"Wiener Zeitung": Im Tennis gibt es dieses ungeschriebene Gesetz, wonach Ehepaare besser nicht miteinander Doppel spielen sollten, weil sonst der Haussegen schief hängen könnte. Sie sind seit 17 Jahren verheiratet und führen neuerdings auch gemeinsam Regie. Sehen Sie diese Zusammenarbeit als Bereicherung oder eher als Belastungsprobe für Ihre Beziehung?
Carolin Pienkos: Als absolute Bereicherung! Wir können permanent an dem, was uns gedanklich beschäftigt, arbeiten. Wir sind uns immer Gesprächspartner.
Cornelius Obonya: Wir reden ständig miteinander, das war von Anfang an so. Noch bevor wir zusammenkamen, war unsere große Basis das Gespräch. Dann war ohnehin schnell klar, dass wir uns ineinander verliebt haben. Vor der ersten gemeinsamen Arbeit, das ist jetzt über 17 Jahre her, haben wir gesagt: Wenn wir anfangen zu streiten, dann werden wir nicht mehr miteinander arbeiten, weil das Private wichtiger ist.
Pienkos: Und es wird immer intensiver!
Frau Pienkos, Sie haben schon viele Stücke inszeniert, wo Herr Obonya als Schauspieler agiert hat. Beim gemeinsamen Regieführen ist die Ausgangslage allerdings doch eine andere, zumal das eindeutig Ihr Metier ist. Wie darf man sich die Aufgabenteilung dabei vorstellen?
Pienkos: In Vorbereitung einer Produktion muss man das ganze Stück ja gedanklich durchspielen. Dazu gehört auch, die dramaturgische Entwicklung der einzelnen Figuren zu prüfen. Ist eine Figur konsequent gearbeitet? Ist es logisch, dass sie sich auf diese oder jene Art entwickelt? All das mit jemandem zu besprechen, der aus der Perspektive des Schauspielers argumentiert, ist eine Bereicherung für einen Regisseur, weil es hilft, in die Innenperspektive der Figur zu finden.
Obonya: Wir Schauspielerinnen und Schauspieler bauen unsere Rollen von innen heraus auf - wie ein Schichtkäse. Regisseure haben meist bereits den kompletten Schichtkäse vor sich, sie wissen längst, wo das Ganze hinführen soll. Für den Schauspieler braucht es aber oft noch ganz andere Ecken und Wege, um an diesen Punkt zu gelangen. Bei Proben versuchen wir diese einzelnen Schichten für uns erfahrbar zu machen. Und dann beginne ich als Schauspieler das zu begreifen, was der Regisseur im besten Fall von Anbeginn gemeint hat. Hier miteinander ein Timing zu finden, ist die Aufgabe. Ich bin sehr dankbar, dass meine Frau es zulässt, dass wir gemeinsam Regie führen.
Die erste gemeinsame Regiearbeit war die Inszenierung der "Fledermaus" an der Mailänder Scala 2018. Wie kam es zu diesem Angebot?

Pienkos: Alexander Pereira hatte den Plan, zum ersten Mal an der Scala eine "Fledermaus" auf den Spielplan zu setzen - und da bot es sich natürlich an, eine österreichische "Fledermaus" zu machen. Cornelius spielte zum damaligen Zeitpunkt den "Jedermann" in Salzburg - und so kam es plötzlich zu dieser völlig überraschenden Anfrage.
Obonya: Es war für uns beide ein Sprung ins kalte Wasser. Für Carolin insofern, weil es zum ersten Mal Musiktheater war, und für mich in doppelter Hinsicht. Dann haben wir gesagt: Okay, mehr als scheitern kann man ja nicht!
Pienkos: Und es hat sich dann alles ganz natürlich ergeben und wir haben dieses Abenteuer mit großer Freude gemeinsam erlebt.
Obonya: Das zieht sich übrigens durch mein ganzes Karriereleben. Alles, was ich zum ersten Mal gemacht habe, musste ich immer in einem absurd schnellen Durchlauf lernen. Learning by doing ist letztlich das Einzige, was einen in diesem Beruf weiterbringt, wenn man verschiedene Dinge ausprobieren möchte.
