig Innovation.

- © Sony Screenshot
© Sony Screenshot

Die Geschichte handelt von einem jungen Samurai, der im 13. Jahrhundert wie durch ein Wunder die Invasion der Mongolen überlebt. Nun geht er daran, Verbündete zu finden und seine Kampffertigkeiten zu verbessern, um letztlich seinen Onkel und die Insel Tsushima von den Invasoren zu befreien. Dabei stößt er allmählich an die Grenzen seiner Glaubensgrundsätze. Gab sein Ehrenkodex als Samurai vor, dem Feind Aug in Aug gegenüberzutreten, muss er, um zu reüssieren, schon bald in Ninja-Manier Feinde aus dem Schatten heraus meucheln.

Spieletechnisch hat man alles irgendwie schon einmal gesehen. Anschleichen und Aufmerksamkeitswarnung, Kampfsystem, über die Landkarte verteilte Aufträge: Kennt man alles von Top-Spielen wie "The Witcher 3", "Assassin’s Creed" oder "Red Dead Redemption 2". Doch wenn Sucker Punch versucht, das Beste aus solchen Meilensteinen in sein Spiel zu integrieren, so ist das nicht schlecht. Immerhin ist damit ein solides Spielsystem garantiert. Noch dazu, wenn das Ganze mit eigenem Flair garniert ist. Etwa, wenn es um den Weg zum Ziel geht. Statt Minikarte oder der Überblendung eines Wegweisers zeigt einem der Wind, samt sich bewegender Blätter und Partikel, wohin die Reise geht. Auch die in anderen Spielen manchmal unübersichtlichen Fähigkeiten sind in "Ghost" sehr aufgeräumt.

In "Ghost of Tsushima" gibt es auch keine Erfahrungspunkte für jeden einzelnen besiegten Feind. Stattdessen wird man mit jeder absolvierten Aufgabe immer mehr zur Legende; je mehr, desto mehr Technikpunkte, die man wiederum zum Ausbau der Fähigkeiten verwenden kann. Leider beginnen die Nebenmissionen, so wie bei anderen Spielen auch, mit der Zeit ein wenig repetitiv zu wirken.

Letztlich ist die große Stärke des Spiels, dass es eine Gaming-Hommage an Akira Kurosawa ist. Der begnadete japanische Regisseur hat mit seinen Samuraifilmen den internationalen Film nachhaltig geprägt - von Western bis "Star Wars". Und auf seinen Spuren wandelt "Ghost of Tsushima". Das Action-Adventure bietet sogar eine eigene Option, das Ganze im "Kurosawa-Modus" zu spielen, also einem grobkörnigen Schwarz-Weiß. Ebenso kann man auf Japanisch mit deutschen Untertiteln spielen. Auch das trägt zum Kurosawa-Flair bei, denn viele seiner Filme wurden bis heute nicht synchronisiert.

Die Grafik bietet nicht nur filmreife Landschaften. Die Spielfiguren und ihre Bewegungen wurden von echten Schauspielern per Motion-Capture minutiös in das Spiel übertragen und sehen nicht nur in Zwischensequenzen, sondern auch im Spiel selbst durchwegs real aus. Wenn dann noch eine berührende traditionelle japanische Musik das Ganze untermalt und man sich von Zeit zu Zeit an mondänen Orten sogar eigene Haikus zusammenstellen kann, verliert man sich vollends in der japanischen Kultur und der Welt der Samurais.

Das Testmuster wurde der "Wiener Zeitung" vom Hersteller zur Verfügung gestellt.