Die Avengers sind zurück. Zwar nicht auf der großen Leinwand, dafür aber auf unseren Konsolen und PCs. Während sich Filmfans bis zum Release von "Black Widow" gedulden müssen, um ihre Helden wiederzusehen, können sich Gamer die Truppe jetzt ins Wohnzimmer holen. Bis zu 30 Stunden Spielspaß soll "Marvel’s Avengers" bieten - ein Versprechen, das Square Enix, die auch die neue "Tomb Raider"-Reihe entwickelt haben, nur teilweise halten können.

Bereits im Vorfeld hagelte es Kritik für das Actionspiel. Das Feedback für die Beta-Version war durchwachsen. Während sich Comic-Fans über ein Wiedersehen mit Iron Man freuten, störten sich viele Spieler an einer langsamen KI und sich immer wieder wiederholenden Landschaften. Das Entwicklerstudio wollte es besser machen und verschob kurzerhand die Veröffentlichung. Seit dem 4. September können Spieler nun in die Geschichte rund um das beliebte Superhelden-Quintett eintauchen.

Spannend und witzig

Die Hauptkampagne ist zwar simpel gestrickt, aber trotzdem so gut komponiert, dass sie nie langweilig wird. Comic-Fans kommen in den Genuss eines klassischen Marvel-Abenteuers, das vor Spannung und Witz nur so sprüht. Die Charaktere haben Farbe und Charme und werden der Filmvorlage in vieler Hinsicht gerecht. Captain America ist genauso ehrenvoll, Thor genauso überheblich und Hulk gleichermaßen zerrissen wie eh und je.

Auch die musikalische Untermalung lässt Erinnerungen an die Filme hochleben. Einziger Wermutstropfen sind die fehlenden Originalstimmen und das ungewohnte Aussehen der Avengers, das aus Copyright-Gründen von dem der Schauspieler abweicht.

Hauptfigur des Spiels ist aber keiner der üblichen Verdächtigen, sondern Ms. Marvel in spe, Kamala Khan. Die Geschichte von Marvel’s erster muslimischer Superheldin beginnt in einer der dunkelsten Stunden der Avengers. Am sogenannten A-Day fällt die Heldentruppe auf die Finte eines Schurken herein und schafft es nicht mehr, ihren Anführer Captain America rechtzeitig aus dem Gefecht zu bergen. Tief getroffen von dem Verlust, geben sich die Helden geschlagen und gehen getrennte Wege. Kamalas Aufgabe ist es nun, die Truppe wieder zu vereinen und - wie soll es anders sein - die Welt vor dem sicheren Untergang zu bewahren.

Mit der Wahl der Protagonistin treffen die Entwickler den Nerv der Zeit. Kamala ist eine Teenagerin, wie sie im Buche steht - frech, tollkühn und unglaublich liebenswert. Im Burkini macht sie reihenweise Gegner fertig, ist dabei aber nicht so unfehlbar wie etwa ein Captain America. Als Anfänger, der erst alles von der Pike auf lernen muss, ist Kamala die perfekte Hauptfigur, mit der sich Spieler identifizieren können. Dass auch die "klassischen" Avengers als Spielcharaktere zur Verfügung stehen, wird dabei fast zur Nebensache. Nicht unwesentlich dafür ist die unzureichend unterschiedliche Gestaltung der Kampfstile. So spielt sich etwa Black Widow enttäuschenderweise nicht viel anders als der um einiges behäbigere Hulk. Trotz der Ähnlichkeiten muss aber für jede neu eingeführte Figur erneut ein lähmendes Tutorial absolviert werden - und das auch nach mehreren Stunden Spielzeit.

Abfall nach Hauptstory

Hat man die zehnstündige Hauptstory einmal durch, geht dem Spiel ziemlich schnell die Luft aus. Die restlichen zwanzig Stunden verteilen sich auf Nebenaufgaben, die nicht gerade durch gekonntes Geschichtenerzählen brillieren. Da hilft auch der Koop-Modus nicht mehr. Zeitbegrenzte Herausforderungen sollen Abwechslung ins Spielgeschehen bringen, sind aber die Mühe nicht wert.

Die Hauptkampagne kann der Spieler auch mühelos mit der "mitgelieferten" Ausrüstung beenden, wodurch das Ganze fast schon zum "Hack and Slay" mutiert. Generell lässt sich in "Marvel’s Avengers" durch blindes Draufhauen fast alles lösen. Gegner wiederholen sich ständig und werden mit der Zeit vorhersehbar. Ein Aspekt, der das Game für Spieler, die auch eine intellektuelle Herausforderung schätzen, nicht gerade ansprechend macht.

Auch technisch gesehen gibt es einige Mängel. Angefangen mit langen Ladezeiten, über Bugs und diverse Hänger, bis hin zu Problemen mit der Kamerazentrierung. Auch die Übergänge von Zwischen- auf Spielsequenzen sind nicht nahtlos. All das ist Jammern auf hohem Niveau - die meiste Zeit liefert der Titel eine messerscharfe Grafik und ein flüssiges Spielerlebnis. Die Rollenspiele der letzten Jahre haben die Latte allerdings so hochgelegt, dass schon kleinste Fehler ins Gewicht fallen.

Als "Service-Game" wird "Marvel’s Avengers" ständig erweitert, die technischen Mängel des Spiels können dadurch aber leider nicht ausgebügelt werden. Damit bleibt einzig die Hauptkampagne mit einer packenden Geschichte als Kaufgrund. Rund 60 Euro für zehn Stunden Spielzeit hinblättern zu müssen, ist dann aber doch etwas hart. Alles in allem ist "Avengers" also ein Spiel für eingefleischte Marvel-Fans - oder für jeden, der Tony Starks tragischen Heldentod in "Endgame" immer noch nicht verwunden hat. Der geizt nämlich auch in seiner Videospiel-Version nicht mit den üblichen frechen Sprüchen.