Nun zeichnen Sie gemeinsam für die Regie der "Zauberflöte" verantwortlich, die am 10. Juli im Römersteinbruch St. Margarethen Premiere hat. Was darf man sich erwarten?
Pienkos: Wir wollen ein Märchen erzählen, das heute noch Relevanz hat und vor allem eine gesellschaftliche Vision zeigt, die in dieser Oper steckt. Die Ideale der Gleichheit und Vernunft, vor allem auch zwischen Mann und Frau werden thematisiert.
Und ein anderer wesentlicher Erzählstrang ist die Heldengeschichte Taminos, der seine Ängste überwindet und es schafft, seine bedingungslose Liebe zu beweisen. Ebenso wie Pamina. Das macht sie ebenbürtig. Aber dafür müssen sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Das ist große Leidenschaft und große Verzweiflung. Wir wollen Emotionen, Pathos zulassen, was heute viel zu oft mit Sentimentalität verwechselt und verspottet wird.
Obonya: Man muss in diesem Rahmen auch ganz anders agieren als in einem Opernhaus: Man muss klare, große Gesten finden.
Pienkos: 60 Meter Bühnenbreite ist eine Dimension, bei der man den Blick des Zuschauers einfach fokussieren muss. Wir wollen auch die Dialoge klarer gestalten. Auch wenn die Zauberflöte - vor allem in Österreich - ein geradezu heiliges Kulturgut ist, sollte man sich nicht vor einem etwas modernisierten Zugang verschließen.
Die Rolle des Papageno wird mit Max Simonischek nicht mit einem Sänger, sondern mit einem Schauspieler besetzt.
Obonya: Das ist keine neue Idee, ganz im Gegenteil. Bei der Uraufführung des Werkes hat Schikaneder (Librettist der "Zauberflöte", Anm.) diese Rolle selbst verkörpert. Er konnte zwar singen, war aber kein Opernsänger, hat sich diese Rolle gewissermaßen auf den eigenen Leib geschrieben.
Wird es das berühmte Duett mit Papagena dennoch geben?
Obonya: Natürlich! Die Musik bleibt so wie sie ist. Wir machen hier keine neue "Zauberflöte", wir wollen das Rad nicht neu erfinden, aber was sehr wohl möglich ist, vielleicht eine andere Schattierung zu zeigen, die uns gut erscheint. Das ist ebenfalls etwas, das uns verbindet: Wir stehen nicht für ein destruktives Theater.

Pienkos: Wir stehen für ein Theater, das sich mit Konflikten auseinandersetzt, wobei wir diese nicht ironisieren oder bagatellisieren, sondern mögliche Ursachen und deren Folgen herausarbeiten. "Coriolan" etwa, den wir 2016 am Akademietheater gemacht haben, zeigt auf großartige Weise, wie disparat ein Konflikt sein kann. Diese späte Shakespeare-Tragödie ist keine Schwarz-Weiß-Erzählung, das ist die große Stärke dieses Stückes, dieses Autors.
Obonya: Gleichzeitig sind wir Künstler aber auch dazu da, noch ein paar Träume weiterzugeben. Und da sind wir wieder bei der "Zauberflöte": Natürlich wäre es schön, wenn es tatsächlich eine Zauberflöte gäbe, wo ich einmal Tüdelidü mache und alles um mich herum funktioniert! Spitze! Gibt es aber nicht. Aber nicht zuletzt dafür wurde dieses Werk geschrieben, denn wenn wir aufhören, diese Träume zuzulassen, dann fühlen wir nichts mehr und hämmern nur noch auf unseren Tastaturen herum.
