(hai) Starker Auftakt der Wiener Festwochen im Museumsquartier mit Angélica Liddell. Inspiriert von Nathaniel Hawthornes antipuritanischem Alleinerzieherin-Roman aus 1850 "The Scarlet Letter" (Der scharlachrote Buchstabe) unterminiert diese Kraftfrau unter Spaniens Theatermacherinnen feministische Wagenburgen sowie die wieder mehrheitlich dauerbeschworenen Grenzen, Werte und Correctness-Tabus. "El País" schimpfte sie "Scharfschützin par excellence gegen MeToo".

Im schwarzen Reifrockkleid mimt, rezitiert, singt sie fast zwei Stunden lang - inmitten von pudelnackten Männern. Beim Boden- und Tableturnen lassen die keinen Muskel unausgestellt, sie bauen zwei Türme vier blumengeschmückte Ärsche hoch. Körperkitsch! Und Paraphrase auf paradiesische Unschuld sowie katholische Rituale, denen die spanische Avantgarde seit Buñuel nachstellt. Die liebestolle "A" (diesen Brandmarkletter trägt sie wie die Hawthornes Ehebrecherin Hester Prynne am Kleid) sucht Befriedigung bei ihren acht Zöglingen. Ihr schamloser Lustgewinn kippt um in ein Lamento über "die Frau über vierzig" - über körperlichen Verfall, Rückzug in Unleidlichkeit, Bösartigkeit, letzte Begierden.

"A", das meint auch "Artist", hat noch Stellvertretersex mit einem nackten Schwarzen. Sie liebt nur Arthur, bei Hawthorne der verheimlichte Vater ihres Kindes; er begleitet sie rot vermummt und stumm durch den Abend, stirbt bei ihr und steht wieder auf. In Zitaten werben Foucault, Artaud, Sartre für Liebe ohne Schranken. Ein Schlussbild sagt dasselbe: "Amor als Sieger" von Caravaggio, 1602.