Martin Gruber leitet seit nunmehr 30 Jahren das Aktionstheater Ensemble, das gleichermaßen in Vorarlberg und Wien auftritt.
Mit jährlich zwei bis drei Uraufführungen (zuletzt: "Die wunderbare Zerstörung des Mannes") gehören Gruber und sein Team mittlerweile zu den elaboriertesten Gruppen, die hierzulande im performativ-postdramatischen Bereich unterwegs sind. Der gebürtige Vorarlberger bringt politisch brisante Themen mit einem körperbetonten Spielstil und hohem Energiepegel auf die Bühne.
Die "Wiener Zeitung" traf den Theatermacher während der Endproben zu "Wie geht es weiter? 30 Jahre Aktionstheater Ensemble".
"Wiener Zeitung": Worum geht es in Ihrer Jubiläumspremiere?
Martin Gruber: Ich möchte in "Wie geht es weiter?" die Stimmung in unserer Gesellschaft ergründen. Eine politische Lethargie greift um sich, nach dem Motto: Ich weiß eh, dass die Welt schlecht ist, aber was kann ich schon ausrichten? Da trinke ich lieber in Ruhe meinen Café Latte.
Aber es gibt doch gerade eine neue Protestbewegung, die jeden Freitag für Klimaschutz demonstriert.
Sicher, da ist eine junge Generation, die gegen die Verhältnisse protestiert. Wahrscheinlich gab es auch noch nie so viele Menschen wie heute, die sich in diversen NGOs engagieren. Aber was mich in der Theaterarbeit interessiert, ist eine Schockstarre, die weite Teile der Gesellschaft erfasst hat. Dieser Saturiertheit möchte ich in einer Art Zombieshow nachspüren. Darin lag die Herausforderung: Etwas im Grunde Langweiliges wie lethargische Befindlichkeiten mit einem gewissen Drive auf die Bühne zu bringen.
Im Lauf Ihrer 30-jährigen Tätigkeit sind Ihre Stücke zunehmend politisch geworden. Was treibt Sie an?
Wir haben das Glück in einer relativ funktionierenden Demokratie aufzuwachsen und zu leben. Mittlerweile sehe ich diese in Gefahr. Eine gewisse Orbanisierung ist hierzulande nicht erst seit dem Ibiza-Video evident. Diese gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussen natürlich meine Theaterarbeit. Aber ich mache kein politisches Theater im Sinne Brechts, Ideologie interessiert mich überhaupt nicht, vielmehr geht es mir um Haltung.
Welche Haltung nehmen Sie denn zur gegenwärtigen innenpolitischen Lage ein?
Anton Pelinka sagte einmal über Jörg Haider, er sei kein Gegner der Großparteien, sondern vielmehr ihr "Übertreiber". Der FPÖ ist es demnach nie darum gegangen ein Korrektiv zu sein, sie wollten immer schon das Gleiche wie die Großparteien und noch ein bisschen mehr. Insofern überraschte mich das Ibiza-Video keineswegs. Jetzt liegt es an den Wählern, zu bestimmen, wie es weitergehen soll. Das Traurige ist ja, dass die Opposition meines Erachtens kein eigenes Narrativ entworfen hat, das zugkräftig ist. Wo bleibt denn bitte der große Gesellschaftentwurf der Linken?
Wie entwerfen Sie Ihre Stücke?
Wir starten immer bei der eigenen Blödheit, Selbstbeobachtung ist für uns elementar. In stundenlangen Gesprächen unternehmen wir Tiefenbohrungen, bei denen es darum geht, den eigenen wunden Punkt zu berühren. Aus dem Wust an Material stellen wir den Text zusammen. Bei der szenischen Umsetzung geht es darum, mit dem Körper die Grenzen der Sprache auszuloten.
Was kann Theater?
Das Theater kann der Realität unter den Rock schauen, kann einer Metaebene nachspüren, die nicht unbedingt kognitiv greifbar ist. Theater ist Verdichtung.

Sie pendeln zwischen Dornbirn und Wien, was bedeutet Ihnen das Spannungsverhältnis zwischen Klein- und Großstadt?
In Vorarlberg habe ich mit Menschen aus verschiedenen Schichten Kontakt, mein gesellschaftlicher Umgang ist diverser, diesen vielfältigen Austausch schätze ich an der Kleinstadt.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Denken Sie nach 30 Jahren in der freien Szene darüber nach, ein Theater zu übernehmen?
Ein eigenes Haus? Warum nicht! Priorität hat für mich aber immer die Kunst, nicht die Institution. Mir scheint, die Zeit ist für so jemanden wie mich noch nicht reif. Die österreichische Theaterlandschaft ist doch sehr strukturkonservativ.
Was meinen Sie damit?
Es gibt hier eine besondere Ehrfurcht vor großen Kultureinrichtungen, vielleicht ist das noch ein Erbe der Monarchie. Die Größe einer Bühne wird mit ihrer künstlerischen Bedeutung gleichgesetzt, was längst nicht immer zutrifft. Mit dem Aktionstheater Ensemble ist es uns gelungen, diese "gläserne Decke" zu durchbrechen. Aber ich würde mir ein anderes kulturpolitisches Selbstverständnis wünschen.
Wie sollte es denn sein?
Die Kunst sollte an erster Stelle stehen. Künstlerische Leistung lassen sich nicht über Institutionen definieren. Förderstrukturen sollten dem Rechnung tragen. Es ist wichtig, dass Laborarbeit, wie wir sie leisten, stärker gefördert wird. Schließlich sollte es doch letztendlich darum gehen, neue Ästhetiken zu entwickeln und spannendes Theater zu machen - egal in welchem Rahmen.