Paris/Rom. Es ist eine landesweite Protestbewegung, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron inzwischen ernsthaft zusetzt: Erneut waren am Samstag zehntausende "Gelbwesten" im ganzen Land auf die Straße gegangen, um gegen die Politik des Élysée-Palastes "zugunsten der Reichen" zu demonstrieren. Erneut war es zu teils gewaltsamen Ausschreitungen gekommen, für die radikale Kräfte im rechten wie auch im linken Lager verantwortlich gemacht werden. In einem Pariser Nobelviertel wurde der Amtssitz von Regierungssprecher Benjamin Griveaux gestürmt, als dieser gerade ein Interview für das Hochglanzmagazin von "Le Monde" gab. Der Macron-Vertraute musste schließlich von Polizisten in Sicherheit gebracht werden.
Was vor zwei Monaten aus Wut über die geplante Steuererhöhung auf Kraftstoffe begonnen hatte, ist inzwischen zu einer Welle des generellen Unmuts geworden, die vor allem von Arbeitern und Jugendlichen getragen wird und inzwischen auch bei Europas Politikern Aufmerksamkeit erlangt. Die einen fürchten bereits ein Überschwappen der Proteststimmung auf das eigene Land, unter ihnen Deutschlands Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), der angesichts der schwindenden Kaufkraft und wachsenden sozialen Not ein vergleichbares Unzufriedenheitspotenzial in seinem Land ortet.
Andere klatschen laut Beifall - darunter die populistische Regierung in Italien. "Gelbwesten - bleibt standhaft!", schrieb der stellvertretende italienische Regierungschef Luigi di Maio am Montag im Blog seiner linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung. Der Vize-Regierungschef und Innenminister Matteo Salvini von der fremdenfeindlichen Lega-Partei pflichtete seinem Kabinettskollegen bei und erklärte, er unterstütze "ehrenhafte Bürger" in einem Protest gegen einen Präsidenten, der "gegen sein Volk" regiere.
Die Fraktionschefin der deutschen Linkspartei, Sahra Wagenknecht, hatte die Proteste der französischen Gelbwesten zuvor gar als Vorbild für Deutschland bezeichnet - und sich damit heftigen Widerspruch ihres Parteichefs Bernd Riexinger eingehandelt. Er begründet dies mit dem "Potenzial Ultrarechter in den Reihen der Bewegung", die er als "besorgniserregend" bezeichnet. Ähnlich argumentiert der frühere Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit, der jüngst im "Tagesspiegel" vor einer Stärkung der rechtsextremen Kräfte durch die Gelbwesten-Bewegung. Einige Forderungen erinnerten an "Losungen" des rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen.
Allerdings lassen sich die Gelbwesten bisher politisch nicht klar verorten. Es gibt keinen Anführer im klassischen Sinne, sondern nur einen achtköpfigen Sprecherrat. Mit ihm hofft Macrons Regierung, eine Regelung auszuverhandeln, die die Straßenproteste hinfällig machen würden. Denn diese setzen Frankreichs Führung inzwischen deutlich zu. Für heute ist ein Gespräch geplant.
Doch die Forderungsliste der Gelbwesten-Bewegung wurde in den ergangenen Wochen immer länger. Höhere Mindestlöhne gehören inzwischen ebenso dazu wie Entlastungen für Pensionisten und Steuerzahler, eine Rückverstaatlichung privatisierter Energiekonzerne, eine bessere Infrastruktur, mehr Mittel für die Polizei und eine bessere Integration von Migranten.