Pienkos: Wenn man ins Theater geht, will man, denke ich, eine Erfahrung mitnehmen, die einem vielleicht hilft, oder etwas, das einen belebt und innerlich reicher macht. Im Idealfall habe ich durch das Mitfühlen ein reinigendes Erlebnis, eine Art Katharsis. So simpel das klingen mag: Im Grunde wollen wir doch alle glücklich sein, und um dort hinzukommen, stellen sich eben immer diese Fragen: Wie handle ich jetzt, wie handle ich morgen? Da zeigt das Theater im besten Fall Möglichkeiten auf, in denen man sich erproben kann.
Zu Beginn des Gesprächs haben Sie angedeutet, dass die gemeinsame Gesprächsbasis den Grundstein ihrer Beziehung legte.
Pienkos: Dass es zwischen uns eine Seelenverwandtschaft gibt, zeigt sich häufig, indem wir tatsächlich etwas ganz Ähnliches zum gleichen Zeitpunkt denken. Wir sagen auch idente Formulierungen. Das führt dazu, dass wir vieles gar nicht mehr aussprechen, weil wir davon ausgehen, dass der andere ohnedies weiß, was man gerade denkt.
Obonya: Das war beim Regieführen dann irgendwann schon absurd - und ich glaube, das muss auch für manche Kollegen etwas komisch gewesen sein. Meine Frau hat auf der Bühne kaum noch mit mir gesprochen, nur noch Gesichter gemacht - und ich wusste, was sie meint. Das heißt nicht, dass wir keine Diskussionen haben. Es gab schon Proben, wo sie vor den versammelten Kollegen zurecht gesagt hat: Ich kapiere nicht, was du da spielst. Aber gewisse Dinge müssen wir einander einfach nicht mehr aussprechen. Das war schon sehr früh so.
Pienkos: Und das ist etwas, das sich über die Jahre nicht nur erhalten, sondern ausgebaut hat.
Obonya: Ich trau mich zu sagen, je älter ich werde, desto stärker wird unsere Beziehung - und schöner. Mir fällt immer dieser Satz des deutschen Kabarettisten Dieter Nuhr ein: "Man traut es sich eigentlich gar nicht zu sagen, aber ich bin glücklich." Ich darf die schönste Ehe der Welt führen!
Pienkos: Nein, das ist meine!
Wie haben Sie einander kennengelernt?
Pienkos: Ich hatte nach dem Studium gerade erst in München zu arbeiten begonnen, und in dem Moment, wo ich überlegt habe, bleibe ich hier oder nicht, hat Karin Bergmann angerufen und gesagt, Andrea Breth würde gerne mit Ihnen am Burgtheater arbeiten, kommen Sie doch nach Wien. Das war 2001 für "Maria Stuart".

Hat Cornelius Obonya in diesem Stück mitgewirkt?
Pienkos: Nein, wir haben uns zum ersten Mal in der Kantine des Burgtheaters getroffen.
Obonya: Zuvor hatte ich Carolin allerdings schon erspäht gehabt!
Pienkos: Damals saß ich mit Andrea Breth an einem Tisch - und plötzlich stand Cornelius da in einer aberwitzigen Kostümierung aus "Der jüngste Tag".
Obonya: Ich spielte den Wachtmeister, war völlig absurd gekleidet, mit zurückgegelten Haaren und einem aufgeklebten Schnauzbart. Es war optisch so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was meine Frau nur annähernd attraktiv hätte finden können. Keine Ahnung, weshalb sie trotzdem. . .
Pienkos: Es war das Gespräch! Das ging gleich los! Damals war ich gerade einmal zwei Wochen am Burgtheater.
Obonya: Wenn ich an Wiedergeburten glauben würde, könnte ich sagen: Schön, dass du wieder da bist!
Pienkos: Endlich!, würde ich sagen, mit Vorwurf: Wo warst du so lange?
Sie sind in Norddeutschland geboren und aufgewachsen. Sind in Ihrer Ehe die viel zitierten Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und Österreich ein Thema?
