
Ist es das eiskalte Wasser der nordischen Seen? Oder doch das frisch gebraute, süffige Bier? Etwas muss es jedenfalls sein, das Hauptcharakter Eivor im Videospiel "Assassins Creed Valhalla" übermenschliche Kräfte verleiht. Setzt die Spielfigur zum Sprint an, lässt sie selbst Usain Bolt hinter sich. Felswände und Gipfel erklimmt sie in Sekunden.
"Valhalla" ist im Vergleich zu seinen Vorgängern schneller, aktionsreicher und auch hektischer. Während manches gegenüber den Vorgängern in der Meuchelmörder-Serie verbessert wurde, bleiben alte Krankheiten bestehen - wie etwa ein für ein Rollenspiel viel zu dünnes Narrativ.
Mit "Valhalla" will Entwickler Ubisoft offensichtlich an den Erfolg der Fernsehserie "Vikings" anschließen. Der Titel führt ins Norwegen und England des 9. Jahrhunderts; in das Leben der Wikinger-Clans und ihre Raubzüge. Die Reise geht von den eisigen Bergen des Nordens bis zu den herbstlichen Wäldern Englands und ginge es alleine um die Grafik, so wäre "Valhalla" ein Hit.
Die Grafik ist, wie von Ubisoft gewohnt, herrausragend. Die Landschaften und Dörfer sind schön und detailliert. Werden Gipfel, Kirchen und Bäume erklommen, so offenbart sich ein einmaliger Ausblick. Das hohe Niveau wird auch in den Zwischensequenzen gehalten: Sie sind gerade auch zu Beginn des Spiels bombastisch inszeniert.
Ein Blick hinter die beeindruckende Fassade lässt die Euphorie jedoch schwinden. Die Geschichte ist klischeehaft. Sie startet mit der Spielfigur Eivor - wahlweise ein Bub oder ein Mädchen - im Kindesalter. Das Kind sieht, wie sein Vater und seine Mutter von einem bösen Wikinger ermordet werden. Eivor schwört Rache, zu der es, nachdem das Spiel einige Jahre nach vorne springt, auch kommt. Dem nicht genug, steht hinter dem bösen Wikinger der Orden der Templer, der die Welt beherrschen will. Zugleich bricht in Eivors Clan ein Streit aus. Er führt dazu, dass Eivor sich mit einem Teil der Mitglieder von Norwegen nach England aufmacht, um neues Land zu erobern. Die Raubzüge und Intrigenspiele in England sind für ein paar kurzweilige Stunden gut, mehr aber nicht. Das liegt an der mühsamen Geschichte, die noch dazu in eine wirre Hintergrundhandlung verpackt ist. Denn eigentlich spielt man Eivor in der Jetztzeit. Ein modernes Computerprogramm namens "Animus" erlaubt es Forschern, die Geschicke Verstorbener nachzuerleben. Und in diesem "Animus" sitzt eine junge Frau, die Eivors Geschichte nachspielt, um die Erde vor der Apokalypse zu bewahren. Denn Eivor hat irgendwas mit dem drohenden Weltuntergang zu tun.
Keine lästigen Missionen
Diese Hintergrundhandlung war bereits in früheren Teilen nervig und ist es auch jetzt noch. Auch bei den Spielfiguren kann Ubisoft nicht punkten: Hauptcharakter Eivor wächst dem Spieler nie wirklich ans Herz wie etwa Ezio aus "Assassins Creed 2".
Ubisoft hat sich aber auch Kritik zu Herzen genommen, die beim direkten Vorgänger "Odyssee" laut wurden. Dort musste man buchstäblich hunderte sich wiederholende Nebenmissionen absolvieren, um die Hauptfigur ausreichend aufzustufen und damit stark genug für den nächsten Teil der Hauptmission zu machen.
Spielerisch war das mühsam, für das klare Bildungsbestreben von Ubisoft hingegen ein Plus. Denn der französische Entwickler bildet mit Liebe zum Detail die historischen Stätten und die Kultur jener Länder ab, in denen die Geschichte spielt. Egal, ob das mittelalterliche Florenz oder das antike Griechenland: Wer "Assassins Creed" spielt, bekommt die Originalschauplätze und einen Überblick über die politische Situation. Die Nebenmissionen wiederum zwangen die Spieler, diese historischen Stätten zu erkunden.
Nun sind die Wikinger bauwerklich nicht auf einer Höhe mit den alten Griechen oder der italienischen Renaissance, wodurch der Wegfall der Nebenmissionen nicht nur spielerisch erfreulich, sondern auch pädagogisch verschmerzbar ist. Dafür trifft man immer wieder Geschichtenerzähler, die die Szenerie mit ihren Erzählungen um die nordische Mythologie erweitern.
Schmerzhaft sind hingegen die technischen Fehler. Spielfiguren tauchen plötzlich aus dem Nichts auf und verschwinden genauso plötzlich wieder. Und so schnell wie Eivor rennen kann, so schnell können Gegner "wegfliegen": Es kann vorkommen, dass sie nach einem vernichtenden Schlag abheben und zwanzig Meter gegen den nächsten Baum prallen.
Das Testexemplar wurde der "Wiener Zeitung" vom Hersteller zur Verfügung gestellt.