Ein blutender Finger als Symbol für die Geschlechtsreife, 100 Jahre Schlaf als Schutzraum vor den Wirren der Pubertät? Nicht nur Bruno Bettelheim interpretierte "Dornröschen" als psychoanalytische Coming-of-Age-Story - auch die Komponistin Elisabeth Schimana ließ sich von dem Märchen der Brüder Grimm inspirieren: Mit "Gestochen und weg" hat sie ein Musiktheater für Menschen ab 14 geschaffen, in dem sie das im Bühnenraum des Dschungel Wien verteilte Publikum am Innenleben des Teenagers teilhaben lässt. Während Christian Reiner dem Mädchen seine eigenwillige Sprechstimme (Text: Ann Cotten) leiht, treten die Musikerinnen des Ensembles airborne extended in einen improvisatorisch anmutenden Dialog, in dem Atem- und andere Geräusche gegenüber konventionell erzeugten Tönen überwiegen.
Doch bekanntlich wird der Plot des Märchens nach dem verhängnisvollen Unfall am Spinnrad durch 100 Jahre Schlaf zum Stillstand gebracht, und so sinken alsbald auch die Musikerinnen und der Sprecher zu Boden. Nachdem Letzterer als Dornröschen mit einer Virtual-Reality-Brille ausgestattet wurde, bekommt das Publikum zu sehen, was sich im Kopf der halluzinierenden 15-Jährigen abspielt: Die Pubertät, so scheinen die nicht enden wollenden abstrakten Projektionen (Markus Wintersberger) zu suggerieren, ist ein orientierungsloser Zustand, in dem man bloß darauf warten kann, dass er endlich vorübergeht. Leider kann der Soundtrack aus exotischen Vogelrufen und anderen Umweltgeräuschen nicht verhindern, dass die Zeit auch dem überwiegend erwachsenen Premierenpublikum lang wird. Doch schließlich heißt es "aufwachen und weitermachen". Live-Musik und Performance hätte man gern noch länger erlebt - insgesamt zerfällt die Koproduktion von netzzeit und Wien Modern jedoch in reizvolle Einzelmomente und einen wenig mitreißenden Psychotrip. Wie in der echten Pubertät sind Zustände von Verwirrung, Frust oder Fadesse nicht zu vermeiden.
Musiktheater
Gestochen und weg
Wh. bis 30. November