"Den hab ich so richtig schön übersehen", musste Veronica Kaup-Hasler zugeben. Gut, dass sie eine Jury hatte, die ihr bei der turbulenten Findung ihres neuen Volkstheater-Intendanten geholfen hat. So kam es dann doch dazu, dass am Freitag Kay Voges vorgestellt wurde. Der derzeitige Leiter des Schauspiel Dortmund wird das Volkstheater mit der Spielzeit 2020/21 übernehmen.

Seit zehn Jahren ist Voges Intendant des Schauspiel Dortmund, einer Bühne, die er laut Kaup-Hasler in einer Stadt "die eigentlich nur für Fußball berühmt ist", ins "Rampenlicht gebracht hat". Tatsächlich gilt das Schauspiel Dortmund als wichtiges Theaterlabor, die Kritikerzeitschrift "Theater heute" würdigte das Haus drei Mal in Folge als zweitbestes Theater des Jahres. Es hat eine Auslastung von an die 80 Prozent – das Volkstheater derzeit etwas über 50 Prozent.

Skandal und Reflexion

Voges steht für Stück- und Stoffbearbeitungen mit reichlich Einsatz von Multimedia und Musik. Zuletzt inszenierte er Thomas Bernhards "Der Theatermacher" mit dekonstruierendem Theatertechnikdonner, typischer noch sein Performance-Kraftakt "Das Goldene Zeitalter – 100 Wege, dem Schicksal die Show zu stehlen", in dem Voges im Publikum sitzend Live-Regie führte. Opern hat der gebürtige Düsseldorfer auch inszeniert, mit "Der Freischütz" schaffte er sogar einen handfesten Theaterskandal: Die Aufführung wurde als nicht jugendfrei eingestuft, Attentatsassoziationen und Nazitransen erregten das Bürgertum.

"Dass ich Intendant vom Volkstheater werden darf – Theater für das Volk –, kommt meiner Idee von Theater entgegen", sagte Voges nun bei der Pressekonferenz im Rathaus, wo er auch seine Vorstellung von Theater skizzierte: Es sei ein Ort für die Auseinandersetzung mit der Gegenwart, ein Raum für "Denkreflexion und Diskurs für die Stadt", es sei für alle da, von Jung und Alt, Arm und Reich, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Das Theater sei ein Ort zum Feiern und Reflektieren, eine "friedenserhaltende Maßnahme". Er sei ein Verfechter des Schauspielertheaters (das Ensemble will Voges vergrößern), aber für ihn soll Theater alle Künste unter einem Dach vereinen: Musik, Bildende Kunst, Film, Installation, Coding und Street Art. Das mache das Theater zu einem "Labor ästhetischer Forschung", einer "Factory".

Von einem "Neuanfang" sprach Kaup-Hasler bei der Präsentation wiederholt, und der 47-jährige Deutsche will vor allem mit einem Schlagwort diesem begegnen: Digitalisierung. "Ich will, dass das Volkstheater das fortschrittlichste Theater Österreichs wird." Auch inhaltlich soll das Volkstheater ein Haus für die "digitale Moderne" werden: "Wie erzählen wir Theater in Zeiten von Netflix und Amazon sinnlich und gleichzeitig klug?" Dass eventuell genau dafür das Geld etwas knapp sein könnte, dürfte Voges bereits bekannt sein. Die Ausstattung dafür sei "noch nicht auf der Höhe der Zeit. Über Geld muss in den nächsten Monaten weiter geredet werden." Man müsse wohl manchmal eine gute Idee entwickeln, und dann brauche es vielleicht "einen "Kompromiss zwischen Geld und Idee". Vorerst sicherte die Kulturstadträtin jedoch zu den bisherigen 12,4 Millionen Euro Subvention weitere zwei Millionen jährlich zu. Das Budget war auch der Knackpunkt der schwierigen Intendantensuche. Alle Bewerber hatten Konzepte, die nicht finanzierbar gewesen wären. Viele seriöse Kandidaten hätten sich, so Kaup-Hasler, wegen des geringen Budgets gar nicht erst beworben. Daher wurden geeignete Kandidaten von der Jury direkt kontaktiert – so auch Kay Voges.

Baustellensaison

Voges, der einen Fünf-Jahres-Vertrag erhalten wird, kündigte an, dass Mirjam Beck, seine bisherige Stellvertreterin in Dortmund, ebenso in sein Wiener Leitungsteam kommen werde wie der New Yorker Komponist Paul Wallfisch, der derzeit die gemeinsame Produktion "Dies irae" am Burgtheater vorbereitet.

Im Jänner 2020 starten im Volkstheater die Umbauarbeiten, sie sollen planmäßig bis Oktober dauern. Deshalb wird Voges erste Spielzeit eine "under construction", wie es die Stadträtin formulierte. Realistisch sei, dass das Haus erst ab Jänner 2021 bespielbar ist. Auch das ist für Voges keine neue Situation: Sein Ensemble in Dortmund musste lange in einem Ausweichquartier spielen: einem ehemaligen Fußballfanartikel-Geschäft.