Pienkos: Ganz häufig! Letztendlich hat die Umgangsform hier in Österreich eine gewisse Attitüde, die mir als norddeutsche Protestantin immer ein bisschen zu verspielt ist oder zu verschnörkelt - im besten Sinne! Dass ich Dinge - in meiner Wahrnehmung - oft viel kürzer und knapper sage, kommt in den Ohren eines Österreichers, auch meines Mannes, häufig schräg an. Es ist nicht beabsichtigt, aber bekanntlich ist es die gemeinsame Sprache, die uns trennt.
Obonya: Ich bin der Blumigere, ich rede gerne viel und lang. Ich muss immer gebremst werden.
Pienkos: Geben Sie ihm bloß kein geschichtliches Thema, das dauert!
Sie haben zuvor gesagt, dass es Ihnen am Theater nicht zuletzt um das Herausarbeiten von Konfliktsituationen geht. Sind Sie privat ebenfalls konfliktfreudig?
Pienkos: Ich finde es ganz wichtig, dass man in der Lage ist, miteinander auch einen Konflikt auszuleben, und zwar auf erwachsene Art und Weise, also nicht durch Verdrängung oder andere infantile Konfliktstrategien. Das ist etwas, das uns prinzipiell sehr streitbar macht - uns gleichzeitig aber immer wieder herausfordert, uns miteinander auseinanderzusetzen.
Obonya: Das ist letztlich, denke ich, auch wichtig für unseren Sohn, beides zu sehen - der Streit kann da sein, aber das Kind muss genauso sehen, dass die Versöhnung genauso ehrlich und klar funktioniert, dass Konflikte zum Leben nun einmal dazugehören.
Apropos Meinungsäußerung: Sie gehören zu jenen Künstlern, die in der Öffentlichkeit zu politischen Themen klar Stellung beziehen. Ist das ein Resultat der Erziehung Ihrer Mutter, Elisabeth Orth, die ja auch ein sehr politischer Mensch ist?
Obonya: Ich bin so erzogen, ja. Es gibt einen Urantrieb. Wenn ich an meine Großeltern denke, an die Nazizeit, stellt sich schlicht und ergreifend die Frage: Wo zieht man die Grenze? Wenn man sagt, ein Künstler ist nicht politisch, hat sich nicht um Politik zu kümmern, und dann steht man plötzlich neben Herrn Goebbels. Was ist dann? Ich bin eben andersrum erzogen worden, speziell von meiner Mutter, die diesen Kampf mit ihren Eltern (Paula Wessely und Attila Hörbiger, Anm.) wirklich geführt hat, um herauszufinden, was damals gelaufen ist.
Es gab eben auch eine andere Seite, die zumindest hinterfragbar ist, nicht verurteilbar, das können wir uns nicht anmaßen, weil, wie schon Erich Kästner geschrieben hat: Held ist man immer nur in der Sekunde, wo es gefragt ist, weder vorher noch nachher. Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, ich hätte das sicher anders gemacht. Nein! Vielleicht wäre man genauso feig in der Ecke gestanden und hätte gesagt, besser nicht. Und dieses "besser nicht" möchte ich nicht erleben und deswegen lieber früher - und hoffentlich halbwegs informiert - den Mund aufmachen, bevor gewisse gesellschaftliche Zusammenhänge zu zerbröseln beginnen, die genau das wieder verursachen könnten. Allein diese Möglichkeit darf schon nicht bestehen.
Dennoch dürften Sie ein besonderes Verhältnis zu Ihrem Großvater gehabt haben, zumal Ihr gemeinsamer Sohn ebenfalls Attila heißt.
Obonya: Ich habe meinen Großvater sehr geliebt! Er hat mir viele Dinge vermittelt, die ich heute noch schätze, gerade auch in Sachen Humor. Da ist auch meine Mutter ihrem Vater durchaus ähnlich, also darin, gewisse Dinge, aber auch sich selbst, nicht ununterbrochen so ernst zu nehmen. Um ehrlich zu sein, hätte ich mich nicht getraut, diesen Vorschlag zu machen, aber Carolin meinte, Attila ist ein wunderschöner Name - und so haben wir gesagt, ja, soll der Name auch in dieser Familie weiterleben.